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Nr. 2 / 2019
pro&contra

Gibt es ein Recht auf Faulheit?

pro

„Faulheit, jetzo will ich Dir / Auch ein kleines Loblied bringen“, besang einst Gotthold Ephraim Lessing in seinem Gedicht Lob der Faulheit jene Momente, in denen wir schlicht und ergreifend nichts tun, in denen wir nicht aktiv tätig sind und vor allem nicht arbeiten. Mit der Faulheit sind all jene Praktiken gemeint, durch die es gelingt, sich für eine gewisse Zeitspanne aus dem geschäftigen Treiben um einen herum zu entziehen. Unterscheiden muss man diese faulen Momente allerdings von denen der Muße oder gar des Müßiggangs.

Bei der Muße handelt es sich um einen Begriff, dessen ideengeschichtliche Wurzeln sich bis in die griechische Antike zurückführen lassen: Muße, auf Griechisch σχολή, und auf Lateinisch otium, nannte man den Zeitraum, den man zum Studium und zum Einüben der Künste ‚frei‘ zur Verfügung hatte. Während jedoch die Muße bis heute durchweg positiv konnotiert wird, nämlich als erhabene und fast schon metaphysische Praxis der inneren Besinnung, die den schönen Künsten und dem Auffinden der Wahrheit dient, steht es um den Ruf der Faulheit ganz und gar nicht gut. Man sagt ihr nach, sie sei eine träge Untätigkeit, welche den Menschen seelisch, moralisch, körperlich und gesellschaftlich verkümmern lasse, ja, die ihn gar ins Verderben führe. So hieß es schon in den Sprüchen des Salomon, Spr. 6,6: „Geh zur Ameise, Fauler, sieh’ ihre Wege und werde klug.“

Faulheit wurde also seit jeher als Trägheit verstanden – im schlimmsten Fall gar als acedia, als das also, was wir heute klinisch als Depression bezeichnen würden –, die ins Verderben führt und bei der die etymologische Ähnlichkeit von Faulheit – faul – faulen – verfaulen einem förmlich entgegenspringt. Der Faule ist derjenige, der sich den Spielregeln der sozialen Ordnung nicht fügt, der versucht, sich diesen zu entziehen: Man denke hier beispielsweise an Iwan Gontscharows berühmten Oblomow oder auch an Herman Melvilles Schreiber Bartleby mit seinem ewig zitierten „I would prefer not to“, die beide als notorische Faulenzer in die Literaturgeschichte eingingen.

Salomons Ameise jedenfalls, dieses fleißige Insekt, steht hier symbolisch für jene Arbeitstüchtigkeit, die den modernen Menschen mit Eintritt in das industrielle Zeitalter befällt und ihn seitdem ganz und gar im Bann jenes Weber’schen Geist des Kapitalismus gefangen hält, dem schon Karl Marx und Friedrich Engels einige Jahrzehnte zuvor mit ihrem Gespenst des Kommunismus zu entrinnen versuchten. Wo noch Friedrich Schlegel im Ausgang des 18. Jahrhunderts von der „gottähnlichen Kunst der Faulheit“ sprach, spitzten sich die Debatten um die Zeit, in der nicht gearbeitet werden muss, ebenso rasant zu, wie die Maschine der Beschleunigung dann erst richtig ins Kurbeln kam. Die Zeit, in der man den Lastern der Faulheit frönen konnte, wurde zum sozialpolitischen Schauplatz im Kampf um die Verringerung der Arbeitszeit, und Arbeit und Faulheit von da an zum antipodischen Zwillingspaar der modernen Gesellschaft.

