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Nr. 2 / 2019
Faschistische Versuchungen

Ressentiment und Faschismus

Das Ressentiment ist ein hoch komplexer psychologischer Mechanismus mit weitreichenden individual- und sozialpsychologischen Implikationen. Es eignet demjenigen, dem die eigene Identität sowie der Wert derselben zutiefst fragwürdig geworden ist, der aufgrund fortwährend scheiternder Selbstbehauptung an einem beschädigten Selbstverhältnis leidet. Es äußert sich im verzweifelten wie fehlgeleiteten Versuch, Ohnmacht in Macht und Selbstzweifel in Selbstgewissheit zu verkehren – auf Kosten des Anderen, der aufgrund der eigenen Schwäche gar nicht mehr anders denn als Bedrohung wahrgenommen werden kann. Die Feindbildkonstruktion ist daher die zentrale Funktion des Ressentiments, die Freund/Feind-Logik das zentrale Prinzip einer ressentimentversehrten Gesellschaft.

In diesem und anderen Punkten weist das Ressentiment eine gewisse strukturelle Ähnlichkeit zum Faschismus auf. Im Gegensatz zum Faschismus ist es allerdings nicht ideologisch und demnach selbst nicht faschistisch. Aber es ist – ähnlich wie gegenüber dem Populismus – anfällig, vom Faschismus als Machttechnik instrumentalisiert zu werden.

 

Ressentimentbildung

Am Beginn des Ressentiments steht die Ohnmacht, stehen die allzu menschlichen Affekte, die dem Unterlegenen, dem vielfach Unterlegenen, von seinen Niederlagen her zuwachsen: der Zorn, der Groll, der Hass, die Verbitterung, der Rachedrang – die Bosheit, die sich von ihnen nährt. Und wiederum die Ohnmacht, diese negativen Affekte ins Konfliktgeschehen hineinzutragen, ihnen Ausdruck zu geben, sie den spüren zu lassen, dem sie gebühren. Nietzsche charakterisiert den Ressentimentmenschen als denjenigen, dem „die eigentliche Reaktion, die der That“ versagt bleibt; und der sich darum nur mit dem Mittel der „imaginäre[n] Rache“ schadlos halten kann (vgl. Nietzsche GM, 270). Er ist derjenige, der dem Konflikt machtlos gegenüber steht, stattdessen „das Schweigen, das Nicht-Vergessen, das Warten, das vorläufige Sich-verkleinern, Sich-demüthigen“ wählt (ebd., 272). Es ist diese Hemmung, dieses Nicht-Ausagieren der angesichts von Niederlage und Kränkung nur natürlichen Affekte, durch die das Ressentiment Eingang in die menschliche Psyche findet. Sie befördert die ressentimentale Doppeldeutigkeit – bestehend aus dem wiederholten Erleben des Schmerzes und dem sich davon ableitenden Wunsch nach Rache – herauf.

Das Nicht-Ausagieren dieser Affekte führt dazu, dass sie keine ihnen angemessene Abfuhr erfahren, sie darum in ihrem Träger verbleiben und in ihm sozusagen fortdauern. Sie werden re-sentimental. Deleuze schreibt: „Im Wort ‚Ressentiment‘ steckt ein überdeutlicher Hinweis: Die Reaktion hört auf, ausagiert zu werden und wird statt dessen gefühlt (senti)“ (Deleuze 1976, 122). Das Präfix „Re-“ deutet zudem den repetitiven Charakter dieses Prozesses an: das Wiederfühlen, das Wiedererleben und -durchleben der Unterlegenheit, der Verletzungen, der Schmach. Die daraus resultierende Hemmung mag am Anfang eine nur hin und wieder situative Reaktion auf den Konfliktfall sein. Sie wird ressentimental, wenn sie sich bald als gängiges Konfliktmanagement etabliert. Scheler charakterisiert das Ressentiment als eine „dauernde psychische Einstellung“, die „durch systematisch geübte Zurückdrängung von Entladungen gewisser Gemütsbewegungen“ entsteht (Scheler 1978, 4). Die Hemmung der Affekte wird über einen langen Zeitraum habitualisiert, sie wird strukturell. So führt das unbefriedigende Verbleiben dieser unbefriedigten Affekte allmählich zur Akkumulation derselben: Sie lagern sich über einen langen Zeitraum ab, gleich Sedimenten, füllen den Gefühlshaushalt Schicht um Schicht auf mit einer ganzen Phalanx negativer Empfindungen, verfüllen dabei nicht zuletzt dessen Variationsvielfalt – ihr Träger ist immer häufiger immer wütender, bis sich Wut schließlich wie ein Normalzustand anfühlt und er zugleich für andere Gefühlslagen immer unzugänglicher wird. So sinkt das Ressentiment allmählich „in das Zentrum der Persönlichkeit“ ein (ebd, 2). Es wird zu einer bestimmenden Größe in dessen Gefühlshaushalt.

Der ewig Unterlegene, der an seiner Ohnmacht Leidende, bildet zwangsläufig ein prekäres Selbstbild und Selbstverhältnis aus. Er ist in einer Art kreisender Erfahrung gleichsam zuhause, in der ihm die eigene Person, die eigene Identität und der Wert derselben zutiefst fragwürdig werden muss. Das sich herausbildende Ressentiment ist eine schleichende Selbstvergiftung. Nietzsche bezeichnet den ressentimentalen Menschen als „Ohnmächtigen, Gedrückten, an giftigen und feindseligen Gefühlen Schwärenden“ (Nietzsche GM, 272). An anderer Stelle schreibt er: „Einen Rachegedanken haben und ausführen heisst einen heftigen Fieberanfall bekommen, der aber vorübergeht: einen Rachegedanken aber haben, ohne Kraft und Muth, ihn auszuführen, heisst ein chronisches Leiden, eine Vergiftung an Leib und Seele mit sich herumtragen“ (Nietzsche MA, 77). Und mit der Zeit „wächst […] der Hass in's Ungeheure und Unheimliche, in's Geistigste und Giftigste“ (Nietzsche GM, 266f.)

