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Nr. 2 / 2019
Faschistische Versuchungen

Die Heterogenität des Führers. Georges Batailles möglicher Beitrag zur Faschismustheorie

Für den Versuch, den Begriff des Faschismus für aktuelle Debatten zu rehabilitieren, lohnt sich oftmals ein Blick auf jene Denker*innen, die den Faschismus aus nächster Nähe erfahren haben. Aufgrund ihrer Sperrigkeit zählen die Schriften des französischen Philosophen und Schriftstellers Georges Bataille jedoch nicht unbedingt zu den ersten, die hierfür herangezogen werden. Bereits in den 1930er-Jahren gab es zwar einige flüchtige Erwähnungen Batailles im Umfeld des Instituts für Sozialforschung, aber – ähnlich wie Walter Benjamin – stand Bataille stets abseits der Kritischen Theorie: zu dunkel, zu mystisch, zu irrational. Eine Kritik, die Habermas 1985 in seinen Vorlesungen Der philosophische Diskurs der Moderne wiederholen wird. Doch spätestens durch die Vermittlungsarbeit von Foucault und Derrida hat es Bataille in den philosophischen Diskurs geschafft. Der folgende Text versucht daher nicht den Denker Bataille vorzustellen, sondern fragt, welchen Beitrag er zum Verständnis des Faschismus leisten kann. Hierfür muss zunächst verstanden werden, aus welchen Gründen sich Batailles Schriften überhaupt dem Faschismus zuwenden. Nur so kann verhindert werden, falsche Erwartungen zu wecken, denn obzwar Bataille durchaus einige Schriften zum Faschismus seiner Zeit verfasst hat, ist fraglich, ob sich in seinem Werk überhaupt eine Theorie des Faschismus findet.

In einem seiner Hauptwerke: Der verfemte Teil (1949), daskeinen geringeren Anspruch hat, als eine völlig neue allgemeine Ökonomie zu entwickeln, und dabei verschiedenste historische Etappen durchleuchtet­­­, findet sich keine explizite Auseinandersetzung mit dem Faschismus, und das, obwohl das Werk  nur vier Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges erschienen ist. Die in diesem Werk vorgestellte allgemeine Ökonomie geht im Gegensatz zu der beschränkten Ökonomie nicht von dem Prinzip des Mangels und Nutzens aus, sondern von einem prinzipiellen Überschuss. Damit ist keineswegs gesagt, dass wir nicht im Individuellen und Konkreten unter handfesten Mängeln leiden – dennoch ist es für einen angemessen Blick auf die ökonomischen Zusammenhänge unentbehrlich, Phänomene des Überschusses und der Verschwendung zu integrieren. In jeder Gesellschaft finden sich Formen der Verausgabung, egal wie groß der Mangel bei einzelnen Gruppen auch sein mag. Damit wird die klassische beschränkte Ökonomie mit ihrem Nützlichkeitsprinzip und ihrer rationalistischen Bestimmung des Menschen als einen homo laborans nicht vollständig verworfen, sondern vielmehr um entscheidene Elemente ergänzt. So wie die Existenz des Menschen nicht auf arbeitsförmige Praktiken zu reduzieren ist, sind die ökonomischen Prozesse, in denen der Mensch eingebunden ist, nicht auf ein Nützlichkeitsprinzip zu reduzieren. Eine allgemeine Ökonomie des Menschen muss die Praktiken der unproduktiven Verausgabung und Verschwendung als essentiellen Teil des Menschen ernst nehmen und sie nicht allein als irrationale Ausbrüche und Abweichungen ausklammern oder rationalistisch und funktionalistisch auflösen. Ausgehend von dieser Perspektive ist das eigentliche ökonomische Problem eines Organismus oder Systems nicht, wie ausreichend Energie akkumuliert werden kann, sondern auf welche Weise überschüssige Energie verschwendet werden kann. Jedes System könne zwar die Energie zunächst in extensives und intensives Wachstum oder in Fortpflanzung investieren, doch diese Möglichkeiten des Wachstums stoßen immer wieder an ihre Grenzen (Bataille 1985, 54). Darüber hinaus muss die vorhandene Energie unweigerlich verschwendet werden, da jedes organische Leben an einem Zuviel an Energie zu Grunde geht. Analog dazu leiden für Bataille auch Gesellschaften nicht unter einem Mangel an Energie, sondern stehen vor dem Problem, dass sie immer zu viel erwirtschaften und bereitstellen können. Insofern nun jeder Mensch und jede Gesellschaft dem Gesetz des Überschusses untersteht, führt die Verdrängung dieser Aspekte zu schwerwiegenden Konsequenzen. Immer wieder weist Bataille auf die fatalen Folgen hin, wenn es der Mensch nicht schafft, generöse Formen der Verausgabung und Verschwendung zu finden. Die Frage ist daher, ob die Verschwendung des Energieüberschusses „in glorioser oder in katastrophischer Form“ geschieht (Bataille 1985, 45). Der Zweite Weltkrieg ist für Bataille zweifelsohne die grausamste Entladung unproduktiver Überschüsse und steht für den Verlust von unproduktiven Formen der Verausgabungen, wie sie in vormodernen Gesellschaften durch Rituale der Gabe, des Opfers und des Festes Bestand hatten. Und doch sind für Bataille die Weltkriege und die damit verbundenen politischen Entwicklungen als jüngste Beispiele nur symptomatisch für das prinzipielle Problem der Moderne, die in der Verabsolutierung des Nützlichkeitsprinzips alle glorreichen und generösen Formen der Verschwendung verunmöglicht.

