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Nr. 2 / 2019
Faschistische Versuchungen

Wie Rechte reden: Populistische Wege in die Mitte der Gesellschaft

Wenn ich Menschen davon erzähle, dass ich mich mit rechtspopulistischen Strategien beschäftige, höre ich oft: Populismus gibt es doch überall!

Natürlich gibt es Populismus von vielen Seiten, auch von links. Solche Einwände sind meines Erachtens aber mehr als der bloße Verweis auf die Tatsache, dass es Populismus auf allen Seiten gibt. Sie stehen zugleich für eine verbreitete Abwehr dagegen, sich mit der Besonderheit und der spezifischenGefahr rechtspopulistischen Agierens zu befassen.

Ähnliches gilt für die oft ins Feld geführte Feststellung, Extremismus gebe es auf allen Seiten. Ja, Extremismus ist – wenn man den gängigen Extremismusdefinitionen folgt – nie gut. Darin sind wir uns vermutlich einig. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner, der aber einer vertieften Auseinandersetzung nicht im Weg stehen sollte. Ich halte eine solche Auseinandersetzung für wichtig. Denn wir können uns rechtspopulistischen Strategien nur widersetzen, wenn wir sie – zumindest ansatzweise – kennen.

Zum Beispiel sollten wir uns fragen, ob wir mit dem Argument, Extremismus gebe es überall, nicht bereits rechtspopulistische Propaganda übernehmen. Nämlich jene Tendenz, politische Inhalte und Stoßrichtungen zu verschleiern, und lediglich Stile zu diskutieren.

Erliegen wir damit nicht jener Vernebelungstaktik, die inhaltliche Stoßrichtungen als einerlei erscheinen lässt beziehungsweise sie unter „Meinungsfreiheit“ verharmlost, solange jemand bestimmte formale Grenzen – beispielsweise Gewaltverzicht oder demokratische Abläufe – einhält? Und vor allem: Folgen wir damit nicht jener von Rechtspopulist*innen erfolgreich etablierten Selbstdistanzierung von „den bösen Nazis“, die extremistische Elemente ganz generell nur an den Rändern der Gesellschaft, bei „gewaltbereiten Chaoten“ vermutet, nicht aber in der Mitte der Gesellschaft?

Wir müssen uns fragen, ob die herkömmliche Abgrenzung zwischen Extremismus und Nichtextremismus wirklich so klar ist und inwiefern wir, um die aktuellen Entwicklungen fassen zu können, eher von fließenden Übergängen und Überschneidungen zwischen extremen und nicht extremen rechten Positionen ausgehen sollten. Überschneidungen, die gerade vom Rechtspopulismus geschickt unterschlagen und unsichtbar gemacht werden, und der sich auf diese Weise gesellschaftsfähig macht.

Im September 2018 sagte der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland in einer Bundestagsrede, dass es sich bei den Hitlergruß-Zeigern in Chemnitz nur um ein paar Idioten handle. Das Bild der „tumben Nazis“ wird von Rechtspopulist*innen gern beschworen, um sich von ihnen abzugrenzen und sich dadurch als vernünftige rechte Alternative zu präsentieren. In der Forschung hat man festgestellt, dass die Abgrenzung vom Rechtsextremismus eine zentrale rechtspopulistische Diskursstrategie ist (Geden 2007; 2009). Man stützt sich dabei häufig auf fragwürdige Extremismustheorien, wonach eine Position dann – und nur dann – extrem ist, wenn sie offen systemfeindlich ist, das heißt, wenn sie sich direkt gegen die demokratische Verfassung stellt. Diese Theorien beinhalten die Vorstellung, dass, wer sich an Recht, Gesetz und formaldemokratische Abläufe hält, keine extremen Positionen vertreten kann, noch nicht einmal Positionen mit extremen Elementen. Ferner wird daraus abgeleitet, dass die scheinbar nicht extremen Weltanschauungen rechtspopulistischer Akteur*innen automatisch demokratisch legitim sind.

Tatsächlich formuliert rechtspopulistische Rhetorik die Dinge oft so, dass sie sich noch innerhalb eines akzeptierten (rechtlichen) Rahmens bewegt. Im Vergleich zum klassischen Rechtsextremismus positioniert Rechtspopulismus sich häufig nicht explizit antidemokratisch. Vielmehr wird sogar beansprucht, die wahre Demokratie zu vertreten – schließlich beruft man sich bei jeder Gelegenheit auf den sogenannten Volkswillen und auf Elemente der liberalen Demokratie wie Meinungsfreiheit, Mitbestimmung und Selbstbestimmung. Das ermöglicht Querverbindungen in die bürgerliche Mitte und die Andockung an den gesellschaftlichen Mainstream.