Das Ressentiment befördert eine „peinvolle Spannung“ zwischen den Ressentimentaffekten auf der einen Seite und der Ohnmacht auf der anderen Seite herauf. Einerseits sind die genannten Affekte derart stark, dass sie einen zu zerreißen drohen und darum nicht länger einfach unterdrückt bleiben können. Andererseits verhindert das durchdringende Gefühl der Ohnmacht die effektive Abfuhr der Affekte. Es gehört zu den zentralen Aspekten des Ressentiments, dass dieses Spannungsverhältnis nicht aufgelöst werden kann (vgl. Scheler 1978, 15, 25). Es wird zum Grund- und Lebensgefühl des Ressentimentmenschen, wird mit der Zeit immer unerträglicher – bis es schließlich zu alternativen Formen des Spannungsabbaus kommt. Hier nun beginnt das Ressentiment, psychologische Abwehrmechanismen gegen die von ihm selbst verursachten psychischen Nöte auszubilden. Es gehört allerdings zur inneren Logik des Ressentiments, dass diese gerade nicht auf die ihm eigentlich zugrunde liegenden Ursachen, die tatsächlichen Urkonflikte im Inneren des Ressentimentalen selbst zielen, sondern auf die Konstruktion alternativer, außerhalb seiner selbst verorteter Problemursachen und Konfliktszenarien. Diese Abwehrmechanismen erfüllen damit zwar eine Funktion für den Ressentimentalen: sie stabilisieren das beschädigte Selbstverhältnis, lindern (zumindest zeitweilig) das Leiden an sich selbst und machen das Dasein und das eigene Sosein überhaupt erst wieder erträglich. Vor allem aber dienen sie zur Camouflage der eigentlichen im eigenen Selbst grundgelegten – und eben deswegen so hochproblematischen – Urkonflikte. Sie führen gerade deswegen aber auch zur Verstärkung und Verfestigung derselben, befeuern damit das Leiden an sich selbst und somit letztlich die ressentimentale Umklammerung der Persönlichkeit. Der Ressentimentmechanismus wird dadurch nicht bloß chronifiziert – er reproduziert zugleich unaufhörlich die Bedingungen, unter denen er sich weiter etabliert und als grundlegender Persönlichkeitszug stabilisiert. Erst durch die psychologischen Abwehrmechanismen gegen das Ressentiment gelangt das Ressentiment zu seiner vollen Entfaltung. Sie sind ein wesentlicher Aspekt desselben und können nicht von ihm getrennt werden.

 

Entrealisierung

Diese Abwehrmechanismen setzen einen mehrstufigen Verdrängungsprozess in Gang, in dessen Verlauf die Ressentimentaffekte schrittweise und beinahe unmerklich von den sie ursprünglich auslösenden Objekten abgekoppelt und ins zunehmend Unkonkrete und Objektlose aufgelöst werden. Wiehl prägt für diesen Vorgang den Begriff der „Entrealisierung“: die Ressentimentaffekte „verlieren [...] den Sinn für die Realität, für die Wahrheit, und fixieren sich in negativer Einstellung auf Ersatzgegenstände“ (Wiehl 1973, 63). Die ‚objektive‘ Realität verliert innerhalb des Wahrnehmungs- und Verarbeitungsaktes die Deutungshoheit über das Geschehen. An ihre Stelle als diejenige Größe, die den Geschehnissen und Erlebnissen ihre Färbung verleiht, tritt der Erfahrungshorizont des Ressentimentmenschen – und dieser ist eben maßgeblich durch das Ressentiment überformt: durch die Erfahrung der eigenen Unterlegenheit und Wertlosigkeit, die Erfahrung des Anderen als Überlegenen und Kränkenden, durch den Verdacht, dass ‚der Andere‘, jeder Andere eine Bedrohung ist und potenzielle Quelle seines Leidens, durch die seelische Vergiftung, die ihn bitter macht und hoffnungslos. „Das Ressentiment statuiert [somit] einen Kreislauf sich selber bestätigender Erwartungen“ (Bucher 1993, 60). Olschanski etwa charakterisiert den Ressentimentmenschen als „desituiert“ – er reagiere „nicht auf die Eindrücke […], die er unmittelbar empfängt“, sondern auf längst erlittene Wunden und Kränkungen, die im aktuellen Geschehen lediglich neu aufbrechen, dieses zugleich überschatten und eine neue – alte – Deutung aufprägen (vgl. Olschanski 2015, 16). Schoeck spricht gar von einer „systematische[n] Destruktion […] der einzelnen konkreten Lebenserfahrung“, so dass der Ressentimentale „überhaupt nur mehr das, was seiner Gefühlslage entspricht“, sieht und erlebt (vgl. Schoeck 1966, 211f.). Die sich so herausgebildete Struktur prägt den Erlebnishorizont des Ressentimentmenschen in einem weit größeren Umfang, als es seine tatsächlichen Interaktionen mit dem Anderen tun. Der kausale Nexus zwischen dem tatsächlichen Handeln des Anderen und der Empfindung, die dieses im Ressentimentmenschen auslöst, löst sich auf. Er beginnt in dem Geschehen, das ihm widerfährt, das zu sehen, was er braucht, um die psychologischen Abwehrmechanismen – die ihn (scheinbar) vor der Selbstentfremdung retten – plausibilisieren zu können. Hier nun beginnt der Ressentimentale, selbstbildstabilisierende Maßnahmen im systematischen Stil hervorzubringen, um die unerträglich werdende Spannung zwischen seinen Affekten und der Unfähigkeit, sie gegen diejenigen Objekte angemessen auszuagieren, die sie ursprünglich in ihm ausgelöst haben, abzubauen, indem er sie auf und gegen Ersatzobjekte richtet.

 

Selbstbildstabilisierende Maßnahmen

Den selbstbildstabilisierenden Maßnahmen, die auf der Entrealisierung der Ressentimentaffekte aufbauen, eignet als zentrales Element die Instrumentalisierung ‚des Anderen‘ – genauer: der Antagonismus zum Anderen. Es kommt zu einer mehrschichtigen Feindbildkonstruktion. „Der Mensch des Ressentiment [...] bedarf des gehaßten Feindes“, er bedarf „jener Umwelt von Bösen“ (Bucher 1993, 59f.). Die Hervorbringung dieser Feindschaft wird zur zentralen Funktion des Ressentiments für seinen Träger. Hierauf läuft seine innere Logik hinaus: auf die Entlastung des eigenen Selbstbildes auf Kosten des Anderen.