Dieser werkimmanente Theoriestrang darf nicht darüber hinweggehen, dass der Faschismus während der 1930er-Jahre ein zentrales Thema für Bataille war. Doch er war nicht einfach ein abstrakter Gegenstand, dem es sich philosophisch zu nähern gilt – der Faschismus war eine reale Bedrohung, zu der Bataille sich verhalten musste. Batailles Äußerungen zum Faschismus müssen daher im Kontext seines politischen Aktivismus gesehen werden. Der Einsatz des Denkens zielt nicht allein auf eine theoretische Durchdringung, sondern auf eine politische Verteidigung. In den zwanziger Jahren fing Bataille mit dem Schreiben an und bewegte sich ab 1923 im Umfeld der Surrealisten um André Breton und dessen psychoanalytischen Zugang zu Literatur. Zeit seines Lebens wird Bataille in einem ambivalenten Verhältnis zum Surrealismus stehen (Galetti 2016; Bataille 2012, 128-130). So kam es bereits Anfang der dreißiger Jahre zum ersten Konflikt mit Breton sowie den Surrealisten, da Bataille sich zunehmend linken und sozialistischen Ideen verschrieben hatte. Von 1933 bis 1934 war Bataille aktiv in der von Boris Souvarine mitgegründeten Vereinigung Cercle Communiste Démocratique. Von ihr herausgegeben wurde wiederum La Critique Sociale, in der Bataille zwei seiner wirksamsten Aufsätze jener Zeit – Die psychologische Struktur des Faschismus und Die Idee der Verausgabung – veröffentlichen sollte. Die psychologische Struktur des Faschismus – gewissermaßen der Schlüsseltext zu Batailles Einschätzung des Faschismus – muss daher eher als eine antifaschistische Geste und weniger als eine strenge wissenschaftliche Analyse gelesen werden. Allerdings finden sich bereits in diesem kurzen Text die zentralen Motive seiner Faschismus-Interpretation. 1935 gründete er gemeinsam mit Breton und Roger Callois das kurzlebige anti-faschistische Kollektiv Contre-Attaque, dieses endete kurz darauf allerdings in einem erneuten Zerwürfnis (Hussey 2016, 50; Galetti 2016, 27). Batailles Bruch mit Breton und den Surrealisten in der Vorkriegszeit lässt sich schließlich auch als ein Bruch mit dem prä-faschistischen Ästhetizismus lesen. In Batailles Augen überschätzte Breton die Wirkmacht der künstlerischen Avantgarde. Das Ende von Contre-Attaque markierte darüber hinaus aber auch eine generelle Abkehr von der Realpolitik (Suleimann 1994). Das heißt nicht, dass Bataille hiernach keine Bestrebung mehr hatte, die Gesellschaft zu verändern, allerdings nun auf dem „religiösen“ Wege (Hollier 2012, 772f.). Hierfür gründete Bataille 1936 den Geheimbund Acéphale und brachte eine gleichnamige Zeitschrift heraus. Im Jahre 1937 widmet sich die Januarausgabe von Acéphale mit dem Untertitel Nietzsche et le fascistes. Une Réparation direkt dem Faschismus. Bataille, der in gewisser Hinsicht versuchte, das Erbe Nietzsches anzutreten, verurteilt auf schärfste dessen Vereinnahmung durch die Nazis, allen voran Elisabeth Förster-Nietzsche (Bataille 1937, 3). Im März 1937 schließlich gründete Bataille mit Roger Caillois und Michel Leiriseine eigene Intellektuellen-Vereinigung: das Collège de Sociologie. Das Ziel ist die Entwicklung einer Sakralsoziologie im Anschluss an Durkheim.Unter den hier versammelten Personen fanden sich Größen wie Pierre Klossowski und A. Kojève, aber auch Exil-Intellektuelle aus Deutschland wie Hans Meyer oder Walter Benjamin. Das Collège arbeitete zwei Jahre, bis es sich im Juli 1939 auflöste. Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine rein wissenschaftliche Vereinigung, sondern gleichermaßen wird gefragt, wie moderne Formen der Vergesellschaftung über das Sakrale wieder in die Gemeinschaft transformiert werden können (Falasca-Zamponi 2016, 45).

