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Nr. 1 / 2022
Blick in eine alte Bibliothek,Links ein Bücherregal, rechts davon eine Reihe von Marmorbüsten
Konservatismus

Ist das noch Konservatismus? Grenzverschiebungen am Beispiel der Bibliothek des Konservatismus

Im Westberliner Bezirk Charlottenburg, zwischen dem berühmt-berüchtigten Bahnhof Zoo, dem Kurfürstendamm und der Universität der Künste sowie den Ausläufern der Technischen Universität befindet sich die Bibliothek des Konservatismus (BdK). Wie in vielen Großstädten wirkt die Gegend durch die zahlreichen Geschäftshäuser etwas gesichtslos, Menschen eilen geschäftig von einer Straßenecke zur nächsten, Räume zum Verweilen gibt es wenige, Wohnhäuser sucht man vergeblich. Von außen passt sich die BdK gut in die moderne Architektur ein, die Glasfassadenfront tarnt sie beinahe, wären da nicht in regelmäßigen Abständen antifaschistische und feministische Demonstrationen.Von innen erscheinen Bücher- und Zeitschriftenregale, Arbeitsplätze und Ausleihtheke als klassische Bestandteile einer kleinen Bibliothek. Ein Blick in die Bücherregale irritiert schon mehr: Was meint das Regal »Sonderbestand Lebensrecht«? Und wer hat hier ein Recht auf ein Leben? Welches Publikum sprechen Zeitschriften wie das Compact-Magazin von Jürgen Elsässer und Co. an? Ist das noch Konservatismus?

Im Gegensatz zum Liberalismus und Sozialismus, die auf eigenen Theoriebeinen stehen, bestimmt sich Konservatismus oft in Relation beziehungsweise Abgrenzung zu zeitgenössischen, etwa postmodernen, Maximen und unter Rückgriff auf eine vermeintlich vergangene Größe. Wiederkehrende ideologische Elemente sind darin der Wunsch nach einer klaren sozialen Ordnung, die von Hierarchien geprägt ist, und der hohe Stellenwert von Eigentum (Strobl 2021, 11f). Darüber hinaus lässt sich Konservatismus durchaus unterschiedlich füllen, je nach dem, worauf sich bezogen oder wovon sich abgegrenzt wird. Hier zeigt sich bereits – so paradox es zunächst klingen mag – eine gewisse Wandelbarkeit des Konservatismus. Dieses definitorische Schillern in Verbindung mit einem fehlenden theoretischen Apparat weist bereits darauf hin, dass sich die Bezeichnung konservativ besonders gut als Bindeglied und gemeinsamer Bezugspunkt verschiedener rechter Positionen eignet, wie ich im Folgenden näher ausführen werde. Die 1949 veröffentlichte Dissertation von Armin Mohler zur sogenannten Konservativen Revolution, die zu Zeiten der Weimarer Republik stattgefunden haben soll und die auch im Kontext der Bibliothek des Konservatismus oft als Referenz herangezogen wird, bildet dabei den Versuch, verschiedene antiliberale Denker (von Arthur Moeller van den Bruck über Carl Schmitt bis hin zu Ernst Jünger) in ein politisches Gerüst einzupassen. Dieses Gerüst ist allerdings eine wackelige Angelegenheit und fällt bei genauerer Betrachtung in sich zusammen, wie verschiedene Analysen (exemplarisch Breuer 1990) anschaulich zeigen. Der Historiker Volker Weiß spricht gar von einer »Erfindung[, um] der durch Nationalsozialismus, Shoah und Kriegsniederlage belasteten deutschen Rechten wieder zu einer positiven Tradition« zu verhelfen (Weiß 2017, 44).