So kommt es etwa zur Schuldverlagerung – zur Externalisierung der in der eigenen Unzulänglichkeit gründenden Schuld bzw. Verantwortlichkeit an der eigenen prekären Lage. Dem Ressentimentalen erwächst auf diese Art ein Schuldiger, dem er wenigstens wieder grollen kann, den er – anders als sich selbst – hassen und verachten, anklagen und verurteilen, gegen den er auf Rache sinnen kann. „[J]eder Leidende nämlich sucht instinktiv zu seinem Leid eine Ursache; genauer noch, einen Thäter, noch bestimmter, einen für Leid empfänglichen schuldigen Thäter, – kurz, irgend etwas Lebendiges, an dem er seine Affekte thätlich oder in effigie auf irgend einen Vorwand hin entladen kann“ (Nietzsche GM, 373f.). Scheler beschreibt diesen Vorgang als „Kausaltäuschung“ – die Neigung, eine Verknüpfung des eigenen Missgeschicks mit dem intentionalen, böswilligen Handeln anderer herzustellen, obwohl es häufig gar keine gibt (vgl. Scheler 1978, 10f.). Der Ressentimentmensch neigt aber nicht bloß zur Projektion der eigenen Schuld und der eigenen Verantwortlichkeit an seiner misslichen Lage auf andere. Er neigt auch zur Projektion derjenigen eigenen als minderwertig empfundenen Eigenschaften und Wesenszüge, unter denen sein Selbstverhältnis so sehr leidet. So gelingt es ihm, die inneren Selbstzweifel, die maßlose Enttäuschung über sich selbst, die daraus resultierende Scham, den Selbsthass abzuspalten und zu manifestieren. Der Andere wird so willkürlich zum Vehikel der eigenen verhassten Anteile und damit zur Zielscheibe der ressentimentalen Aggressionen (vgl. Körner 2008, 916).

Wohl am ehesten der im allgemeinen Sprachgebrauch geläufigen Bedeutung von Ressentiment entspricht die Selbststeigerung durch Herabsetzung des Anderen. Scheler beschreibt diesen Mechanismus als „Werttäuschung“, als die „illusionäre Herunterdrückung der wertvollen Eigenschaften des Vergleichsobjekts“ bzw. als eine „spezifische ‚Blindheit‘ für sie“ (Scheler 1978, 15). Der Druck, der auf dem Selbst angesichts seiner ewigen Unterlegenheit lastet, vermindert sich, sobald der Andere seiner Überlegenheit beraubt ist. Je mehr das Vergleichsobjekt in seinem Wert herabgesetzt wird, desto mehr löst sich die Spannung zwischen der angestrebten Selbstbehauptung und der Unfähigkeit dazu. Auf diese Weise gelingt es, das eigene „Lebens- und Machtgefühl“ wieder zu steigern – „wenn auch auf illusionärer Grundlage“ (ebd., 29f.). Die Herabwürdigung des Anderen kann auf direktem Weg geschehen: dann wird schlichtweg der Wert seiner Person, seiner Eigenschaften, Fähigkeiten und Leistungen geleugnet; oder indirekt, indem etwa der Wert von jemand anderem betont wird, aber eben nicht um seiner selbst willen, sondern um ihn gegen den, den man herabwürdigen will, auszuspielen. Alternativ beschreibt Scheler die Herabwürdigung des Anderen nicht durch die Leugnung seines Werts, sondern durch Modifikation des Wertungssystems selbst. Nicht der Wert der Person des Anderen und seiner Qualitäten wird dann geleugnet, sondern der Wertmaßstab, nach dem dieser bisher bemessen wurde, wird auf den Kopf gestellt, das bisher Gute als doch eigentlich schlecht umgedeutet. Die Modifikation des Wertungssystems, an dem sich der Eigen- und Fremdwert ermisst, bezeichnet Scheler in Anlehnung an Nietzsche sogar als „Hauptleistung des Ressentiment“. An diesem Punkt setze die „Fälschung der Werttafeln“ ein und das Ressentiment beginne, selbst schöpferisch zu werden und neue Werte und Ideale durch die Umwertung des bestehenden Wertekanons hervorzubringen (vgl. ebd., 15, 32f.). Der Ressentimentale greift zur Deutungshoheit über das, was gut und das, was schlecht bzw. böse ist. Er besetzt die Positionen, die eben noch als wertvoll galten, denen er aber aufgrund der eigenen Unzulänglichkeiten nicht gerecht zu werden vermag, nun negativ, als unwert, als verwerflich. Aber eben nicht, weil diese intrinsisch schlecht wären – sondern allein aus der eigenen Ohnmacht, diese erfüllen zu können, heraus. Konsequenterweise wird das Gegenteil von dem, woran er aus seiner Ohnmacht heraus scheitert – also das, was er selbst verkörpert –, nun positiv besetzt. So wird der Ressentimentale selbst derjenige, der das, was als gut, als wertvoll und erstrebenswert gilt, repräsentiert. Doch auch diese ‚neuen‘ Werte und Ideale haben wiederum keinen Selbstzweck. Vielmehr dienen sie dem Ressentimentalen zur Umkehrung des Kräfteverhältnisses zu den eigenen Gunsten: Sie garantiert die eigene Überlegenheit auf dem moralischen Feld. Das Ressentiment ist die „Flucht der Schwäche in die moralisierende Verachtung der Stärke“ (Sloterdijk 2000, 56).