Auch wenn es falsch wäre, davon auszugehen, dass Batailles Denken nicht zutiefst von den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges geprägt ist, nimmt der Faschismus in seiner historischen Gestalt in Batailles Theorie keine gesonderte Stellung ein. Dafür gehen seine Schriften ab den 1940er-Jahren einerseits stärker ins Ethnologische, Anthropologische oder gar Kosmologische und wagen einen breiteren Blick auf den Menschen; andererseits gehen sie ins Literarische und Mystische, wie die Schrift Die Innere Erfahrung von 1943 belegt. Ähnlich beschreibt es Bataille selbst, wenn er auf die zweite Hälfe der 1930er zurückschaut:

„Für einen sehr kurzen Augenblick habe ich freilich ein politisches Brodeln verspürt. Aber sehr rasch war ich diesen Fragen nicht mehr gewachsen. Um Kommunist zu sein, müsste ich Hoffnung in die Welt setzen. Dass wir uns recht verstehen: es fehlt mir die Berufung jener, die sich für die Welt verantwortlich fühlen. Bis zu einem gewissen Grad verlange ich auf der politischen Ebene die Verantwortungslosigkeit der Irren… Ich bin nicht so verrückt, aber ich übernehme nicht die Verantwortung für die Welt, in welchem Sinne auch immer“ (Bataille 2012, 98f.).

Ein weiterer möglicher Grund, warum sich keine langfristige Begriffsarbeit zum Faschismus findet, scheint zu sein, dass Bataille den Faschismus in der Verlängerung des Kapitalismus und seiner Akkumulationslogik betrachtet. Die eigentlichen Ursachen gingen dann viel weiter zurück und hingen mit der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft zusammen. Diese wiederum – und hier ist er ganz nah an der Weber’schen Interpretation – sei letztlich das Ergebnis der protestantischen Ethik und des Calvinismus. Dann aber ließe sich der Faschismus vor allem als Spätfolge und Pervertierung jener Widersprüche lesen, die einer bürgerlichen kapitalistischen Gesellschaft immanent sind. Doch auch wenn der Faschismus als historische Episode theoretisch in einen größeren Zusammenhang gestellt wird, ist er für Bataille nicht bloß Symptom. In seiner Einmaligkeit berührt der Ausbruch des Faschismus eine grundsätzliche Dimension menschlicher Existenz – mit fatalen Folgen.