Paul Lafargues berühmte Streitschrift Das Recht auf Faulheit stammt aus dieser Zeit. Die Arbeit, so klagt Lafargue an, sei die „Ursache des geistigen Verkommens und körperlicher Verunstaltung“ des Menschen. Die Faulheit passte nicht mehr ins Bild der sich scheinbar selbst verwirklichenden Individuen. Nicht um die Abgrenzung zur Arbeit ging es nunmehr, nicht mehr um die freie Gestaltung der persönlichen und gemeinschaftlichen Lebensräume, sondern um die Verwischung dieser Grenze zwischen der Arbeitswelt und der Möglichkeit der Ausgestaltung des privaten und auch des öffentlichen Raumes. Die Frage nach dem Recht auf Faulheit ist daher nicht nur als eine individuelle Frage zu verstehen, sondern sie ist eine, welche die communitas, die Gemeinschaft betrifft.

In just diesem Setting befinden wir uns bis heute, bloß dass wir uns heute in einer Ära befinden, in der – zumindest in der westlichen Hemisphäre – die Arbeitszeit so gering und die Freizeit im Gegenzug so reichlich vorhanden ist wie niemals zuvor. Die Grenze aber, die dazwischen liegt, verschwimmt immer mehr. Die Regeneration von der Arbeit findet, angeleitet von Personal Trainern, direkt am Arbeitsplatz statt und die Arbeit wird gut und gerne auch mal mit ins sogenannte Home Office genommen. Es gibt Branchen, in denen die Arbeitszeit völlig entgrenzt ist, und gleichzeitig ganz viele Menschen, die von den Mechanismen des Arbeitsmarktes ausgeschlossen sind. Die Freizeit, die wir heute haben, ist prall gefüllt mit einem Überangebot an Waren, die für das körperliche Wohl und für das Seelenheil sorgen sollen – Spa, Yoga, Hygge etc. finden sich in den Kaufhäusern des Freizeitmarktes. Die Freizeit muss (teuer) erkauft werden, nur dadurch gewinnt sie ihre Legitimität.

Gibt es oder sollte es also ein Recht auf Faulheit geben? Als kodifizierte Regel ist dies wohl nicht denkbar. Auch sei von dauerhaftem Faulsein abzuraten, schon allein aus lebenspraktischen Gründen. Das Faulsein hat jedoch eine gewisse politische Brisanz. Politisch gelesen ist die Faulheit nämlich höchst empfehlenswert, denn sie hat etwas Widerständiges, vielleicht sogar Revolutionäres, etwas also, das in unserer Welt, in der das Regelwerk der sozialen und politischen Ordnung so sehr vom Diktum des Marktes bestimmt ist, dringend vonnöten zu sein scheint. Die Faulheit kann als theoretisch-kritischer Gegenbegriff zu jenem Geist des Marktes und letztlich vielleicht auch als politische Praxis der Enthaltung verstanden werden. Die Frage nach einem Recht auf Faulheit ist daher genuin auch eine Frage nach den Möglichkeiten der (Neu-)Gestaltung des sozialen und politischen Gemeinwesens. Vielleicht sollte man vor diesem Hintergrund tatsächlich einmal Klage erheben und zumindest die Möglichkeit der Umgestaltung unserer Welt einfach einmal herbeibeschwören. (ns)

contra

Jede Frage formuliert zugleich eine Position. Wenn die Frage nach einem „Recht auf Faulheit“ gestellt wird, wird offenkundig eine Rechtsfrage gestellt. Unklar bleibt, ob es sich um ein moralisches Recht oder um ein durchsetzbares juristisch ausformuliertes Recht handelt. In der Frage nach einem „Recht“ auf Faulheit steckt zugleich eine positive Assoziation, denn auf Rechte können wir uns berufen. Wir können sie vielleicht sogar einklagen, wir haben sie erworben oder sie sind als Menschenrechte Teil unserer menschlichen Würde.

An der Frage nach einem „Recht auf Faulheit“ klebt ein zweiter Assoziationsraum. Denn gefragt wird nicht nach Muße, nach der Balance zwischen Arbeit und Freizeit, nach dem „negotium“ als Zeit des „Nicht-Geschäfts“ und der Entspannung, sondern ausdrücklich nach Faulheit.