 

Das paradoxale Verhältnis zum Anderen

Frappierend an der Konstellation, die durch die ressentimentgetriebenen psychologischen Abwehrmechanismen hervorgebracht wird, ist die doppelt negative Identitätsstiftung des Ressentimentmenschen. Erstens konstituiert er seine Identität und seinen Eigenwert nicht positiv aus sich selbst heraus, sondern negativ über und gegen den Anderen. Seine Selbsterfahrung gründe nicht in einem überzeugten oder gar „triumphierenden Ja-Sagen zu sich selber“, sondern in einer Abwehrhaltung, im „Nein zu einem ‚Ausserhalb‘, zu einem ‚Anders‘, zu einem ‚Nicht-selbst‘“. Seine Aktion sei von Grund aus Reaktion, schreibt Nietzsche (vgl. Nietzsche GM, 270f.). Zweitens basiert diese Selbsterfahrung auf gegenseitiger Herabwürdigung: Einerseits erfährt sich der Ressentimentmensch als der Schwächere und Unterlegene und unterstellt dabei dem (vermeintlich) Überlegenen, mit Verachtung auf ihn herabzublicken. In seiner verqueren Wahrnehmung erfährt er von ihm nichts als Kränkung. Das führt andererseits dazu, dass er für den Anderen wiederum nichts als Verachtung übrig hat. Dies ist seine Urerfahrung mit dem Anderen und das Sentiment, das sich untrennbar an seine Selbsterfahrung geheftet hat. Sein „Verhältnis zur Umwelt ist auf das Böse gebaut und dadurch in seinen Wurzeln vergiftet“ (Lauret 1977, 149). Diese Feindbild konstruierende, Antagonismus schaffende, Unfrieden stiftende Dynamik entspringt zutiefst der inneren Logik des Ressentiments. Sie ist ein unhintergehbarer Aspekt desselben.

Zugleich scheint hier das paradoxale Verhältnis des Ressentimentmenschen zu dem Anderen auf: Einerseits kann er gar nicht mehr anders denn den Anderen als Quelle seiner persönlichen Not wahrzunehmen. Andererseits ist er auf ihn zum Zwecke seiner selbstbildstabilisierenden Maßnahmen grundlegend angewiesen und auf ihn hin geordnet. Der Andere – in der Rolle des Feindes – fungiert ja als Instrument zur Linderung der eigenen Leiden. Zugleich aber perpetuiert er sie: „die Unfähigkeit, andere anders denn als Produzenten des eigenen Leidens wahrzunehmen, läßt einen Ausweg aus dem Leiden von vorneherein nicht zu. Jede Begegnung des Menschen des Ressentiment mit anderen Menschen gerät ihm zur Bestätigung dieses Vorurteils“. Hier verdeutlicht sich der „fundamentale Selbstwiderspruch“ des Ressentiments: Rettung gibt es nur in der „Befreiung vom Menschen“, der Befreiung vom Anderen. Dass er auf den Anderen als Linderer seines Leidens zugleich unbedingt angewiesen ist, deutet die „autodestruktive Potenz des Ressentiment“ an, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint (vgl. Bucher 1993, 60f.).

 

Elemente des Faschismus

Vergleicht man das hier umschriebene Phänomen des Ressentiments mit dem des Faschismus, stößt man auf einige unübersehbare strukturelle Ähnlichkeiten. Sie machen – um es gleich vorweg zu nehmen – das Ressentiment nicht zu Faschismus oder zu einer Form des Faschismus. Aber es gibt eine ganze Reihe an Elementen desselben, an die das Ressentiment mehr oder weniger direkt anschlussfähig ist. Im Folgenden werden schlagwortartig diejenigen Aspekte des Faschismus angedeutet, bei denen sich der Bezug zum Ressentimentphänomen aufdrängt.

Der Historiker Robert O. Paxton etwa beschreibt den Faschismus als genuines Kind der Massengesellschaft bzw. Massenpolitik. Eine der Grundvoraussetzungen seiner Entstehung sei gewesen, dass sich überhaupt erst ein Großteil der Bevölkerung am politischen Prozess beteiligte – dass es also notwendig wurde, breite Bevölkerungsschichten für die eigene Agenda zu gewinnen. Erst in diesem Kontext erweist sich der Faschismus als durchsetzungsfähige Machtform (vgl. Paxton 2006, 68–71). Während andere autoritäre Regime grundsätzlich bemüht seien, die Bevölkerung zu demobilisieren und in Passivität zu zwingen, sei es wesentlich für den Faschismus, sie in den Zustand der Erregung zu versetzen und diesen für sich zu nutzen (vgl. ebd., 316f.). „Das Neue an ihm sei gewesen – anstatt einfach, wie es die klassischen Tyrannen seit den frühesten Zeiten getan hätten, die Bürger zum Schweigen zu bringen –, eine Technik gefunden zu haben, die Leidenschaften der Bevölkerung in den Aufbau einer zwangsweisen inneren Säuberung und äußeren Expansion, zu kanalisieren“. Faschismus gründe auf „manipuliertem Massenenthusiasmus“ (ebd., 315). Dieser propagandistische Zug lässt sich nicht bloß als raffinierte und an die Bedingungen der Massenpolitik angepasste Methode der Machterringung deuten, sondern als Grundzug faschistischer Ideologie selbst. Der Faschismus sei, so Paxton, eher ein „Spektrum ‚mobilisierender Leidenschaften‘“ denn eine „konsistente[] und vollartikulierte[] Philosophie“. Anders als beispielsweise beim Kommunismus bzw. Sozialismus gebe es kein „umfassendes philosophisches System als Unterbau für den Faschismus“, sondern lediglich einen „Nebel von unterschwelligen Einstellungen“, „unbewusste[n] Gefühle[n] und Leidenschaften“ der irgendwann Gestalt angenommen habe (vgl. ebd., 66). „Der Faschismus war eher eine Bauch- als eine Kopfangelegenheit“ (ebd., 67).

Der Psychoanalytiker Friedrich Hacker spricht in diesem Zusammenhang von einem Vorrang des Irrationalismus. Dem Gefühl wird „in seiner kollektiven Form (‚gesundes Volksempfinden‘) die primäre Rolle eingeräumt. Probleme müssen im Sinne vernunftmäßig unkontrollierter und unanalysierter Gefühlsregungen ‚gelöst‘ werden, die sich in zur Propaganda geeigneten und manipulierbaren Trivialmythen, dämonischen Erklärungen und schlagwortartig eingängigen Vereinfachungen äußern“ (Hacker 1992, 45). Diese Irrationalität richte sich gegen die Komplexität der Wirklichkeit. Die systematische, teilweise extreme Vereinfachung von komplexen Zusammenhängen stellt dabei ebenfalls nicht bloß eine schlagkräftige Propagandatechnik dar, sondern einen weiteren Grundzug des Faschismus. „Mittels eines leicht zu vermittelnden, radikal vereinfachten (oft absichtlich ‚dummen‘), primitiven Weltbilds wird subjektiv wichtige Orientierungs- und Lebenshilfe geleistet“ (ebd., 32). Dieser Zug radikaler Simplifizierungen richte sich darüber hinaus gegen einen als nicht länger hinnehmbar empfundenen Status Quo. Der Faschismus nährt sich von „Katastrophenprophezeiungen und Endzeitstimmungen“, von einem Zustand, der von scheinbar unüberwindlicher Krise und unaufhaltsamen Niedergang geprägt ist: „Mit Anwendung massenpsychologisch wirksamer Mittel wird der vage und diffuse Protest gegen eine verbaute, sozusagen verstopfte Wirklichkeit, in der ‚nichts mehr geht‘, organisiert […]. Charakteristischerweise spielen hier die Symbole des Aufbruchs, der Erhitzung und Befreiung eine große Rolle“ (ebd., 51).

