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Nr. 2 / 2019
Philosophie am Kröpcke

Wenn Dementoren Achterbahn fahren oder die Angst vor der Angst

Philosophie – eine Wissenschaft im Elfenbeinturm? Weit gefehlt! Das Forschungsinstitut für Philosophie Hannover macht es sich für jede neue Ausgabe des Journals zur Aufgabe, herauszufinden, was die Menschen auf der Straße von den philosophischen Fragen halten, die im Institut erforscht werden. Pünktlich vor Redaktionsschluss führen wir dementsprechend eine streng wissenschaftlich kontrollierte Studie durch: Wir schreiten zum Kröpcke, der Agora Hannovers, mit einem Aufnahmegerät bewaffnet, und stellen allen Passant*innen, die uns über den Weg laufen, dieselbe Frage. Auf den Spuren des Sokrates, aber bar jeder Ironie.

Angst kann lebensrettende Reaktionen auslösen und uns schaurig-schöne Momente bei einem Filmabend bereiten. Angst schweißt zusammen und sie macht kopflos. Die verschiedensten Formen der Angst gehören zum menschlichen Leben – sie ist genauso komplex und verschlungen wie unser Vorstellungsvermögen. Aber meistens wären wir sie lieber los. Die Angst nervt. Und so ist der Umgang mit ihr auch eine wichtige Frage der praktischen Philosophie. Die Stoiker raten zur Gelassenheit, wenn es um Dinge geht, die wir ohnehin nicht beeinflussen können. Während der römische Senat über sein Todesurteil diskutiert, zieht es Paconius Agrippinus vor, seine tägliche Turnstunde nicht zu versäumen. Doch woher können wir wissen, ob unsere Angst uns nicht dieses Mal retten wird? Oft wird Angst mit Irrationalität gleichgesetzt. Die Vorstellung, aus Angst die Kontrolle zu verlieren, ist furchteinflößend, egal, ob es um uns selber geht oder um andere, die uns in ihrer Angst zu überrollen drohen. Erstaunlich viele Passant*innen am Kröpcke waren bereit, mit uns über ihre Einstellung zu diesem kraftvollen und unangenehmen Gefühl zu sprechen. Haben Sie Angst vor der Angst? Auszüge der geführten Gespräche lesen Sie hier.[1]

Amar: Angst vor der Angst? [Pause] Ich verstehe die Bedeutung der Frage nicht. Angst vor der Angst... nein, das verstehe ich nicht. Ja, die Frage verstehe ich schon… ich hasse jede Form der Angst. Und deshalb kann ich die Bedeutung nicht verstehen. Furcht vor was?

weiter denken: Also haben Sie vor nichts Angst?

Amar: Das Gefährlichste auf der Welt bin ich selbst für mich! Und neben mir selbst sind das Gefährlichste auf der Welt die anderen Leute.

weiter denken: Sie meinen, wenn Sie die Angst zulassen würden, wären Sie zu furchtsam, um überhaupt leben zu können?

Amar: Guck, als ich Student an meiner Universität im Iran war, war ich zu ängstlich, um meiner damaligen Freundin zu sagen, dass ich sie liebe. Und die folgenden 25 Jahre hatte ich Probleme damit, dass ich das damals nicht gesagt habe. Und seit dieser Zeit hasse ich jede Form der Ängstlichkeit.

 

Ben: Ja. Man hat vor sich selber Angst.

Caroline: Doch ja, schon. Wenn man eh schon ein angsterfüllter Mensch ist, ja, dann hat man schon Angst vor der Angst. Und das trifft auf mich ziemlich zu.

 

Monika: Klar, wie jeder. Das ist ja nichts Greifbares, das kann man nicht fassen, da hat man auch mal Angst. Das ist ja meistens, wenn es um irgendwas Ungewisses geht. Man weiß eben nicht, wie etwas sein wird und deshalb hat man Angst. Das ist wie beim Tod. Man weiß eben nicht, was auf einen zukommt. Aber ich selbst habe mir das, ehrlich gesagt, abgewöhnt. Man gackert nicht über ungelegte Eier, wie meine Oma gesagt hätte.

 

Amanda: Direkt nein! Gar nicht. Ich habe schon zu viel durchgemacht. Letztes Jahr habe ich meinen Ehemann verloren und jetzt Sorgen wegen meinem Sohn. Doch ich habe vor Kurzem auch mein zweites Enkelkind bekommen und das hat mich sehr glücklich gemacht. Auch vor dem Sterben habe ich keine Angst. Ich habe keine Angst vor dem, was kommt, ich erwarte es und ich bin immer bereit. Natürlich darf man auch Angst zeigen, aber ich habe immer nur gekämpft und die Angst deshalb vielleicht nicht so gespürt. Ich bin immer noch am Lachen und glücklich.

weiter denken: Würden Sie sagen, keine Angst vor der Angst zu haben, das ist eine Haltung, die man entwickeln kann?