Doch zurück in die Gegenwart und zur BdK, die dieses Jahr ihr 10-jähriges Bestehen feiert. Neben der Archivierung von Wissen über den Bücher- und Zeitschriftenbestand dient das Haus in der Fasanenstraße auch – und meiner Analyse nach ist das von zentraler Bedeutung – als Veranstaltungsort. Hier finden Buchvorstellungen statt, angelehnt an einen universitären Semesterrhythmus werden „Seminare“ angeboten, eigene Preise verliehen und Dubletten verkauft. Diese Veranstaltungen dienen zum einen der Außendarstellung, zum anderen schaffen sie eine Verbindung unterschiedlicher Spektren nach innen. So sorgt die BdK als Ort für eine dreifache Verbindung: personell, ideologisch und affektiv. Erstens treffen sehr verschiedene Akteur:innen im Rahmen der Veranstaltungen aufeinander. Im Gegensatz zu Orten, die nach außen eine klarere und somit auch eingeschränktere politische Ausrichtung vorweisen (etwa die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung), finden sich in der BdK beispielsweise sowohl Personen zusammen, die in politischen Parteien, etwa in der AfD, organisiert sind, als auch solche, die eher auf außerparlamentarische Politik setzen, etwa Aktivist:innen der Identitären Bewegung. Auf die Klammer Konservatismus können sich offensichtlich alle einigen. Durch die thematische Bandbreite von antifeministischen „Lebensschutz“ über antisemitische Verklärungen der Europäischen Union bis hin zu einer rassistischen Ablehnung von Migration werden zweitens ideologische Versatzstücke miteinander verbunden. Von besonderer Relevanz sind in diesem Kontext die diskursiven Praktiken, die ich an anderer Stelle (Hümmler 2021) herausgearbeitet habe und die diese Verbindungslinien im Denken überhaupt erst ermöglichen. Besonders eindrücklich lässt sich dies anhand der Praktik »›Ich habe ja nichts gegen xy, aber‹ – Andeutungen, (Miss-)Verständnisse und ›Ja, aber‹-Rhetorik« (ebd. 70 ff.) veranschaulichen, aber auch Verschwörungsdenken über »›Genderlobbyisten‹, ›eingeschleuste Imame‹ und ›okkulte Organisationen‹« (ebd. 80 ff.) löst im Publikum Geraune aus und verbindet somit, neben weiteren diskursiven Praktiken, verschiedene Ideologiefragmente. Drittens fungiert die BdK insbesondere im Rahmen der Veranstaltungen als affektiver Resonanzraum: das Gesagte oder auch nur Angedeutete entwickelt eine Eigendynamik im Raum, hallt nach oder wird verstärkt, affiziert die Anwesenden, schaukelt sich hoch und verebbt. Gemeinsames Lachen über scheinbar absurde Erkenntnisse der Gender Studies, aber auch geteilte Angst vor einer vermeintlichen Überfremdung verbinden und schaffen ein nicht zu unterschätzendes Gemeinschaftsgefühl unter den Anwesenden – unabhängig davon, ob sie sich konservativ oder extrem rechts verstehen. Das Label Konservatismus ermöglicht diese drei Schulterschlüsse erst, unter anderem weil es, wie oben ausgeführt, theoretisch unterbestimmt ist.

Doch warum setzen sich Konservative nicht nennenswert zur Wehr gegen die Vereinnahmung ihres Namens, versammeln sich in der Bibliothek des Konservatismus doch durchaus Positionen, die im demokratischen Sinne nicht mehr als konservativ verstanden werden können? Weshalb sind es vor allem feministische und antifaschistische Aktivist:innen, die diesen Ort skandalisieren? Wieso werden parlamentarische Anfragen von der Linkspartei gestellt und nicht etwa von der CDU? Sind es nicht gerade konservative Stimmen, die hier an Deutungsmacht verlieren? Neben der mitunter geringen Strahlkraft der BdK auf bundesweiter Ebene sehe ich drei inhaltliche Erklärungsansätze, die hier aufschlussreich sein können. Erstens zeigt sich anhand der BdK zunächst, dass Versuche der Normalisierung durchaus erfolgreich sind: Bibliothek klingt genauso harmlos wie Konservatismus, Bezeichnungen wie »Akademie« und »Seminare« wecken Assoziationen zum universitären Kontext – ebenfalls harmlos – und auch die rechte Vielfalt an Themen und Personen lassen diesen Ort als unscheinbar oder gar pluralistisch erscheinen. Wer etwa die menschenfeindlichen Positionen mancher Referent:innen kritisiert, kann leicht mit den Positionen und Inhalten anderer Vortragender argumentativ entkräftigt und emotional besänftigt werden. Darüber hinaus bestehen zweitens je nach Themenfeld deutliche Parallelen zwischen konservativen und extrem rechten Positionen. Wie Liane Bednarz (2020)⁠ in der beachtlich selbstkritischen Broschüre EINSPRÜCHE. Studien zur Vereinnahmung von Theologie durch die extreme Rechte überzeugend darstellt, sind es gerade die Positionen zu Geschlecht und race, die hier ideologische Verbindungen ermöglichen – sei es in der Ablehnung von Abtreibung, vielfältigen Familienformen oder Migration. In Anlehnung daran ist drittens mitunter ein Wunsch nach Abgrenzung gar nicht vorhanden. So zeigt sich nicht nur historisch (Breuer 1990, Weiß 2017)⁠, sondern auch aktuell (Strobl 2021)⁠ eine Vermischung von konservativen und extrem rechten Vorstellungen. Erinnert sei an dieser Stelle auch an die langwierigen Debatten um die sogenannte Werteunion.

Exemplarisch soll anhand eines Zitats von Bibliotheksleiter Wolfgang Fenske kurz dargestellt werden, wie leicht die Grenze zwischen konservativen und extrem rechten Positionen verschwimmt. Neben der inhaltlichen Anschlussfähigkeit sind an dieser Stelle rhetorische Mittel wie Auslassungen, Andeutungen, aber auch die „kalkulierte Ambivalenz“ (Wodak 2016, 125)⁠ von zentraler Bedeutung.