Hacker, der aus psychoanalytischer Perspektive die inneren Motive und Mechanismen sowie die wesentlichen Elemente faschistischen Denkens und Handelns untersucht, verweist darüber hinaus auf einige weitere Grundzüge. Einer davon ist das Feindbild, durch bzw. gegen das er sich konstituiert: der eine Feind, der hinter allen Übeln steckt, der für alles Schlechte und Bedrohliche verantwortlich ist; der eine einheitliche Feind, der sich jedoch hinter einer Vielzahl von verschiedenen Masken und Verkleidungen versteckt, was ihn nur noch gefährlicher macht – und wodurch überhaupt erst möglich wird, ihm die unterschiedlichsten Übel anzulasten. „Entdeckung und Erfindung des vereinten Feindes (und des von ihm abgeleiteten feindlichen Prinzips als Integration alles Bösen) ist eines der wichtigsten Erfolgsrezepte des Faschismus“ (ebd., 111). Mit der Identifikation und Diabolisierung des Feindes korrespondiert die Identifikation und Verklärung der eigenen Gruppe, der Volksgemeinschaft, der Rasse. Beides gehe Hand in Hand und bilde die beiden Seiten des Bedürfnisses nach Selbstvergewisserung, nach einer eigenen starken und geschlossenen Identität (vgl. ebd., 53f.).

Der Faschismus ist zutiefst geprägt von einer extrem vereinfachten und vereinfachenden Freund/Feind-Logik – die die Welt allein in Schwarz und Weiß, in Gut und Böse aufteilt und alle Nuancen, alle Zwischentöne auslöscht. Denn ebenso charakteristisch für den Faschismus ist die Maximierung der Unterschiede der beiden Gruppen: „Bestehende tatsächliche oder auch eingebildete Ungleichheiten (völkisch, sprachlich, geschlechtlich etc.) werden als natürliche, unveränderliche, qualitativ und moralisch verschiedene (‚besser vs. schlechter‘) prinzipielle Unterscheidungen hervorgehoben, übertrieben, verschärft und zu unumstößlichen Wertkategorien überhöht“ (ebd., 35). Die Zuschreibungen werden ontologisiert bzw. biologisiert: Sie resultieren nicht länger aus gesellschaftlichen Verhältnissen oder individuellen Eigenheiten, sondern werden zu Wesenseigenschaften der Betroffenen, sind ihnen gleichsam angeboren und darum unveränderlich. Dadurch gibt es auch keine Vermittlungs- und Verständigungsmöglichkeiten mehr zwischen den verschiedenen Polen – sie schließen einander gleich unvereinbarer Prinzipien aus. Die Maximierung der Unterschiede paart sich zudem mit einem klaren Wertgefälle: Während das Eigene selbstredend wertvoll und überlegen ist, ist alles andere unterlegen, minderwertig, abstoßend (vgl. ebd., 36f.). Die aggressive und gewaltsame Vereinheitlichung von Eigengruppe und Feindgruppe führt letztlich zu gleichgeschalteter Uniformität. Der Stilisierung der Eigengruppe als organische Ganzheit fällt nicht nur jeder zum Opfer, der sich als feindlich bzw. nicht-zugehörig identifizieren lässt – sondern letztlich auch das ihr selbst angehörende Individuum. Diese „unveränderliche, übergeordnete, natürlich gewachsene organische Ganzheit“ sei „höher, edler und in jeder Hinsicht ‚legitimierter‘ als die Teile (Individuen, Institutionen), aus denen sie besteht“, so Hacker. „Die allgemeine Tendenz ist antiabweichlerisch, antiparlamentarisch, antiindividuell“ (ebd., 61). Wer nicht in das vorgegebene Muster passt, werde so ebenfalls zum Feind bzw. Verräter. Diese dem Faschismus inhärente Dynamik findet im Führerprinzip seinen stärksten Ausdruck (vgl. ebd., 42f.).

 

Faschistoide Tendenzen des Ressentiments?

In all diesen Punkten – die den Faschismus selbstverständlich nicht ausschöpfend umschreiben, aber doch zu wesentlichen Aspekten der in ihm arbeitenden Psychodynamiken zählen – gibt es erhebliche Überschneidungen mit dem Phänomen des Ressentiments.

So zeigen sich etwa bei der von Paxton beschriebenen Mobilisierung und Manipulierung von Massenenthusiasmus deutliche Parallelen. Das sozialpsychologisch wirksam gewordene Ressentiment verfügt über das Potenzial, genau jene öffentliche Erregung zu entfachen – genau jene, die sich gegen die als unerträglich empfundenen gegebenen Verhältnisse richtet. Das Ressentiment zeichnet sich ebenfalls durch den Primat der Gefühle aus: Es sind die Affekte, die starken, immer negativen Affekte, die Ausgangspunkte und treibende Kräfte hinter dem Ressentiment sind. Sie erlangen ihre besondere Intensität und Wirkmacht dadurch, dass sie zunächst ja nicht ausagiert werden. Sie bauen sich so sehr auf, dass sie sich – wenn sie dann erst einmal zum Ausbruch kommen – mit einer ungeahnten Wucht und einem nicht für möglich gehaltenen Fanatismus entladen. Das Ressentiment vermag, seinen Träger zu mobilisieren, weil es in seinem Grundzug zutiefst viszeral ist, weil es so unmittelbar im Medium des Gefühls, der Gefühlsaufwallung wirkt. Das Ressentiment sei wesentlich eine „Gefühlstatsache“, schreibt Scherpe, und ziehe genau daraus seine Kraft: „In seinem dunklen Ursprung ist das Ressentiment dumm und dumpf“, eine rohe Energie, eine blinde Gewalt, die es auch in seinen scheinbar zivileren, von scheinbar überlegter Zurückhaltung geprägten Formen nicht einbüßt (vgl. Scherpe 2008, 167f.). Dass es genau diese tiefsten und damit mächtigsten Kraftzentren im Menschen anzapft und speist, macht es zu dem „gefährlichste[n] Spreng- und Explosivstoff“ (Nietzsche GM, 373), den Nietzsche beschreibt.