Das ist auch der Grund, weshalb rechtspopulistische Rhetorik bei weitem nicht nur bei Rechten verbreitet ist, sondern auch in liberalen, konservativen und selbst linken Milieus zum Einsatz kommt. Ein Beispiel dafür sind der Präsidentschaftswahlkampf Nicolas Sarkozys 2012 in Frankreich und die ÖVP in Österreich.

Rechtspopulismus präsentiert sich mit seinem andauernden Verweis auf liberale Werte als „normale Meinung“, als Beitrag zum Meinungspluralismus. Rechtspopulismus präsentiert sich mithilfe der Proklamierung liberaler Werte als „normale Meinung“ und erfährt dadurch Legitimität und Anschlussfähigkeit im konservativen, liberalen oder gar linken Lager. Nach dem Motto: Es ist ja nicht rechts, sondern es ist Meinungsfreiheit. Rechtspopulistische Rhetorik macht es möglich, dass Teile der Gesellschaft nach rechts rücken, ohne dass es rechts aussieht.

Bei der Analyse rechtspopulistischer Rhetorik geht es gerade nicht (nur) um die Identifizierung von „Rechten“ im Verhältnis zu Nicht-Rechten, sondern um die Frage, wie bestimmte Positionen gesellschaftsfähig werden, zum Beispiel im Feuilleton, zum Beispiel auch bei Menschen, die nicht eindeutig rechts oder rechtsextrem sind. Es geht darum aufzuzeigen, inwiefern rechtspopulistische Rhetorik in der Mitte der Gesellschaft und kein Phänomen am rechtsextremen Rand ist.

Zahlreiche rechtspopulistische Akteur*innen und Parteien haben ihre extremistischen Elemente in den vergangenen Jahren erfolgreich verwischt. Der französische Front National, der belgische Vlaams Blok und die Schwedendemokraten, die früher die Schwelle zur offenen Systemfeindlichkeit klar überschritten, haben den harten Extremismus strategisch zurückgedrängt und bemühen sich um ein gemäßigteres Erscheinungsbild. Sie wollen damit eine breitere Wähler*innenbasis erreichen. Marine Le Pen hat diese Strategie „Entdiabolisierung“ genannt, ihre Partei heißt seit 2018 Rassemblement National.

Mit Blick auf den Erfolg der Niederländer Pim Fortuyn und Geert Wilders oder auch auf die Schweizerische Volkspartei (SVP) oder die Alternative für Deutschland (AfD) liegt die Vermutung nahe, dass der Rechtspopulismus umso erfolgreicher ist, je weiter er sich selbst in der Mitte verortet und je bürgerlicher er sich in seinem Auftreten gibt (Carter 2017). Gleichzeitig muss er aber auch die Narration der Opposition aufrechterhalten, nämlich die Geschichte von den „einfachen Leuten“ gegen „die Eliten dort oben“. Diesen Spagat beherrscht die SVP besonders gut. Wie der Historiker Damir Skenderovic ausarbeitet, verdankt sie ihren Aufstieg einerseits der Hinwendung zum Populismus (Skenderovic 2016), gleichzeitig basiert ihr Erfolg darauf, sich weiterhin als bürgerliche Traditionspartei zu positionieren.

Bei genauer Betrachtung werden die von rechtspopulistischen Akteuren vertretenen bürgerlichen Werte aber ihrer Substanz beraubt und verkommen zum bloßen Bekenntnis. Man gibt vor, die wahre Demokratie zu verteidigen, gleichzeitig wird ebendiese liberale Demokratie attackiert, indem man sich gegen Pluralismus, Menschenrechte, Minderheitenschutz oder Verfassungsaufträge oder den Rechtsstaat wendet. Kurzum: Das dauernde Reklamieren von Demokratie und Meinungsfreiheit macht es durch die Hintertür möglich, auch innerhalb formaldemokratischer Regeln relativ extreme Positionen zu vertreten und letztlich Demokratie zu unterminieren.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass rechtspopulistische Rhetorik politische Positionen veruneindeutigt und sich damit unangreifbar macht. Dadurch schafft sie es, sich im gesellschaftlichen Mainstream zu etablieren – nicht zuletzt auch in den Medien. Medien haben in den vergangenen Jahren rechtspopulistische Rhetorik oft unreflektiert übernommen, indem sie etwa deren Themensetzungen, Framings und Begriffe benutzen („Asyltourismus“, „Flüchtlingsfluten“ usw.) oder rechtspopulistische Äußerungen zwar skandalisieren und kritisch kommentieren, ihnen damit aber auch eine Bühne, Bedeutung und Legitimität geben und sie also letztlich in den Kanon der zu diskutierenden Meinungen aufnehmen.

