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Nr. 2 / 2019
Interview

Demokratie glaubwürdig gestalten. Ein Gespräch mit Susanne Brandes

weiter denken: Eine weit verbreitete, wenn nicht gar die leitende Annahme über den öffentlichen Diskurs ist, dass es um den Austausch von Argumenten geht und sich bei der politischen Meinungsbildung die besser begründbaren Positionen durchsetzen werden. Abgesehen davon, dass es sich hierbei natürlich um eine Idealisierung handelt, scheint diese Annahme gerade im Hinblick auf Rechtspopulist*innen irreführend zu sein, da deren Strategie nicht auf Überzeugung durch Argumente, sondern auf das Ansprechen der affektiven Ebene, insbesondere von Ressentiments abzielt. Wie also kann eine diskursive Auseinandersetzung gelingen?

Brandes: Die Frage verweist auf ein Dilemma, in dem wir uns in der Auseinandersetzung mit Rechtspopulist*innen grundsätzlich befinden: Da das Ziel von Rechtspopulist*innen nicht der politische Diskurs, sondern Propaganda für die eigene Sache ist, scheitern klassische Diskursformate. Es hat keinen Sinn, mit Menschen zu diskutieren, die die Regeln des Diskutierens nicht akzeptieren. Im Anschluss an die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg war dies bedauerlich eindrucksvoll im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu beobachten. Wo weder ein Interesse am Gegenüber noch am Gegenstand im Sinne einer Annäherung an Objektivität und Wahrheit ist, kann ein Diskurs nicht gelingen. Daher halte ich es für einen großen Fehler, Rechtspopulist*innen eine Bühne zur Verbreitung von Hass und Lügen zu geben. Zugleich – und hier offenbart sich das Dilemma – dürfen wir zu den menschen- und demokratiefeindlichen Aussagen von Rechtspopulist*innen nicht schweigen, da das Schweigen als Zustimmung gewertet werden kann. Aufgrund dieses Grundkonflikts gibt es nicht die eine Strategie, mit der wir gegen Rechtspopulismus gewappnet sind. Aber es gibt Erfahrungen, was helfen kann und was man besser unterlassen sollte:

  1. Arbeiten Sie Spaltungen entgegen: Rechtspopulist*innen versuchen häufig, ihre Kritiker*innen gegeneinander auszuspielen. Daher ist Solidarität mit den Opfern rechter Angriffe unbedingt erforderlich.
  2. Legen Sie den Fokus auf die demokratische Mehrheit: Die deutliche Mehrheit der Menschen in Deutschland lehnt die populistischen Angriffe auf das demokratische System ab. Oft hilft es mehr, sich auf die Demokratieunterstützer*innen zu konzentrieren als sich an den destruktiven, feindseligen Kräften aufzureiben.
  3. Schweigen Sie dennoch nicht zu menschenfeindlichen Angriffen, beziehen Sie klar und transparent Stellung.
  4. Wiederholen Sie populistische Falschaussagen nicht: Sagen Sie also nicht: „Es stimmt gar nicht, dass es keinen Klimawandel gibt…“, sondern fokussieren Sie sich auf die sachliche Ebene: „Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Erderwärmung durch menschliches Handeln versursacht wird…“
  5. Versuchen Sie, sich auf die wesentlichen Fakten zu begrenzen. Der große Reiz des Rechtspopulismus besteht gerade in seiner Vereinfachung, daher sind zu komplexe Argumente oft nicht hilfreich.
  6. Verändern Sie den kommunikativen Rahmen durch Framing. Framing bedeutet, einige Aspekte einer wahrgenommenen Realität so hervorzuheben, dass eine bestimmte moralische Interpretation oder Bewertung befördert wird. Betonen Sie zum Beispiel die Chancen der Migration und vermeiden Sie die Wiederholung von Begriffen wie „Flüchtlingskrise“.

weiter denken: Mittlerweile wird immer deutlicher, dass sich die Grenzen des Sagbaren verschoben haben – bzw. ihre Verschiebung gezielt angestrebt wurde und wird. So zeigt sich auch die „bürgerliche Mitte“ empfänglich für diese Normalisierung rassistischer und reaktionärer Äußerungen. Aus welchen Quellen kann sich widerständiges Denken speisen?

Brandes: Als christlicher Träger ist die Unantastbarkeit der menschlichen Würde eine zentrale Quelle unseres Widerstands gegen jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Gewalt. Die Gottesebenbildlichkeit verweist auf die Gleichheit aller Menschen in all ihrer Vielfältigkeit.

In Sachsen-Anhalt leben nur ca. 20 % Christ*innen und ca. 1,5 % Muslime. In dieser Situation der gemeinsam erlebten Diaspora dient die Katholische Erwachsenenbildung als Brückenbauerin zwischen der alteingesessenen sachsen-anhaltischen Bevölkerung und den Migrant*innen. Dabei ist es uns wichtig, gegen alle Anfeindungen solidarisch an der Seite der Minderheiten zu stehen, auch wenn dies bedeutet, dafür selbst Opfer von Angriffen zu werden. Die bereichernden Erfahrungen respektvoller, interkultureller Begegnungen geben dabei Kraft zum täglichen Widerstand gegen rechtspopulistische Angriffe.