Die zentrale Unterscheidung, von der aus Batailles Gedanken zum Faschismus gelesen werden müssen – allen voran der Aufsatz Die psychologische Struktur des Faschismus –, ist die zwischen dem Homogenen und dem Heterogenen. Diese Unterscheidung ist mit Batailles Projekt einer Heterologie verknüpft und stark beeinflusst von Durkheims Religionssoziologie, obgleich sie eine Vertiefung dessen darstellt (Bataille 1970: 104). Entgegen dem Titel handelt es sich bei dem besagten Aufsatz daher nicht um eine Psychologisierung des Faschismus, sondern um einen marxistischen Versuch über die Psyche des Faschismus in der Traditionslinie der französischen Religionssoziologie (Falsaca‑Zamponi 2016, 39). Es geht um das Psychologische als ein soziologisches Problem, insofern innerpsychologische Konflikte immer auch gesellschaftliche Konflikte sind (Hussey 2016, 57). Durkheim selber versuchte das Verhältnis von Religionen und Gesellschaften funktionalistisch zu bestimmen. Die Entstehung von Religionen markiert eine Trennung zwischen dem Heiligen und dem Profanen. Ersteres liefert geteilte Normen und Rituale, die das Individuum überdauern und so die Schaffung von Institutionen und sozialer Kohäsion ermöglichen. Dieser Gedanke erklärt Batailles großes Interesse an Phänomenen des Sakralen, an Ritualen und Mythen und ihrer Bedeutung in vormodernen Gesellschaften. Fündig wurde er dabei in den ethnologischen Studien von Marcel Mauss, Lucien Levy-Bruhl und J. G. Frazer. Prominent ist hier Batailles Interpretation des Potlatch, die er in Anschluss an Mauss’ Essai sur le don entwickelt. In der Praxis des Potlatch, einem Fest, bei dem eine große Zahl von Gütern einer*m Rival*in geschenkt oder in extremen Fällen sogar zerstört wird, um Prestige zu erhalten, findet sich nicht nur ein regulierendes Ritual, sondern eine Verschwendung, die die Opfernden selber auf Spiel setzt. So wundert es auch nicht, dass Bataille schließlich die Idee des Opfers (sacrificum) mit der des Heiligen (sacer)theoretisch zusammenführt und gerade in den archaischen Praktiken der Verschwendung und Zerstörung den eigentlich neuralgischen Punkt des Sakralen sieht. Das Sakrale steht hier nicht nur für einen metaphysischen Überbau, der als spirituelle Rahmung den gesellschaftlichen Zusammenhalt gewährleistet, es konstituiert nicht nur eine Ordnung, sondern überschreitet sie immer auch potentiell, indem sie als das Andere der Ordnung verstanden wird. An diesem Punkt setzt die Unterscheidung einer homogenen und heterogenen Sphäre an. Analog zu Durkheim steht die homogene Sphäre für das Profane, Alltägliche, die heterogene Sphäre dagegen für das Sakrale oder Heilige. Doch für Bataille bildet das Heilige nur ein Moment des Heterogenen. Neben den höheren (imperativen) Formen gibt es die niederen (elenden) Formen des Heterogenen. Die „duale Struktur“ (Bataille 1997, 20) des Heterogenen formiert sich um Gegensätze wie rein/unrein, die allerdings aufeinander bezogen bleiben, gar ineinander fallen. Insofern Bataille diesen Doppelcharakter des Heterogenen betont, erweitert er die Gegenüberstellung von Heiligem und Profanem. Bei den Beispielen, die Bataille für heterogene Elemente anführt, handelt es sich dementsprechend gleichermaßen um verfemte Phänomene wie Tod, Gewalt, Sexualität, Träume, Neurosen, unproduktive Verausgabungen, Abfälle, Ausscheidungen. Das Sakrale dagegen und religiöse Konzepte wie Mana oder Tabu, aber auch der (Militär‑)Adel in seinem aristokratischen, vornehmen Habitus,gehören zu höheren Formen des Heterogenen, bestimmte Gruppen wie Teile des (Lumpen-)Proletariats oder Wahnsinnige, die aus der Gesellschaft und dem Alltag verdrängt werden, zu den niedrigen Formen.

Verbunden mit dem Heterogenen sind zudem extreme Affekte, die sich bis in Maßlosigkeit, Delirium oder Wahnsinn steigern können. Das heißt nicht, dass spezifische Affekte für das Heterogene stehen, vielmehr ist dort von Heterogenität die Rede, wo „Affektivität“ selbst hervortritt. Es lässt sich daher eher von einer affektiven „Ladung“ sprechen, die prinzipiell jedes Objekt erfassen kann. Je nach Polung bilden sie schockartig Attraktion und Repulsion aus und können auf verschiedene Objekte überspringen. Daran wird deutlich, dass das Verhältnis zwischen dem Homogenen und dem Heterogenen selbst heterogen und damit instabil ist. Das Heterogene bezeichnet nicht bloß andere Dinge, sondern eine andere Realität: „Die heterogene Existenz kann also in Bezug auf das gewöhnliche (Alltags‑)Leben als das ganz Andere bezeichnet werden; […]“ (Bataille 1997, 18).

Für seine Faschismusanalyse fragt Bataille zunächst auf der Ebene der Gesellschaft, wie Homogenität und Heterogenität in der Moderne zueinanderstehen. Nach Bataille umfasst die Sphäre der sozialen Homogenität den Bereich der produktiven Arbeit, des instrumentellen Zugriffs und schließt durch die Identitätslogiken von Technik und Wissenschaft alle unnützen Elemente aus: „Basis der sozialen Homogenität ist die Produktion. Die homogene Gesellschaft ist die produktive Gesellschaft, das heißt die nützliche Gesellschaft“ (Bataille 1997, 11). In der homogenen Sphäre besteht die Existenz eines Menschen primär in seiner ökonomischen Nützlichkeit für andere. In klassisch marxistischer Diktion erklärt Bataille dabei, wie innerhalb des Kapitalismus das Proletariat nur über seine Lohnarbeit in die Homogenität integriert ist, der Profit dagegen bei der besitzenden Klasse bleibt. Dementsprechend wird die Homogenität über jene Klasse gestiftet, die über die Produktionsmittel verfügt. Hieraus ergeben sich notgedrungen ökonomische Widersprüche, die die Stabilität der sozialen Homogenität bedrohen. Auf dieses Problem reagiert die Herausbildung staatlicher Strukturen in einer Doppelfunktion von Anpassung und Autorität. Ungleiche, heterogene Elemente werden entweder angeglichen oder bei Widerstand exkludiert. Je nach Gewichtung dieser Funktion variiert der Staat zwischen Demokratie und Despotismus. Doch die gewalttätige Exklusion heterogener Elemente vollzieht sich selber über hohe, imperative Formen des Heterogenen – klassischerweise Militär und Religion. Die homogene Sphäre einer Gesellschaft kann sich nur durch die imperativen Kräfte eines heterogenen Elementes halten, da eine homogene Gesellschaft aus sich heraus keinen Sinn erhalten kann, sie ist ausgerichtet auf ein heterogenes Element (Bataille 1997, 24). Der Ausschluss aus der sozialen Homogenität prägt in einem dialektischen Prozess die heterogene Sphäre des Sozialen.