Das Ressentiment verfügt dabei allerdings nicht über eine spezifische ideologische Ausrichtung wie der Faschismus. Gleichwohl erweist es sich als strukturell offen und anfällig, ideologisch aufgeladen zu werden – auch und vielleicht besonders im Sinne des Faschismus. Das wird deutlich, wenn man die anderen von Hacker beschriebenen Elemente des Faschismus mit dem Ressentiment in Beziehung setzt. Etwa, wenn man die ihm inhärente Tendenz zum Antagonismus bedenkt. Das Ressentiment ist eine psychologische Kondition, die bestimmte Mechanismen und Dynamiken hervorbringt, die letztlich auf Antagonismus, auf Unfrieden und Feindschaft, auf gesellschaftliche Segregation und Entsolidarisierung hinwirken. Das Ressentiment lebt wie der Faschismus von seinen Feindbildern und von einer kruden Freund/Feind-Logik. Diese trägt das Ressentiment ohnehin bereits in den gesellschaftlichen Kontext hinein. Darin steckt keine Absicht, kein Mutwille, kein Kalkül. Doch diese für das Ressentiment typischen Dynamiken lassen sich auch sehr bewusst und kalkuliert von politischen oder gesellschaftlichen Akteuren manipulieren – wie sich am gegenwärtigen Aufstieg des politischen Populismus sehr gut beobachten lässt –, um sie für die eigenen Zwecke nutzbar zu machen, um das Ressentiment als eine Machtressource zu nutzen. Frustration, Verbitterung und ewig unterschwellig brodelnde Wut stellen einen Rohstoff, einen Gärstoff dar, den es freizusetzen und zielgerichtet einzusetzen gilt. Wer ihn zu mobilisieren und zu modellieren versteht, der gewinnt tatsächlich eine machtvolle Kraft- und Emotionsquelle für die eigene Sache. Olschanski etwa bezeichnet das Ressentiment als „eine der ältesten und erfolgreichsten Techniken der Macht“ (Olschanski 2015, 34).

Das Ressentiment erweist sich sowohl inhaltlich als auch formal als geradezu prädestiniert für Ideologisierung. Das ihm inhaltlich zugrunde liegende psychologische Bedürfnis nach unbedingter Stabilisierung des beschädigten Selbstverhältnisses basiert auf dem Antagonismus zum Anderen. Das Ressentiment selbst richtet seinen Träger gegen den Anderen aus, treibt ihn in den Konflikt, in die Feindschaft mit dem Anderen. Sei es die Schuldverlagerung auf den Anderen, die eigene Aufwertung durch seine Herabwürdigung, oder die Projektion der eigenen nicht integrierbaren Charakteristika, des Selbstekels und Selbsthasses auf ihn – das Ressentiment läuft stets auf die Identifizierung und Denunzierung des Anderen als Gefährder des eigenen Wohlergehens, als Verursacher der eigenen Leiden, als den ‚bösen‘ Feind, den es zu bekämpfen gilt, hinaus. Wer diese grundlegende Tendenz zum Antagonismus bedient, bedient ein innerstes Bedürfnis des Ressentimentalen, bedient und bestätigt die grundsätzliche Struktur seines Selbstverständnisses und seines Weltverständnisses.

Die Natur des Ressentiments erweist sich für diese kalkulierte Feindbildkonstruktion aber auch formal als besonders anfällig: Gerade die Entrealisierung der Ressentimentaffekte ermöglicht deren relativ willkürliche Verschiebung auf andere Objekte. Das Ressentiment löst den kausalen Nexus zwischen der Realität sowie ihrer Wahrnehmung und Verarbeitung auf. Diese entkoppelten Gefühlslagen lassen sich ohne größere Widerstände manipulieren und von den Agenten einer Ressentimentpolitik der eigenen Agenda gemäß aufladen und ausrichten. Als begünstigend erweist sich dabei der häufig unkonkrete Charakter der Ressentimentaffekte. Sie sind ja eher zu einem Grundgefühl, einem allgemeinen Lebensgefühl geworden – nicht mehr eine plötzliche Gefühlsaufwallung mit konkretem und aktuellem Anlass. Sie ‚wabern‘ eher, sind formlos, unbestimmt, nicht gerichtet – sie selbst vermögen deshalb „von sich her kaum einen stabilen Handlungsrahmen zu schaffen“, der dem Ressentimentalen „mehr als nur spontane und isolierte Ausbrüche ermöglichte“ (ebd.). Und doch verfügen sie über eine ungeheure Potenz. Ihr eher diffuser Charakter trägt nun gerade entscheidend zu ihrer grundsätzlichen überindividuellen Anschlussfähigkeit bei: Aufgrund der nicht fixierten und nicht gerichteten Natur der ressentimentalen Regungen muss bei deren Überformung nicht einmal erst ein bereits vorhandener spezifischer Inhalt verdrängt, überschrieben oder uminterpretiert werden. Eine Ressentimentpolitik muss dem Feind vor diesem Hintergrund vor allem eine konkrete Gestalt, ein Gesicht und einen Namen geben. „Die ressentimentalen Feindbildbedürfnisse liefern ihr einen Feind dynamei on, einen Stoff, dem sie die Form gibt“ (ebd., 37).

