Der dritte Teilband der Reihe »Elementa Œconomia. Wirtliche Ökonomie. Philosophische und dichterische Quellen«, herausgegeben von Ivo De Gennaro, Sergiusz Kazmierski, Ralf Lüfter und Robert Simon versammelt Beiträge in englischer, deutscher, französischer und italienischer Sprache. Ziel ist es, dichterische und philosophische Quellen zur Bestimmung, einer »noch zu entwerfende[n] Ökonomie" (S. 5) zu bedienen. Die Reihe möchte nicht an den »modernen methodischen Wirtschaftswissenschaften« (S. V) ansetzen, sondern eine andersgeartete Ökonomie entwerfen, die die Dimension der Wirtlichkeit in das Zentrum des Wirtschaftens stellt: »Wirtlich heißt: Eigenes und Fremdes freundlich aufnehmend, so dass beides sich im Selben findet und, in solcher Gleichheit, als Verschiedenes deutlicher in seinem Wesen gespart ist.« (S. V) Ziel des Forschungsprogramms ist es, »Schulen — σχολαί — zu sein für ein freies, unvoreingenommenes Gespräch über die Ökonomie« (S. IX).
Während in den vorangegangenen Teilbänden, erschienen 2013 und 2016, schon eine Reihe unkonventioneller Quellen ökonomischen Wissens vorgestellt wurden – z. B. Heraklit, Søren Kierkegaard, Henry David Thoreau, Simone Weil, Emily Dickinson, Pier Paolo Pasolini, u.v.m. – beschäftigt sich der Band nun mit dem Mahabharata, Aristophanes, Euripides, Rainer Maria Rilke, Ernst Wiechert und William Kapp, Henry Beston, Erik Reger, Augustinus, Simone Luzzatto, Tasan Jeong Yang-yong, Hermann Lotze, Günther Anders und Simone de Beauvoir.
Den Herausgebern gelingt eine einmalige Zusammenstellung von Texten aus ungewohnten Blickwinkeln. Einmalig ist der Band, weil er einen Versuch jenseits der neoklassischen und heterodoxen ökonomischen Methodendiskussionen darstellt und den Blick auf Fragestellungen verschiebt, die als Grundlage für ein ökonomisches Zusammenleben zunächst grundlegend beantwortet werden müssen. Es zeigt sich ein heterogenes, offenes und unkonventionelles Projekt, das seinesgleichen sucht. Die auf vielen Ebenen zu findende Heterogenität entspricht dem Vorhaben, eine Ökonomie zu begründen, die sich noch im Entwurf befindet.
Im ersten Teil (poetische Quellen) beschreibt Ratan Lal Basu beispielsweise, welche politischen und ökonomischen Ideen sich im indischen Epos des Mahabharata finden lassen, während Robert Simon mithilfe von Rilkes Duineser Elegien eine Analyse der Moderne vornimmt, die Rilke besonders eindrücklich zur Sprache bringt: »Das Eigentümliche des modernen Lebens, der epochale Charakter der Moderne, liegt in Fehl und Ausbleib eines eigenständigen und umfassenden Sinnentwurfs des Menschen.« (S. 140)
Anhand der Korrespondenz von Ernst Wiechert und K. William Kapp widmet sich Sebastian Berger der Frage, ob eine poetische Ökonomie »das Böse« kurieren kann (S. 177). Dabei vertrete Kapp die These, dass viele der Probleme der Gegenwart von ökonomischen Problemen herrühren (S. 192) – vor allem der Marktwirtschaft, während Wiechert eine stärkere soziale und geschichtliche Perspektive einnehme (S. 194). Kapp, der durchaus planwirtschaftliche Tendenzen des Wirtschaftens favorisiere, siehe den Ausweg jedoch nicht in der vollständigen Abschaffung der Marktwirtschaft, da auch die Planwirtschaft »ungewollte Konsequenzen« hervorbringen könne (S. 180 f.). Der persönliche und zeitdiagnostische Briefwechsel zwischen Wiechert und Kapp dient Berger dazu, Fragen nach Moralität der Marktwirtschaft, der Effektivität wirtschaftspolitischer Maßnahmen und die Frage nach wissenschaftlicher und poetischer Erkenntnis in den Wirtschaftswissenschaften zu stellen.
Im zweiten Teil (philosophische Quellen) findet Markus Moling wirtschaftsphilosophische Impulse bei Augustinus, der zwar nicht direkt ökonomische Fragestellungen bespricht, diese jedoch implizit im Zusammenhang seiner Überlegungen zum glücklichen Leben thematisiert. Geld, Reichtum und Eigentum seien nur zu gebrauchen (uti), während nur Gott für den Genuss (frui) bestimmt sei (S. 271 f.). Das Ziel eines glücklichen Lebens liege letztendlich in Gott, Geld sei nur Mittel zum Zweck (als Gebrauchsgegenstand) und niemals für die Erreichung des Glücks ausreichend. Materieller Besitz und Privateigentum lehne Augustinus zwar nicht prinzipiell ab, aber das letztendliche Ziel der Menschen – das gute Leben – könne nur erreicht werden, indem man sein Leben in den Dienst Gottes und nicht des Geldes stelle (S. 279). Auf diese Weise finden sich in unerwarteten Quellen, Ansätze für ökonomische Überlegungen.