Während in klassischen Monarchien die niederen von den höheren heterogenen Elementen getrennt sind, verschmilzt der Faschismus sie. Die erste Sphäre des Heterogenen, der sich der Faschismus dabei ermächtigt, ist die Armee. Sie „existiert inmitten der Bevölkerung als das ganz Andere […]“ (Bataille 1997, 30) und bleibt mit ihren Werten eine domestizierte heterogene Sphäre innerhalb der gesellschaftlichen Homogenität (vgl. auch Bataille 2012b, 183f.). Durch ihre Nähe zu Gewalt, Krieg und Tod hat sie Anteil an den niederen Formen der Heterogenität, wird jedoch durch Disziplinierung geformt und homogenisiert (Uniform, Paraden). Hinzu kommt die symbolische Aufladung der ihr inhärenten Gewalt durch Werte wie „Ruhm“, „Pflicht“ oder „Ehre“ sowie der unbedingte Gehorsam gegenüber dem Oberbefehlshaber. Die Armee wird erst durch den Führer[1] zu einer vollständig homogenen Masse. Der faschistische Führer treibt diese militärische Unifizierung so weit, dass schließlich die Sphäre des Homogenen eingebunden wird. Die umfassende Militarisierung der Gesellschaft steht innerhalb des Faschismus allerdings nur für ein Moment, da die Gewalt der faschistischen Aktion allein nicht die Bindungskraft für eine totale Herrschaft ausbilden kann. Dies wird ermöglicht durch eine kultische Ausrichtung auf den Führer, der als transzendentes Prinzip über allem steht, wodurch alle „sozialen Gruppen zusammen[ge]braut werden(Bataille 1997, 35). Somit verdichtet der Faschismus in sich nicht allein die militärische Macht, sondern besetzt zugleich die religiöse Autorität (Bataille 1997, 27). Wenn dem Faschismus hier eine quasi-religiöse Funktion zugesprochen wird, muss dabei klar sein, dass das Religiöse nicht allein als transzendente und sinnstiftende Ordnung auftritt, sondern gleichermaßen als höhere Form heterogener Phänomene gesehen wird. Die Gewalt der faschistischen Aktion und das Prinzip des unbedingten Gehorsams gegenüber dem Führer überschreiten das Prinzip der Nützlichkeit aus der homogenen Sphäre und werden so auf eine heilige erhabene Ebene gebracht (Bataille 1997, 21). Doch die Form der Selbstzweckhaftigkeit des Sakralen wird durch den Faschismus pervertiert (Hussey 2016, 59). Sie führt nicht zu einer Befreiung des*r Einzelnen aus der beschränkten Verwertungslogik, sondern führt zur totalen Selbstaufgabe unter einer Ideologie:

„Der Führer ist Emanation eines Prinzips, das nichts anderes ist als die ruhmreiche Existenz des Vaterlandes, zum Wert einer göttlichen Kraft erhoben, die – über jede andere denkbare Rücksicht erhaben – nicht allein Leidenschaft, sondern Ekstase von den Beteiligten verlangt“ (Bataille 1997, 34).

Die Figur des faschistischen Führers wird zu einem Heiligen, der zugleich über und unter der Sphäre des Homogenen steht. Als Prophet einer Gegengesellschaft exponiert der Führer die Widersprüchlichkeit des Heterogenen par excellence. Seine „tiefgreifende Wirkung besteht darin, daß er die Verlassenheit und das Elend des Proletariats durchlebt hat“ (Bataille 1997, 35). So verkörpert er den Gegenentwurf zu der staatlich verfassten Homogenität und ihren demokratischen Politiker*innen und „erschein[t…] auf den ersten Blick […] als das ganz Andere“ (Bataille 1997, 18). Ihn umringt das Mal des Unberührbaren und Ausgestoßenen.

Dem Faschismus gelingt es durch die politisch totalitäre Aneignung und Militarisierung, das Heterogene neu zu strukturieren. Die Vereinheitlichung der Gesellschaft erfolgt über das mythische Prinzip der Rasse und des Volkes. Die faschistische Partei bindet die heterogenen Elemente des Religiösen und des Militärs zu einer Einheit, die nicht mehr unterschieden werden kann, und verschränkt die Binnen- und Außenherrschaft.