Doch die Konstruktion der Identität der Anderen als Feindbild ist auch hier nur die eine Seite der Medaille. Im gleichen Maß teilt der Ressentimentale mit dem Faschisten das tiefe Bedürfnis, in Abgrenzung von diesen Anderen das Eigene zu betonen. So kommt es zur Identitätskonstruktion des ressentimentalen Selbst im gesellschaftlichen Kontext: als Teil einer Gruppenidentität. Das je eigene, kleine, vereinzelte Selbst integriert sich in ein größeres Selbst. So stabilisiert sich die Ich- durch eine Wir-Identität (vgl. Sommer 2010, 238). Das ressentimentale Ego zeichnet sich ja zutiefst durch sein beschädigtes Selbstverhältnis aus. Es ist darum wie prädestiniert, sich in eine mehr oder weniger herbeiphantasierte gruppencharismatische Identitätskonstruktion einzupflegen: „Wo wenig Ich ist, auf das man stolz sein kann, wird die Wir-Identität umso wichtiger“ (ebd. 239). Während der Ressentimentale auf der persönlichen Ebene, gerade aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur, immer wieder enttäuscht wird, imaginiert er sich auf gesellschaftlicher Ebene eine Gemeinschaft herbei, artifiziell und projektiv überfrachtet, jenseits aller Realität, doch für ihn umso realer – weil sie nie den Alltagstest bestehen muss. Gerade weil seine vom Ressentiment her gefärbten realen Beziehungen immer wieder quälend und verletzend werden, neigt er dazu, sich in eine imaginäre Gemeinschaftsidee hineinzuversetzen. Das ist kein zufälliger Vorgang, er ist folgerichtig – hier korrespondiert denn auch das Gefühl der Krise, der Unhaltbarkeit des Status Quo, das Katastrophenszenario, von dem sich der Faschismus nährt, mit der Lage des Ressentimentalen. Er definiert sich ja geradezu über sein zutiefst beschädigtes Selbstverhältnis, seine Unzulänglichkeit, seine Unterlegenheit – und das (angebliche) Unrecht, das ihm unablässig von anderen angetan wird.

Umso folgerichtiger ist auch hier das Wertgefälle zwischen diesen die Gesellschaft unter sich aufteilenden Identitätskonstruktionen: dem prothesenhaft-superioren Selbst steht das inferiore Andere gegenüber. Zugleich deuten sich die oben beschriebenen projektiven Mechanismen an. Durch Abspaltung und Manifestation derjenigen eigenen Charakteristika, für die man sich selbst verachtet, in äußeren Objekten gelingt die eigene Entlastung und die Affektkanalisierung: Auf diese Weise erwächst einem ein Feind, der böse Andere, auf den man all seine negativen Energien richten kann, dem man ganz zu recht grollen, den man hassen und verachten und bekämpfen kann. So bekämpft man in den Anderen aber eben nicht nur die Anderen, sondern auch dasjenige an einem selbst, was man zu hassen und zu verachten gelernt hat. „Die Verachtung eigener Schwäche und Ohnmacht, eigener Hilflosigkeit und Bedürftigkeit wendet sich – damit die eigene Person nicht vernichtet werden muss – gegen andere, die diese Ohnmacht symbolisieren“. Auf diese Weise werde aus Scham eine Form von Gewalt, die „Ohnmacht in Macht, Schwäche in Stärke“ verwandelt, „indem andere nun erleiden, was man eben noch selbst empfand“ (Hilgers 2013, 342). In engem Zusammenhang mit der projektiven Identifikation der eigenen unwillkommenen Anteile steht auch die distanzlose Identifikation (vgl. Olschanski 2015, 21). So werden etwa bestimmte als erstrebenswert erachtete Attribute, die der imaginären Gruppenidentität zugesprochen werden, auf das eigene Selbst übertragen. Sie kristallisieren sich häufig in einer Führerfigur, die die Summe der positiven Eigenschaften der Gruppe verkörpert. Sie dient zugleich aber auch zur „Projektion und Spiegelung eigener Größenwünsche“. Die identifikatorische Unterwerfung unter diese Führerfigur erfüllt den Ressentimentmenschen mit den so lange entbehrten Machtgefühlen (vgl. ebd., 35f.). In summa: „Der Ressentimentale braucht Feind und Führer, um sich selbst ein Freund zu sein“ (ebd., 36).

So polarisierend und zersetzend das Ressentiment auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt wirkt, so sehr stärkt es den Zusammenhalt der eigenen Anhängerschaft. Solcherart instrumentalisiert, ist es ein mächtiger Faktor, der eine Gemeinschaft – eine Ressentimentgemeinschaft – verbinden und zu einer in sich geschlossenen Einheit formen kann: „Ressentiment ist […] soziologisch zentripetal, nie ist eine Gesellschaft fester als im gemeinsamen Haß“ (Koecke 1994, 173). Die gesamtgesellschaftlich gesehen entsolidarisierende Wirkung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Solidarität auch hier ein hohes Gut ist. Nur findet sich hier eine sozusagen exkludierende Form von Solidarität – eine, die sich vor allem darüber definiert, wer von ihr ausgeschlossen ist. Sie bedarf des Hassobjektes, des Antipoden, eines ausgegrenzten, stigmatisierten, für den Hass freigegebenen Gegenübers. Dieses Gemeinschaftsgefühl basiert unhintergehbar darauf, dass jemand aus dieser Gemeinschaft ausgeschlossen wird. Das Ressentiment bietet die psychologische Grundvoraussetzung dieses Gesellschaftsmodells.