Damit wird ein Kontext hergestellt, der als Gegenpol nach korrespondierenden Pflichten fragen ließe. So hat beispielsweise jeder Mensch die Pflicht, sich zumindest um die eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Er nimmt also Selbstverantwortung wahr. Würde Faulheit als Pflichtvergessenheit oder mangelnde Selbstverantwortung ausgelegt, würde kaum jemand eine solche Form von Faulheit verteidigen. Nicht gut funktionieren würde im sozialen Kontext beispielsweise folgender Satz:  „Ich musste meine Steuererklärung machen, aber ich war einfach zu faul dazu, und ich habe ja ein Recht auf Faulheit.“ Oder: „Ich hätte unser Kind zum Arzt bringen müssen, aber ich habe mein Recht auf Faulheit in Anspruch genommen.“

Faulheit hat in diesen beiden Beispielen eine soziale Auswirkung bis hin zu harten Sanktionen. Anders gesagt: Faulheit hat einen sozialen Kontext, der für bedingungslose Faulheit kaum Spielraum lässt. Von Menschen wird erwartet, dass sie zumutbare Pflichten erfüllen. Das eben ist Teil ihrer Verantwortung. So gesehen, wäre ein Recht auf Faulheit eine semantische Irreführung.

Faulheit ist auch etwas anderes als schlichtes Unvermögen. Wenn jemand selbst krank im Bett liegt, und genau deshalb das eigene Kind nicht zum Arzt bringen kann, dann wird er nicht mit Faulheit argumentieren, sondern eine andere Person um Hilfe bitten. Genau darin zeigt er oder sie sich dann verantwortlich. Verantwortung und Faulheit müssen also in den Grenzen der eigenen Handlungsmöglichkeiten verstanden werden.

Faulheit ist aber nicht einfach ein Gegensatz zur Übernahme von Verantwortung. Im Urlaub darf schließlich jeder faul sein, aber das korrespondierende Recht ist der Anspruch auf Urlaub und die zeitweise Befreiung von Alltagspflichten. Das ist aber etwas anderes als das „Recht auf Faulheit“ ohne Randbedingungen!

Betrachtet man ein „Recht auf Faulheit“ in Verbindung mit Verantwortung, dann stellt sich die Frage nach Lebensrhythmus und Lebensstruktur. Im sozialen Raum gibt es Orte und Zeiten kollektiver „Faulheit“ in Form von Feiern und Festen. Ein geschäftlicher Telefonanruf am 24. Dezember um 16.00h ist fast schon ein Tabubruch. Denn zu diesem Zeitpunkt gilt in Deutschland die kollektive soziale Vereinbarung: „An Heilig-Abend muss Arbeit die absolute Ausnahme sein“.

Im persönlichen Leben und Erleben ist „legitime“ Faulheit in ähnlicher Weise ein korrespondierender Begriff zur Balance aus Rechten und Pflichten. Der Feierabend nach harter Arbeit gebietet geradezu die Entspannung, wenn nicht die „Faulheit“. Entscheidend ist hier aber die Einbettung in den Zusammenhang von sozialer Bedingtheit und individueller Lebenssituation, zugleich auch die innere und äußere Begrenzung in der Verwiesenheit auf andere Zeiten, andere Aktivitäten, andere Rechten und andere Pflichten.

Das Recht auf Entspannung, auf Freizeit, auf Urlaub und auf Entbindung von harter Pflicht etwa bei Krankheit und sonstigen Sonderfällen des Lebens ist somit gerade nicht gleichzusetzen mit einem „Recht auf Faulheit“. Wer von einem Recht auf Faulheit spricht, mischt zwei Sprachwelten: Die Welt der Moralität und der einklagbaren Rechte mit der Welt der Balance aus Freiheit und Verantwortung. Wenn ich mich hier also gegen ein „Recht auf Faulheit“ ausspreche, dann geht es insbesondere um eine Kritik der Frage. Denn Faulheit ist nicht immer illegitim, aber ein übergreifendes „Recht auf Faulheit“ führt individualethisch und gesellschaftlich in die Irre. (uh)