Diese Dynamik tritt für Bataille in Demokratien auf, da diese es nicht schaffen, die revolutionären Kräfte der Massen zu binden. Die Verdrängung des Heterogenen im Zuge des Erstarkens der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft und der Ablehnung aristokratischer und religiöser Herrschaftsformen „[ließ das] Feld frei […] für eine totale Erneuerung der imperativen Anziehung auf populärer Basis“ (Bataille 1997, 41). Demokratien lassen gewissermaßen den revolutionären Klassenkampf erschlaffen, insofern der monarchische Gegenpart fehlt. Der Sozialismus wiederum musste in Batailles Augen gegenüber dem Faschismus versagen, da er versucht hat, die Probleme auf Ebene des Homogenen, des Ökonomischen, allein zu lösen. Doch Faschismus lässt sich nicht auf die ökonomischen Bedingungen reduzieren (Bataille 1997, 38).

„Socialism had failed because it had tried to take on capitalism in the domain of economics – precisely the source of capitalist power. Fascism, on the other hand, had revealed the limits of capitalism, and its weakness, by opposing capitalism in the domain of the social, that is to say, sacred. “ (Hussey 2016, 59)

Schließlich verspielte der Sozialismus so das Potential jener heterogenen Elemente, die Bataille auch als subversive Formen bezeichnet und deren Wesen es ist, die Position des Hohen und Niedrigen zu tauschen (Bataille 1997, 40).

Auch wenn offen bleibt, ob diese verstreuten Bemerkungen überhaupt eine Theorie des Faschismus darstellen oder einen ausgearbeiteten Faschismusbegriff anbieten, vor allem da Bataille in den 1930er-Jahren weder die ganze Tragweite des faschistischen Staatsapparats noch das volle Ausmaß des Holocaust absehen konnte, finden sich einige Motive, die für die heutige Diskussion anschlussfähig sind. Zunächst erscheint Batailles Faschismus-Interpretation als eine spekulative Melange aus häretischen Marx-Lektüren, psychoanalytischen Versatzstücken und ethnologischen Studien seiner Zeit. Sie versucht psychosoziale wie auch ökonomische Aspekte einzufangen, ohne monokausale Erklärungen zu liefern. Innerhalb bekannter Faschismus-Theorien scheint Bataille auf den ersten Blick nicht viel Neues zu bringen. Sowohl die Thesen der totalen Militarisierung und der Gewaltaffinität als auch die einer politischen Religion und des Führerkults sind bekannte Motive (Esposito 2016, 9-11). Gleichermaßen ist die marxistische Verknüpfung von Kapitalismus- und Faschismuskritik für jene Krisenzeit typisch, in der junge Demokratien von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verwerfungen geprägt sind. In ihrer kritischen Stoßrichtung verfahren Batailles Schriften zum Faschismus daher immer mindestens zweigleisig. Doch obgleich seine frühen Schriften durchaus klare kommunistische Obertöne haben, wählt Bataille nicht die einfache Bifurkation zwischen Faschismus und Kommunismus. Vielmehr findet sich mit der Zeit eine generelle Skepsis gegenüber politischen Großentwürfen. So heißt es in einem von Bataille unterzeichneten Flugblatt aus dem Jahr 1935 bereits: „Radikal gegen die faschistische Aggression gewandt, / Rückhaltlos der bürgerlichen Herrschaft feind, / Außerstand, dem Kommunismus zu vertrauen […]“ (Hollier 2012, 20). Diese mehrfache Abgrenzung ist typisch für Bataille, der sich schwer in den klassischen Kanon der Philosophie einordnen lässt. Eine eindeutige Verortung innerhalb der Faschismus-Theorien ist auch deshalb kaum möglich, da spätestens ab den 1940er-Jahren die Hinwendung zu konkreten politischen Entwürfen aus seinen Schriften verschwindet (Suleimann 1994, 69-79).[2] Dies mag auch der Grund sein, warum Bataille nie eine wirklich politische Philosophie entwickelt hat. Und so sagt er selber in einem Gespräch mit Marguerite Duras 1957:

„Ich war nie ins politische Leben verwickelt. Was für mich immer zählte, war, zu verstehen. Aber ich hatte kein persönliches Verlangen. Ich fand die Welt empörend. Aber es ist mir nie passiert, aus dieser empörten Welt einen Ausweg zu finden“ (Bataille 2012, 98).