Ähnlich wie beim Faschismus läuft auch die innere Logik des Ressentiments auf die unmittelbare Bedrohung des Individuums hinaus. Je stärker das Eigene in Abgrenzung zum Anderen, Fremden, Feindlichen definiert wird, desto starrer und ausschließlicher werden die Schablonen, denen es zu entsprechen gilt, und desto stärker werden die Ausgrenzungstendenzen, mit denen sie durchgesetzt werden. Dabei zeigt sich nicht zuletzt, dass diese Polarisierung einen reduktionistischen Charakter hat, der schließlich jeden, gleich welcher Gruppenzugehörigkeit, ja das Individuum selbst bedroht. Emcke spricht von einer „Engführung der Wirklichkeit“, die primär noch gar nicht Hass dem Anderen, Fremden gegenüber hervorbringt. Sie verstümmele zunächst einmal einen selbst, die eigene Phantasie – und mit ihr schließlich die Fähigkeit zur Einfühlung –, indem sie die mannigfaltigen Individuen auf „eine Form“ reduziert. „Und dadurch verkoppeln [sich] individuelle Personen zu Kollektiven, und Kollektive verbinden sich mit immer denselben Zuschreibungen“ (Emcke 2016, 62f.). Aus konkreten Individuen wird eine gesichtslose Masse; sie werden nicht mehr als Subjekte wahrgenommen, sondern wie „Elemente einer mathematischen Gleichung“ – sie werden zu „manipulierbare[m] ‚Material‘“ erniedrigt (vgl. Adorno 1995, 126). Der Einzelfall, das je konkrete Individuum wird dann zum „bloßen Beispiel für etwas Allgemeines, das wiederum durch allgemeine Maßnahmen erledigt werden könne, die umso radikaler sind, als sie keine Ausnahme erfordern“ (ebd., 127). Auf die wachsende Verachtung von allem Abweichenden verweist auch Koecke, wenn er die komplexitäts- und pluralitätsreduzierende Natur des Ressentiments beschreibt: „Ressentimenthandeln und -denken [ist] fixierte und fixierende, kopflose Verkürzung von Pluralität [...]. Ressentiment ist jeder Wahl, jeder Nuance unfähig […] und es kann dabei nur Freunde und Feinde, Heilige und Sünder […] geben“ (Koecke 1994, 173). Das Besondere jedoch, das Eigentümliche, Eigenwillige, Eigenartige hat darin keinen Platz mehr: „[N]ie ist das Individuum als etwas Vieldeutiges, Auswählendes, viele Interpretationen in sich Bergendes gefährdeter als in solchen Ausgrenzungskollektiven. Es ist gefährdet, zur Eindeutigkeit gebracht zu werden“ (ebd.).

Ressentiment und Faschismus haben einige auffällige Ähnlichkeiten. Dennoch lässt sich das Ressentiment nicht als faschistisch oder faschistoid charakterisieren. Zum einen sind einige der hier angerissenen Elemente des Faschismus, und die sich daraus ergebenden Dynamiken, nicht exklusiv: Auch andere Ideologien leben von und definieren sich über ihre Feindbilder – so etwa der Antifaschismus – und zielen wesentlich auf die Entfachung mobilisierender Leidenschaften – historisch gesehen ja eher ein Merkmal der Linken. Zum anderen handelt es sich beim Ressentiment eben um einen Persönlichkeitszug, ein Grund- und Lebensgefühl, das nicht programmatisch ist, das nicht ideologisch aufgeladen ist oder politisch bestimmbar. Gleichwohl handelt es sich um eine Denk- und Gefühlsstruktur, die relativ leicht mit einem spezifischen Inhalt, einer konkreten Weltanschauung aufgeladen werden kann. Und aus diesem Grund ist Ressentiment zweifellos anfällig, nicht bloß von Populismen jeder Couleur, sondern auch vom Faschismus manipuliert und instrumentalisiert zu werden. Die psychologische Kondition des Ressentiments ist nicht faschistisch – aber sie lässt sich, gerade angesichts der relativen Ähnlichkeit mit dessen Grundzügen, vom Faschismus nahezu widerstandslos für seine Zwecke instrumentalisieren. Man kann sogar so weit gehen, dass das Ressentiment eine Denk- und Gefühlsstruktur darstellt, die gewisse psychologische Voraussetzungen für faschistische Ideologien und deren gesellschaftliche Verbreitung liefert. Dezidiert faschistisch ist Ressentiment jedoch nicht.

 

Literatur

Adorno, Theodor W.: Studien zum autoritären Charakter. Frankfurt a.M. (1995).

Bucher, Rainer: Nietzsches Mensch und Nietzsches Gott: Das Spätwerk als philosophisch-theologisches Programm. Frankfurt a.M. (1993)2 (Würzburger Studien zur Fundamentaltheologie. Band 1).

Deleuze, Gilles: Nietzsche und die Philosophie. München (1976).

Emcke, Carolin: Gegen den Hass. Frankfurt a.M. (2016)3.

Hacker, Friedrich: Das Faschismus-Syndrom: Analyse eines aktuellen Phänomens. Frankfurt a.M. (1992).

Hilgers, Micha: Scham: Gesichter eines Affekts. Göttingen (2013)4.

Koecke, Christian: Zeit des Ressentiments, Zeit der Erlösung: Nietzsches Typologie temporaler Interpretation und ihre Aufhebung in der Zeit. Berlin/New York (1994) (Monographien und Texte zur Nietzsche-Forschung. Band 29).

Körner, Jürgen: „Der ressentimentgeladene Gewalttäter“. In: Psyche: Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen 62 (2008), 905–928.

Lauret, Bernard: Schulderfahrung und Gottesfrage bei Nietzsche und Freud. München (1977).

Nietzsche, Friedrich: Menschliches, Allzumenschliches I. Kritische Studienausgabe. Band 2. Hg. v. Giorgio Colli/ Mazzino Montinari. München (2005)8.

ders.: Zur Genealogie der Moral. Kritische Studienausgabe. Band 5. Hg. v. Giorgio Colli/ Mazzino Montinari. München (2005)8.

Olschanski, Reinhard: Ressentiment: Über die Vergiftung des europäischen Geistes. Paderborn (2015).

Paxton, Robert O.: Anatomie des Faschismus. München (2006).

Scheler, Max: Das Ressentiment im Aufbau der Moralen. Frankfurt a.M. (1978).

Scherpe, Klaus R.: „Ressentiment: Eine Gefühlstatsache“. In: Weimarer Beiträge: Zeitschrift für Literaturwissenschaft, Ästhetik und Kulturwissenschaften 54.2 (2008), 165-181.

Schoeck, Helmut: Der Neid: Eine Theorie der Gesellschaft. Freiburg/ München (1966).

Sloterdijk, Peter: Die Verachtung der Massen: Versuch über Kulturkämpfe in der modernen Gesellschaft. Frankfurt a.M. (2000).

Sommer, Bernd: Prekarisierung und Ressentiments: Soziale Unsicherheit und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland. Wiesbaden (2010).

Wiehl, Reiner: „Ressentiment und Reflexion: Versuchung oder Wahrheit eines Theorems von Nietzsche“. In: Nietzsche-Studien 2 (1973), 61–90.



[1] Die Ausführungen zum Phänomen des Ressentiments basieren auf dem kürzlich erschienenen Essay „Ressentiment. Wiege des Populismus“, Verlag Text & Dialog Dresden.