In unserer Begegnung mit Rechtspopulist*innen bemühen wir uns darum, in der Sache ganz klar und abgrenzend zu sein und zugleich den Menschen respektvoll zu begegnen. Eine Verharmlosung von Rassismus und anderen Formen rechtsextremer Gewalt als Ausdruck von „Sorge“ lehnen wir allerdings ab. Und wir wissen, dass sich Demokratie und Respekt nicht mit erhobenem Zeigefinger vermitteln lassen. In mehrtägigen, erfahrungsbezogenen Seminaren gelingt es uns jedoch immer wieder, dass Menschen neue Perspektiven einnehmen und Vorurteile hinterfragen. Auch diese Erfahrung, dass Einstellungsveränderungen infolge von Bildung möglich sind, ist eine Quelle der Kraft.

Besondere Ermutigung für unsere demokratiefördernde Bildungsarbeit erfahren wir im Bistum Magdeburg von der Kirchenleitung und insbesondere von Bischof Dr. Feige, der sich unermüdlich für Respekt und Menschenrechte einsetzt.

weiter denken: Vergleiche zur politischen und gesellschaftlichen Situation der Weimarer Republik werden oft mit dem Hinweis auf die vermeintliche Weiterentwicklung des demokratischen Bewusstseins nach den Erfahrungen des Faschismus als überzogen zurückgewiesen. Natürlich wiederholt sich Geschichte nicht einfach. Eine reine Historisierung des Faschismus scheint aber blinde Flecken in der Gegenwartsdiagnostik zu erzeugen. Ist der Faschismusbegriff als analytisches Instrument sinnvoll?

Brandes: Ohne die gegenwärtige Situation mit der Weimarer Republik gleichsetzen zu wollen, halten wir es politisch für durchaus hilfreich, den Begriff des Faschismus zur Erfassung gegenwärtiger Politik heranzuziehen. Rassismus, Nationalismus und das Ziel, die Demokratie abzuschaffen, kennzeichnen die faschistische Ideologie. Als eine Lehre aus dem NS-Faschismus schließt das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland die Abschaffung der Demokratie in einem demokratischen Prozess ausdrücklich aus. Dennoch erleben wir täglich, wie Mitglieder der AfD einerseits (für sich) Meinungsfreiheit einfordern und andererseits ankündigen, bei Machtübernahme zuerst kritische Journalist*innen in Lager bringen zu wollen. Unverhohlen bedienen sich Rechtspopulist*innen faschistischer Terminologie und schüren gezielt Ängste und Vorurteile. Dabei nutzen sie auch die parlamentarischen Wege wie Anfragen, mit denen sie gezielt Themen platzieren, z.B. die kleine Anfrage im Bundestag nach den Kosten für die Betreuung von Menschen mit Behinderung.

Wenngleich nationale und internationale Machtverhältnisse und Beziehungen nicht mit der politischen Situation der Weimarer Republik vergleichbar sind, können wir also Analogien auf der Ebene der Handlungsstrategien von Rechtspopulist*innen und Rechtsextremist*innen mit NS-Faschist*innen nachzeichnen. Und wir beobachten mit Sorge, dass Rechtspopulist*innen erfolgreich den gesellschaftlichen Diskurs verschoben und eine Stimmung der Angst erzeugt haben. Zur Veranschaulichung des rechtsextremen Gedankengutes, der undemokratischen Haltungen und der gewalttätigen Strategien der AfD ist der Faschismusbegriff daher durchaus hilfreich.

In unserer Praxis politischer Bildung mit AfD-Wähler*innen und Sympathisant*innen wird der Faschismusbegriff dagegen häufig als Totschlagargument wahrgenommen und bringt Menschen in Abwehrreaktionen. Belehrung oder schlimmer noch Beschämung bewirken eher eine Verhärtung von Vorurteilen. Demgegenüber stellen wir ein inklusives Konzept politischer Bildung: Es muss gelingen, Demokratie lebendig und glaubwürdig zu gestalten, zum Beispiel, indem der Bildungsprozess selbst partizipativ gestaltet ist. Einstellungsveränderungen lassen sich nicht durch reine Wissensvermittlung erwirken: Es reicht nicht aus, Menschen differenzierte Fakten zu vermitteln, um Vorurteile abzubauen. Es ist vielmehr wichtig, Menschen emotional zu berühren, neue Sichtweisen zu eröffnen und Reflexionsprozesse anzuregen. Viele unserer Teilnehmer*innen haben selbst in ihrem Leben Ausgrenzungserfahrungen gemacht. Diese können eine Quelle für Mitgefühl sein und dabei helfen, mögliche Folgen eigener Vorurteile sichtbar zu machen. Das Ziel unserer Arbeit ist dabei, dass Menschen ihr eigenes Tun reflektieren und dafür Verantwortung übernehmen. Dies gelingt nicht in einem zweistündigen Workshop, sondern braucht Zeit, eine annehmende Atmosphäre und geschützte Räume. Ist dies gegeben, so unsere langjährige Erfahrung, kann Politische Bildung Vorurteile abbauen, Verständnis befördern und das demokratische Miteinander befördern.

Susanne Brandes ist Erziehungswissenschaftlerin/Dipl.-Päd., Systemische Beraterin, Systemische Coach, Changemanagerin, Projektleiterin und stellvertretende Geschäftsführerin bei der Katholischen Erwachsenenbildung im Land Sachsen-Anhalt e.V. Sie leitet das Projekt „Kompetent für Demokratie. Beratung und Bildung für eine offene Kirche“ im Bundesprogramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ und ist seit 20 Jahren Bildungsreferentin im Bereich Demokratieförderung, Geschlechtergerechtigkeit und Teilhabe.

Die Fragen stellte Ana Honnacker.