Bereits in den letzten Zeilen seines Faschismus-Aufsatzes wechselt Bataille die Perspektive und spricht von der Vergänglichkeit aller „menschlichen Konstellation“ wie Kommunismus oder Faschismus und bedenkt die Möglichkeit, „sich, wenn auch noch undeutlich, Kräfte vorzustellen, die anders sind als die jetzt bekannten […]“ (Bataille 1997, 42). Hier lässt sich erkennen, wie Bataille die Krisen-Situation in eine generelle Vernunftkritik der Moderne einbettet. Dabei verfolgt er nicht die Strategie der Dämonisierung, sondern sieht im Faschismus die falschen Antworten auf durchaus richtige Fragen. Dadurch bleibt Batailles Haltung zum Faschismus ambivalent: Zwar hätte er niemals ernsthaft mit dem faschistischen Regime und seinem Vorgehen sympathisiert, jedoch sieht er im Faschismus die einzige Revolution, die (zumindest zeitweise) den Kapitalismus erfolgreich überwunden hat (Hussey 2016, 57). Eine Deutung, die einen möglichen Anschluss Batailles an gegenwärtige Debatten um den Faschismus-Begriff nicht unbedingt erleichtert. Somit wird auch klar, warum bei Bataille immer eine gewisse Faszination für den Faschismus oder, genauer gesagt, die Mechanismen, durch die er wirkt, mitklingt: „Fascism is a perverted and nostalgic form, but it responds to a deep yearning for a meaningful experience of the sacred“ (Richardson 1994, 93). Nach Bataille hat der Faschismus das menschliche Verlangen nach der Überschreitung der Vernunft, des Nützlichkeitsprinzips und der Arbeit instrumentalisiert. Die Wirkmacht des Führerkults, die Verquickung von Gewalt und Religiosität war nicht aufgrund einer Täuschung, einer Verführung so erfolgreich. Sie berühren untilgbare Züge des Menschen, die nicht bloß zu überwinden wären, sondern die ihn erst zum Menschen machen.

Es wäre verkürzt, Bataille eine faschistoide Romantisierung des Dritten Reichs zu unterstellen, aber – und das scheint trotz der Unvollständigkeit vielleicht ein Alleinstellungsmerkmal in der Beschreibung des Faschismus zu sein – Bataille geht auf Tuchfühlung mit dem Faschismus. Er wagt es, sich von ihm anstecken zu lassen. Statt alles Irrationale oder Affektive des Faschismus auszusondern, sucht er die anthropologischen Motive dahinter. Dabei folgt er der Überzeugung, dass gerade die Verdrängung dieser verfemten Anteile im Menschen ihre zerstörerische Wiederkehr und Entladung provoziert. Womöglich bietet eine Relektüre Batailles weniger ein trennscharfes theoretisches Rüstzeug in der Bestimmung des Faschismus, doch sie stellt die Frage, inwiefern wir die gesellschaftlichen Bedingungen, die den Faschismus ermöglicht haben, wirklich überwunden haben.

Nach Bataille sind bürgerliche Demokratien in dem Maße anfällig für den Faschismus, in dem sie auf religiöser Ebene entkernt sind.[3] Ihnen ist die soziale Dimension des Sakralen mit seinen generösen, verschwenderischen und ekstatischen Momenten, die aus der instrumentellen Verwertungslogik ausbrechen, abhandengekommen. Daher fällt es ihnen schwerer, Gemeinschaft zu bilden, sie laufen eher Gefahr, den Menschen zu atomisieren (Bataille 2012a, 57f.). An diesen Gedanken lässt sich unschwer Batailles Skepsis gegenüber der Demokratie ablesen. Es scheint ihm dabei weniger um die politische Staatsform zu gehen als um den Verlust des Sakralen und Verschwenderischen, den das demokratische Zeitalter einläutet. An diesen Stellen spricht mehr eine diffuse Kulturkritik und eine Faszination archaischer Vergemeinschaftungen, die Bataille mit einem antibürgerlichen Gestus vorträgt. Eine Haltung, die durchaus auch antidemokratisch ausgelegt werden kann. So scheint es zumindest kein Zufall zu sein, dass Siegried Gerlich in der Sezession Gerd Bergfleth, einem der bedeutendsten Übersetzer der Schriften Batailles, zum 80. Geburtstag gratuliert. Bergfleth wird dabei als „subversiver Reaktionär“ betitelt, der es geschafft habe, „auf dem Umweg über das geistige Frankreich [d.h. Bataille, M.D.] jenes andere, dunklere Deutschland wiederentdeckt und so dem deutschen Geist seine abgründige Verführungskraft zurückerstattet zu haben“ (Gerlich 2016, 45).

