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Nr. 2 / 2022
Ein Foto von dem Kröpckeplatz in der Innenstadt Hannover, im Vordergrund rechts eine Uhr, im Hintergrund zwei große Gebäude
Philosophie am Kröpcke

Wo finden Sie ihren Frieden?

Philosophie – eine Wissenschaft im Elfenbeinturm? Weit gefehlt! Das Forschungsinstitut für Philosophie Hannover macht es sich für jede neue Ausgabe des Journals zur Aufgabe, herauszufinden, was die Menschen auf der Straße von den philosophischen Fragen halten, die im Institut erforscht werden. Pünktlich vor Redaktionsschluss führen wir dementsprechend eine streng wissenschaftlich kontrollierte Studie durch: Wir schreiten zum Kröpcke, der Agora Hannovers, und stellen allen Passant*innen, die uns über den Weg laufen, dieselbe Frage. Auf den Spuren des Sokrates, aber bar jeder Ironie.

Frieden mag im ersten Moment schlicht mit der Abwesenheit von Krieg assoziiert werden. Allerdings stellt sich die Frage, ob sich neben dieser rein negativen Bestimmung auch positiv etwas über Frieden sagen lässt. Bedingt durch die jüngsten politischen Entwicklungen wäre zu diskutieren, inwieweit wir Frieden als Utopie für ein gesellschaftliches Zusammenleben verstehen und leben müssen – gerade auch in Hinblick auf seine bedrohten Voraussetzungen. Überdies stellt sich die Frage, ob Frieden nicht nur die komplexen Verstrickungen von Menschen oder Gesellschaften untereinander betrifft, sondern ebenso jede Person individuell vor der Herausforderung steht, ihren eigenen persönlichen Frieden zu schließen. Solch einen Frieden kann wohl unbestreitbar an und in den verschiedensten Orten, Dingen und Tätigkeiten gefunden werden. Wie aber verhalten sich die individuelle und die gesellschaftliche Dimension zueinander? Und können wir das Eine auch ohne das Andere finden?*

*Alle Namen sind frei erfunden.

 

weiter denken :Wo und worin finden Sie Ihren Frieden?

Elisabeth: Frieden finde ich an verschiedenen Orten und in verschiedenen Dingen: in der Natur, besonders in den Bergen und im Wald, wenn ich wandere oder spazieren gehe. In einer stillen Kirche mit tollem Lichteinfall oder auch beim Musizieren, etwa beim Singen, Klavier oder Orgelspielen. Dazu gehört aber auch das Hören von Musik. Außerdem gibt es mir inneren Frieden, wenn ich Kräuter zwischen den Fingern zerreibe und den Duft riechen kann.

weiter denken:Sie scheinen der Natur und dem Sinn für Ästhetik einen hohen Stellenwert beizumessen.

Elisabeth: Das ist wahr. Ich kann Frieden auch beim gegenseitigen Austauschen, Abwägen und Diskutieren finden, aber nur, wenn jeder seine Meinung kundtun darf, ohne den anderen zu verletzen. Wenn auch Fehler erlaubt sind und nicht der Lauteste Recht hat. Wenn das gegeben ist, kann ich dort Frieden finden, wo ähnliche Werte gelten zwischen den verschiedensten Menschen und ihren Geschichten.

 

weiter denken:Worin finden Sie Ihren Frieden?

Anuschka: Inneren Frieden finde ich, wenn ich die Zeit vergesse bei dem, was ich tue.

weiter denken: Und wann würden Sie sagen passiert das?

Anuschka: Es ist nicht so oft der Fall, aber vor allem dann, wenn ich singe oder etwas lese, was mich fesselt. Dann fühle ich mich im Reinen mit mir und der Umwelt und blende eventuelle Sorgen aus. Auch in der Natur fühle ich mich friedlich und geerdet und so, dass ich denke, dass ich den vielen Krisen in der heutigen Zeit einigermaßen gewappnet gegenüberstehe. Frieden geht für mich deshalb auch über eine persönliche Auslegung hinaus.

weiter denken:Wie genau meinen Sie das?

Anuschka: Hinsichtlich der Kriege weltweit, und gerade mit Blick auf den Krieg in Europa, denke ich, dass der Begriff Frieden sowohl relevanter als auch politischer geworden ist. Durch die vielen Herausforderungen auf der Welt fühle ich mich zwar manchmal machtlos, sammle aber Kraft durch Gespräche mit anderen, die ähnlich denken oder verfolge das Engagement von Leuten, von denen ich mich inspiriert fühle. Der Zustand von Frieden bei anderen, sei es in meinem direkten Umfeld oder weiter gefasst, beeinflusst also auch mein persönliches Empfinden und meinen inneren Frieden.

 

weiter denken:Wo und worin finden Sie Ihren Frieden?

Jamal: Ich selbst spiele Schlagzeug und finde zum Beispiel meinen Frieden, wenn ich mit meinen Leuten im Proberaum bin. Allerdings brauche ich im Großen und Ganzen auch eine Gesellschaft, in der ein friedliches Zusammenleben möglich ist; das gehört für mich auf jeden Fall dazu.

 

weiter denken:Wo und worin finden Sie Ihren Frieden?

Maria: Ich finde Frieden in der Kunst. Ich male sehr gerne und bin in diesen Momenten ganz für mich. Ich höre dann bewusst auch keine Musik und verzichte auf Input von außen, um für diese Zeit in mich zu gehen und die Welt um mich herum ein stückweit auszublenden.

weiter denken:Und wie gut gelingt Ihnen das zur Zeit?

Maria: Gerade mit Blick auf die aktuellen Ereignisse, die einen auch irgendwie beeinflussen, ist das natürlich manchmal gar nicht so leicht. Trotzdem glaube ich, dass es wichtig ist, die Geschehnisse um mich rum hin und wieder vergessen zu können.

 

weiter denken:Wo und worin finden Sie Ihren Frieden?

Tom: Ich finde am meisten Frieden, wenn ich bei mir zu Hause im Garten sitze und den Sonnenuntergang genieße. Gerade das Alleine-Sein erlaubt mir in solchen Situationen, die Welt um mich herum zu vergessen.

weiter denken:Was ist mit dem gesellschaftlichen Geschehen um Sie herum abseits von diesen Momenten?

Tom: Was ich gerade gesagt habe, heißt im Umkehrschluss nicht, dass mir der gesellschaftliche und politische Frieden weniger wichtig wäre; etwa mit Blick auf den Ukrainekrieg. Es sind eher zwei verschiedene Arten von Frieden, zwei verschieden Paar Schuhe, wenn man so will. Aber gerade um mich wohl fühlen zu können, muss ich ab und zu sagen: „Lasst mich damit in Ruhe, ich möchte jetzt gerade für mich selber sein.“

Die Gespräche führte Claas Vey.