Giuseppe Veltri hingegen beschäftigt sich mit den ökonomischen Ideen des Rabbiner Simone Luzzatto im »Discorso circa il stato degli Hebrei« und dessen Interpretation des »Discorso« anhand des italienischen Ökonomen Riccardo Bachi. Damit fragt Veltri nach der Bedeutung der jüdischen Ökonomie seit dem jüdischen Ghetto in Venedig des 16. Jahrhunderts bis heute (S. 282). Dabei arbeitet er sowohl die Rolle des »Discorso« im Venedig des 16. Jahrhunderts heraus, als auch die Auswirkungen, die dieser auf die weitere Geschichte der Wirtschaftstheorien gehabt hat.
Esther Redolfi Widmann greift die in Simone de Beauvoirs‘ Das andere Geschlecht stattfindende Auseinandersetzung mit Friedrich Engels Der Ursprung der Familie sowie August Bebels Die Frau und der Sozialismus für ihre Untersuchung auf. Bebels Werk sei in Kombination mit de Beauvoirs‘ Das andere Geschlecht »bis heute eine ideale Ausgangsbasis für all jene Untersuchungen, die sich mit der aktuellen ökonomischen Ungebundenheit der Frau befassen« (S. 443), argumentiert Redolfi Widmann. Dies sei der Fall, da gerade diese Kombination den Fokus auf die ökonomische Dimension der Unterdrückung lege, durch de Beauvoirs Analyse jedoch gezeigt werde, dass diese nicht allein im Ökonomischen liege (S. 447). Der Sozialismus allein und die Gleichstellung Arbeitskraft der Frau vermögen es nicht, Frauen zu emanzipieren (S. 444). Es bedarf weiterer Befreiungen: »freie Geistesentfaltung, die Sittenfreiheit, die sexuelle Freiheit, die Selbstbestimmung über die Fortpflanzung.« (S. 417) Die »ökonomische Ungebundenheit« (S. 417) sei zwar die Grundlage für alle diese Faktoren (S. 417), reiche aber alleine nicht zu Emanzipation aus (S. 448).
Der dritte Teilband der »Elementa Œconomia« eröffnet eine Vielseitigkeit, die sich nicht nur in Inhalt und Form zeigt, sondern auch in der interkulturellen und multidisziplinären Ausrichtung der Beiträge, die sich durch unterschiedliche Epochen und Denkschulen ziehen. Dass es den Leser*innen an manchen Stellen vielleicht so vorkommen mag, als würde eine Rückführung zu gängigen Verständnissen der Ökonomie fehlen, kann man kritisieren. Diese gelegentlichen Momente liegen jedoch an der Offenheit des Projekts, das überhaupt erst neue Begriffe von Ökonomie etablieren möchte und somit die gängigen Verständnisse über Bord werfen muss. So ist der Sammelband eine aufschlussreiche Zusammenstellung unterschiedlicher Unternehmungen noch zu entwerfender Ökonomien und deren Grundlagen. Jürgen Gedinat, der zu jedem Band den Gesinnungstext verfasst, bleibt in diesem Zusammenhang in dem Bild des Hauses, das sich durch den Haushalt als οἶκος im Wort »Ökonomie« anbietet: »Aus welchen Elementen nun wird das Gebäude der Wirtschaft errichtet?« (S. 1) und: »Wird z. B. Geld als ein grundlegendes Element dieses Gebäudes betrachtet, dann wird das Gebäude ein anderes sein, als wenn es mit dem Geld lediglich um irgendeine Art von Zahlungsmittel geht, eine die einmal so und einmal anders sein kann« (S. 1 f.). Ein Motiv zieht sich dabei – sei es intendiert oder nicht intendiert – als roter Faden durch die Beiträge des Bandes: die Frage nach dem Menschen und dessen Sinn. Wie kann dieser Mensch gefasst werden? Eine Frage, die sich nicht nur im wirtschaftlichen Kontext stellt und die – so die Meinung der Autor*innen – zunächst beantwortet werden müsse, um ein ökonomisches Wissen zu begründen. Der dritte Teilband der Reihe »Elementa Œconomia. Wirtliche Ökonomie. Philosophische und dichterische Quellen« stellt sich dieser Aufgabe und schafft ungekannte Zugänge für neues ökonomisches Wissen.
Ivo De Gennaro, Sergiusz Kazmierski, Ralf Lüfter & Robert Simon (hrsg.): Elementa Œconomica 1.3 Wirtliche Ökonomie. Philosophische und dichterische Quellen. Dritter Teilband, Traugotz Bautz, Nordhausen: 2021.