Unverkennbar schimmert bereits durch Batailles Faschismusanalyse jener dunkle Grund im Menschen, von dem Bataille sich verführen lässt und dem er sich die nächsten knapp 30 Jahre widmen wird. Doch Bataille suchte immer einen anderen Umgang mit dem Problem des Heterogenen, des Überschüssigen im Individuum und der Gesellschaft, so plädiert er beispielsweise für eine „selbstgewählte Gemeinschaft“, statt einer „traditionellen Gemeinschaft“ (Bataille 2012a, 57), und in diesem Kontext lassen sich die oben erwähnte Sakralsoziologie und der Geheimbund Acéphale verorten. Statt eine völkische Ideologie zu entwickeln, wird sich Bataille an einer Religion ohne Gott, einer A-theologie versuchen. Und doch hält sich Bataille bedeckt, was gesellschaftliche Entwürfe betrifft – wohlwissend, dass jede Institutionalisierung der Überschreitung, der Ekstase, kurz des Heterogenen am Ende das Menschliche selbst opfert.

Literatur

Bataille, Georges (1937) (Hg): Acéphale: Nietzsche et le fascistes, Janvier 1937, Numéro Double, http://i.a.m.free.fr/acephale/revue.html (zuletzt abgerufen am 19.09.2019).

Bataille, Georges (1970): „Dossier ‚Hétérologie‘“, in : ders. Œuvres Complètes II. Écrits posthumes 1922-1940, Gallimard, Paris, S. 167-202.

 Bataille, Georges (1985): „Der verfemte Teil“ [1949], in: ders.: Die Aufhebung der Ökonomie, hrsg. v. Gerd Bergfleth, übers. Traugott König, Heinz Abosch u. Gerd Bergfleth, Matthes & Seitz, S. 35-234.

Bataille, Georges (1997): „Die psychologische Struktur des Faschismus“ [1933/34], in: ders.: Die psychologische Struktur des Faschismus. Die Souveränität, übers. v. Rita Bischof, Elisabeth Lenk, Xenia Rajewsky, hrsg. von Elisabeth Lenk, Matthes & Seitz Verlag, München, 7-43.

Bataille, Georges (2012): Die Aufgabe des Geistes. Gespräche und Interviews 1948–1961, hrsg. u. übers. v. Rita Bischof, Matthes & Seitz, Berlin.

Bataille, Georges (2012a): „Die Sakralsoziologie und die Beziehungen zwischen ‚Gesellschaft‘, ‚Organismus‘ und ‚Wesen‘“ [1937] in: Denis Hollier (Hg.): Das Collége de Sociologie 1937-1939, übers. v. Horst Brühmann, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 43-58.

Bataille, Georges (2012b): „Struktur und Funktion der Armee“[1938],in: Denis Hollier (Hg.): Das Collége de Sociologie 1937-1939, übers. v. Horst Brühmann, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 175-188.

Esposito, Fernando (2016): „Faschismus – Begriff und Theorien“, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 06.05.2016, https://zeitgeschichte-digital.de/doks/frontdoor/deliver/index/docId/701/file/docupedia_esposito_faschismus_v1_de_2016.pdf (zuletzt abgerufen am 24.09.2019).

Galetti, Marina (2016): „Surrealism”, in: Mark Hewson / Marcus Coelen (Hg.): Georges Batailles. Key Concepts, Routledge, Abingdon/New York, 25-37.

Gerlich, Siegfried (2016): „Gerd Bergfleth zum 80. Geburtstag“, in: Sezession, Nr. 71, April 2016, hrsg. vom Institut für Staatspolitik, 44-45, https://sezession.de/uploads/sez71.pdf (zuletzt abgerufen am 18.09.2019).

Habermas, Jürgen (1985): Der Philosophische Diskurs der Moderne. 12. Vorlesungen, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M., hier Kapitel: „Zwischen Erotismus und Allgemeiner Ökonomie: Bataille“, 248-278.

Hollier, Denis (2012) (Hg.): Das Collège de Sociologie, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M.

Hussey, Andres (2018): „Fascism and the politics of 1930 Frances“, in: Mark Hewson / Marcus Coelen, Marcus (Hg.): Georges Batailles. Key Concepts, Routledge, Abingdon/New York, 50-60.

Richardson, Michael (1994): Georges Bataille, Routledge, London/New York.

Suleiman, S. (1994): “Bataille in the Street: The Search for Virility in the 1930s”, in: Critical Inquiry 21(1), 61-79, http://www.jstor.org/stable/1343887 (zuletzt abgerufen am 18.09.2019).



[1] Ich verzichte an dieser Stelle bewusst darauf, den Begriff „Führer“ zu gendern, da Bataille sich in seinen Schriften vor allem auf Adolf Hitler und Benito Mussolini bezieht.

[2] Dies erscheint in der Hinsicht paradox, dass gerade die Verschärfung der politischen Situation für Frankreich Bataille zu einem scheinbaren „Rückzug“ ins Innerliche getrieben haben.

[3] An dieser Stelle ließe sich an Bataille zurückfragen, ob nicht gerade der Kapitalismus in seinen jüngsten Ausformungen viele religiöse Züge angenommen hat.