»Das ›wir‹ zu denken und zu empfinden, haben die Deutschen fast völlig verlernt. Die Folgen von ‘68 können in der Sphäre des Politischen nur symptomatisch bekämpft werden. Weit wichtiger ist es, die nachwachsenden Generationen an unser Eigenes heranzuführen. In alten Texten, Bildern und Melodien aufbewahrt, harrt es noch immer seiner Wiederentdeckung.« (Fenske 2018, zit. nach Hümmler 2021, 55)

Bereits der erste Satz impliziert, dass es einst eine Zeit gegeben habe, in der »die Deutschen« ein Gemeinschaftsgefühl empfunden hätten. Wann diese Zeit war – ob es etwa um die Einigungskriege im 19. Jahrhundert oder um den Nationalsozialismus im 20. Jahrhundert geht – bleibt unklar und kann folglich von unterschiedlichen Rezipient:innen unterschiedlich gefüllt werden. Die Gemeinschaft der Deutschen, das »wir«, zu betonen beinhaltet zwangsläufig einen Ausschluss: »ihr«, die Nicht-Deutschen. Doch wer ist deutsch und wer nicht? Wer wird eingeschlossen und wer ausgeschlossen? Geht es um eine nationale Zugehörigkeit, etwa über eine deutsche Staatsbürgerschaft, oder vielmehr um ein völkisches, mitunter klar rassistisches und antisemitisches Zugehörigkeitsgefühl im Sinne einer Blut-und-Boden-Ideologie? Deutschsein ist aber nach Fenske ebenfalls eine Frage der Empfindung, womit an patriarchale Vorstellungen wie »Vaterlandsliebe« angeknüpft und erneut der Stellenwert von Affekten unterstrichen ist. Auch das Feindbild der ‘68er bleibt nebulös: Kritik an der fehlenden Aufarbeitung des deutschen Faschismus, Friedensbewegung, Antirassismus und Antiimperialismus, Feminismus und freiere Sexualitäten, oder allgemeiner der Wunsch nach Liberalisierung? Deutlich wird lediglich, dass die »Folgen […] bekämpft werden« (ebd.), wenn auch nur mit geringem Erfolg. Schließlich zeigt sich im genannten Zitat auch die Ausrichtung der BdK im Sinne rechter Metapolitik, die sich einerseits durch ein langfristig angelegtes Projekt auszeichnet – »nachfolgende Generationen« (ebd.) – und andererseits insbesondere den eher kulturell-künstlerischen und nicht dezidiert politischen Raum als Tätigkeitsfeld erschließt – »Bilder[] und Melodien« (ebd.). Was dann wiederum das Eigene ist, was erst noch wiederentdeckt werden muss, bleibt hingegen konsequenterweise unbestimmt.

Eine Analyse der Bibliothek des Konservatismus als Ort der diversen Grenzverschiebungen verdeutlicht, warum eine Betrachtung der extremen Rechten nicht vor dem Konservatismus Halt machen darf, auch und gerade um bestehende Unterschiede zu fokussieren. Nur so lässt sich konkretisieren, an welchen Stellen Konservatismus lediglich als Deckmantel für extrem rechte Positionen dient. Hilfreich ist dabei der Blick auf diskursive und somit auch affektive Praktiken. Die Notwendigkeit einer Einbeziehung von Emotionen und Affekten in die Analyse dürfte spätestens seit Trumps fake-news einleuchten. Diese affektive Dimension zeigt jedoch auch die Grenzen eines vermeintlich objektiven Dagegenhaltens auf, das in den letzten Jahren so häufig bemüht wurde in dem Glauben, es brauche nur das bessere Argument. Gerade die Geschlechterforschung hält mit ihren kritischen Analysen zu Objektivität und Wahrheit (exemplarisch Haraway 1988 ⁠und Collins 2000)⁠ einen reichen theoretischen Fundus bereit, der für die Rechtsextremismusforschung einen großen Erkenntnisgewinn verspricht und eine fundiertere Analyse ermöglicht.

Literatur

Bednarz, Liane. 2020. »Rechte Christentumsdiskurse – ein Überblick«, in: Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus (hrsg.), EINSPRÜCHE. Studien zur Vereinnahmung von Theologie durch die extreme Rechte, Berlin (2020), 8–22.

Breuer, Stefan: »Die ›Konservative Revolution‹ – Kritik eines Mythos«. Politische Vierteljahresschrift Vol. 31, Nr. 4 (1990), 585–607.

Collins, Patricia Hill: Black Feminist Thought. Knowledge, Consciousness, and the Politics of Empowerment. 2. Aufl. New York / London: Routledge (2000).

Haraway, Donna: »Situated Knowledges: The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial Perspective«, in: Feminist Studies, Vol. 14, Nr. 3 (1988), 575–599.

Hümmler, Lilian: Wenn Rechte reden. Die Bibliothek des Konservatismus als (extrem) rechter Thinktank. Hamburg: Marta Press (2021).

Strobl, Natascha: Radikalisierter Konservatismus. Eine Analyse. Berlin: Suhrkamp Verlag (2021).

Weiß, Volker: Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung (2017).

Wodak, Ruth: Politik mit der Angst. Zur Wirkung rechtspopulistischer Diskurse. Wien / Hamburg: Edition Konturen (2016).