So wichtig und angebracht Empörung angesichts rechter Hetze ist, so sehr muss klar sein, dass diese Empörung und Skepsis von Rechtspopulist*innen einkalkuliert wird. Es ist ihr Kalkül, dass empört über ihre Provokationen berichtet wird – und sie sich dann wieder als Opfer von „Tugendterror“ präsentieren können. Nicht selten stellen sich besonders Boulevardmedien sogar offen hinter die Ansichten und Forderungen rechtspopulistischer Politiker*innen. Letztlich ist – auch darauf setzen Rechtspopulist*innen – das Aufkommen rechtspopulistischer Formationen für Medien durchaus attraktiv. Die damit einhergehende Errichtung einer permanenten, oft stark personalisierten Konfliktstruktur im politischen Feld liefert ihnen fortwährend Stoff für die Berichterstattung und bringt nicht zuletzt Klicks und Einschaltquoten.

Die massenmediale Öffentlichkeit ist, wie der Sozialwissenschaftler Oliver Geden ausführt, eine der wesentlichen Voraussetzungen für Rechtspopulist*innen, um sich dauerhaft als Akteur*innen im politischen Feld zu etablieren. Gerade für Neueinsteiger*innen ist es dabei nicht einmal entscheidend, dass sie in den Medien durchweg positiv dargestellt werden: „Weitaus wichtiger ist es, überhaupt von den Medien beachtet zu werden. Denn dies zwingt sowohl die etablierten Parteien als auch zivilgesellschaftliche Akteur*innen, gegenüber dem Rechtspopulismus Position zu beziehen. Für die weiteren Erfolgsaussichten rechtspopulistischer Parteien kann es in der Frühphase ihres Aufstiegs sogar günstig sein, aufgrund der eingesetzten Mittel und vertretenen Positionen regelmäßig zum Objekt moralischer Empörung zu werden.“ (Geden 2007, 13).

Darüber hinaus schmälert es die Chancen von Rechtspopulist*innen keineswegs, wenn sie wegen ihres teilweise unprofessionellen Auftretens zur Zielscheibe spöttischer Herabsetzung werden. Vielmehr kann dadurch, wie Geden ausführt, die Konfliktlinie zwischen den „kleinen Leuten“ und „denen da oben“ betont werden. Die Dramatisierung dieser Konfliktlinie ist ein wichtiges Fundament des Rechtspopulismus. Sie macht es möglich, dass Rechtspopulist*innen sich als Ausgegrenzte positionieren und postulieren können, die Probleme der sogenannten kleinen Leute besonders authentisch zu vertreten – auch dann, wenn sie ihr Handeln in Wahrheit kaum auf Realpolitik, sondern vor allem darauf ausrichten, Wahlerfolge zu erzielen und Positionen im Staatsapparat zu besetzen.

Weiter beruht der rechtspopulistische Erfolg darauf, dass es den Akteur*innen häufig gelingt, die gegen sie gerichtete Kritik bruchlos in die eigene Weltdeutung zu integrieren und in ihrem Sinn zu nutzen (Geden 2007; 2009). Ein Beispiel: Die Kritik, Rechtspopulist*innen würden eine nationalistische und rassistische Politik der Abschottung betreiben, werten diese als Zensur, nicht über Migrationsprobleme sprechen zu dürfen. Überhaupt wird sämtliche Kritik oder Zurückweisung sofort als Beweis für Tabus und Meinungsterror seitens des angeblich herrschenden Establishments – dazu werden oft auch Medien gezählt – gedeutet und in eine Rhetorik der Selbstveropferung eingewoben.

Das führt dazu, dass Medien, um dem Vorwurf der Tabuisierung zu entgehen und ihr eigenes liberal-demokratisches Ideal der Meinungsfreiheit hochzuhalten, Rechtspopulist*innen beständig einladen und befragen oder selbst rechtspopulistische Rhetorik übernehmen. Mit dem Effekt, dass Hass, Ressentiments, Vorurteile, die Verteufelung von Menschenrechten und Minderheitenschutz, falsche Fakten, Verzerrungen und vieles mehr verbreitet werden und nach und nach zum normalen liberalen Meinungsspektrum zählen.