Amanda: Ja, und vor allem motiviert dich diese Haltung auch weiter, auch dazu, in die Zukunft zu gucken. Es hängt von dir ab, ich hänge nie zu Hause und will nur schlafen, sondern ich will weiterleben. Weil ich jeden Tag etwas entwickele... sag ich mal so und deshalb habe ich keine Angst vor der Angst. Das bin ich.

 

Eva: Ja. Vor diesem Zustand: Könnte ich mich in Angst versetzen?

Herbert: Nein, ich habe nur Angst vorm Altwerden, aber das ist ja nicht das Thema.

Eva: Also, davor habe ich keine Angst!

 

Gregor: Das ist wie bei Harry Potter. Da gibt es ja diese Dementoren, die genau deine Angst repräsentieren. Und Harry Potter hat ja Angst vor den Dementoren. Ja und mehr habe ich dazu erst mal nicht zu sagen.

Karsten: Also jemand, der permanent in die Zukunft blickt und sich daran erinnert, was er schon mal Schlimmes erlebt hat, und dann Angst hat, dass er das Gleiche wieder erlebt. [Überlegt] Also ich bin der Meinung, dass 99 % aller Dinge, vor denen ich glaubte Angst haben zu müssen, dass die nicht so eingetreten sind. Und aus dem Grunde mache ich mir eigentlich nicht mehr so viele Sorgen um Themen, die in der Zukunft liegen.

weiter denken: Also hat man eher Angst vor der Angst, wenn man jünger ist, und lernt dann irgendwann damit umzugehen?

Karsten: Also ich habe das schon als einen gewissen Reifeprozess erlebt, dass ich heute nicht mehr so schnell aufgeregt bin vor einer Situation, die vielleicht kommen könnte. Also Angst vor der Angst, weil ich eben die Erfahrung gesammelt habe, dass das meistens gar nicht eingetreten ist. Wenn man sein schlechtes Blutbild googelt und dann gleich denkt, man hat Leukämie, dann fängt man schon mal an, Angst zu haben. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit doch so gering, dass es sich nicht lohnt, sich vorher schon Angst zu machen.

weiter denken: Ist man in einem bestimmten Alter angstfreier?

Gregor: Ich glaube, in meinem Alter hat man weniger Angst als ein Erwachsener. Zum Beispiel beim Achterbahnfahren. Ich weiß nicht warum. Als Erwachsener hat man vielleicht mehr Angst, dass etwas passiert, weil man einfach besser weiß, was theoretisch passieren kann. Als Kind hat man da, glaub ich, weniger Vorstellungen von so was.

Karsten: Ja, meine Frau reduziert jetzt mit drei Kindern auch ihre Risikobereitschaft. Das ist etwas ganz anderes, wenn man dann als Elternteil ausfällt.

 

Lynn: Ja irgendwie schon. Weil die Angst ja schon dazu beiträgt, dass man sich in gewissen Lebenssituationen zurückzieht oder sich zum Beispiel von einer Erfahrung abhalten lässt. Und dann hat man ja wieder Angst davor, Angst zu haben. Also, das ist irgendwie so ein Kreislauf. Ich denke mir halt immer, lass dich nicht abschrecken, zieh das durch, hab keine Angst! Und da versucht man ja schon seine Angst vor der Angst zu unterdrücken. Ich möchte nicht aufgrund meiner Angst auf irgendwas verzichten. Besser kann ich es nicht ausdrücken.

 

Karsten: Uns ist noch etwas eingefallen. Wir haben uns jetzt noch weiter über die Frage unterhalten und uns ist aufgefallen, dass wir eigentlich keine Angst vor der Angst haben. Weil die Angst ja etwas Gutes ist. Wenn jetzt eine Schlange auf einen zukommt und der Reflex ist, dass man wegrennt, das ist ja etwas Schönes. Und deshalb sollte man vor der Angst eigentlich keine Angst haben. Wir haben vorhin ja eher über Erlebnisse reflektiert, die nicht so angenehm sind, aber die Angst selbst ist eigentlich ok. Sie schützt einen.

 



[1]  Alle Namen sind frei erfunden.

Die Gespräche führten Katalin Kuse und Ana Honnacker.