Ist Rechtspopulismus erst einmal Teil des medialen Mainstreams, können Kritik, Zurückweisung, Boykotte, Ausladungen und so weiter umso selbstbewusster und erfolgreicher als Meinungsverbot inszeniert werden. Jene, die rechtspopulistische Inhalte und Vorgehensweisen ablehnen, gelten nun als Feinde der Meinungsvielfalt. Jene, die daran zweifeln, ob es eine gute Idee ist, ergebnisoffen über menschenverachtende Positionen und falsche Behauptungen zu „debattieren“, und die bezweifeln, ob es gelingen kann, das Schüren von Ressentiments mit „besseren Argumenten“ zu entkräften, werden zu Feind*innen der Demokratie erklärt, während Rechtspopulist*innen als Opfer erscheinen.

Dieses Schema wird auch von liberalen Akteur*innen mitgetragen und bedient. Auch von dieser Seite hört man immer öfter, dass man rechtspopulistische Positionen ergebnisoffen diskutieren müsse. Solche Plädoyers klammern jedoch die Frage aus, wohin menschenverachtende Positionen und deren Verbreitung in der Konsequenz führen können und aus welchen normativen Gründen es besser sein könnte, wenn sie nicht Teil des akzeptierten öffentlichen Diskurses werden. Nicht zuletzt klammern sie aus, warum „Ausgewogenheit“ ausgerechnet dann so ernst genommen wird, wenn es darum geht, Rechtspopulisten zu Wort kommen zu lassen, nicht aber, wenn es um die Stimmen von Frauen*, LGBTIQ-Menschen, Migrant*innen, Geflüchteten, nicht-weißen usw. Menschen geht.

In meinem Buch „Die Rhetorik der Rechten“ schlage ich denn auch als eine zentrale Gegenstrategie gegen das Stärkerwerden reaktionärer Kräfte vor, den medialen, gesellschaftlichen und politischen Fokus viel klarer auf die progressiven, die emanzipatorischen Kräfte zu legen, über sie zu schreiben, sie in den Vordergrund zu stellen, zu multiplizieren und zu stärken. Fakt ist, dass wir nicht nur Backlashs erfahren, sondern auch in einer Gesellschaft leben, in der viele verschiedene Menschen mitreden und ihre Anliegen formulieren, in der Frauen in ehemalige Männerdomänen vordringen und Migrant*innen in politische Spitzenpositionen gewählt werden. Das Erstarken rückwärtsgewandter Ideologien ist wohl auch eine Reaktion auf diese Veränderungen. Es handelt sich um den Versuch, etwas aufzuhalten, das nicht aufzuhalten ist. Mit ein wenig Optimismus kann man das Erstarken rechter Kräfte auch als Effekt emanzipatorischer Veränderungen verstehen, bei denen sich ehemalige Normalitäten tatsächlich auflösen.

Womöglich ist das aggressive Auftreten der Rechten also ein Zeichen ihrer Schwäche und ihres Endes. Allerdings verhält es sich dabei wie mit einem angeschossenen Tier: Dieses ist in verletztem Zustand besonders wütend und gefährlich. Was ich sagen will: Wir können uns nicht ausruhen und zurücklehnen. Tatsächlich braucht es alle Kräfte, um sich gegen die rechte Mobilisierung zu stemmen. Dazu sind verschiedene Strategien gleichzeitig notwendig. Zum Beispiel ist es erforderlich, genau zu verstehen, wie rechtspopulistische Kommunikationsstrategien funktionieren. Genauso wichtig ist es, laut für eine solidarische und plurale Gesellschaft einzustehen und wann immer möglich deutlich zu machen, zu zeigen, ja zu feiern, dass diese ein Stück weit und in vielen – oft unsichtbaren Bereichen – schon da ist.

 

Literatur

Carter, Elisabeth: „Party Ideology“. In: Mudde, Cas, Hg.: The Populist Radical Right. A Reader. New York: Routledge (2017).

Geden, Oliver: Rechtspopulismus: Funktionslogiken – Gelegenheitsstrukturen – Gegenstrategien. SWP-Studie 2007 (https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/24545, Zugriff: 16.11.2018).

Geden, Oliver: „Die Renaissance des Rechtspopulismus in Westeuropa“. In: International Politics and Society, 2/2009, 92–107.

Schutzbach, Franziska: Die Rhetorik der Rechten. Rechtspopulistische Diskursstrategien im Überblick. Zürich/München: Edition Xanthippe (2019).

Skenderovic, Damir: „Die Schweiz als Avantgarde des europäischen Rechtspopulismus“. In: Geschichte der Gegenwart, 14. Dezember 2016 (https://geschichtedergegenwart.ch/die-schweiz-als-avantgarde-des-europaeischen-rechtspopulismus/, Zugriff: 16.11.2018)

 



[1] Dieser Artikel wurde in ähnlicher Form auch in Neue Wege 7/8.19 veröffentlicht.