Bild der Startseite
Nr. 1 / 2020
Blumenberg

Monumente des Misstrauens. Eine ideologiekritische Lektüre der Metaphorologie

Die Jubiläen von Philosophen gereichen ihren Philosophien meist zum Fluch. Wird etwa ein runder Geburtstag oder Todestag zum Anlass eines Wettbewerbs an Tagungen und Publikationen, so scheint die Kanonisierung zum Klassiker und damit die Musealisierung eines Denkens abgeschlossen zu sein. Schlimmstenfalls verdrängt schließlich das Interesse am Autor, seinen angeblichen Liebschaften oder vermeintlichen Charakterschwächen, das an seiner Philosophie. Die allgegenwärtigen Würdigungen laufen dann auf die Entwürdigung des Autors und die Trivialisierung seines Denkens hinaus.

Wie es der Philosophie Hans Blumenbergs, der selbst bereits zur Romanfigur geworden ist, in diesem noch jungen Jahr seines 100. Geburtstags ergehen wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls hat das Interesse an seinen Werken in den letzten Jahren stetig zugenommen. Mittlerweile hat sich eine Blumenberg-Forschung etabliert, deren Stand sich im für das Jubiläumsjahr angekündigten Metzler-Handbuch materialisieren wird. Bisher, so ein summarischer Eindruck, überwiegen neben den editorischen Anstrengungen, die den umfangreichen Nachlassbeständen im Marbacher Deutschen Literaturarchiv gelten, vor allem Forschungsansätze, die das Werk in historischer, systematischer und philologischer Hinsicht erschließen. Dass dabei häufig ideengeschichtliche Interessen leitend sind, mag auf den Bezugsreichtum der gelehrten Bücher Blumenbergs, seiner großen »Problem-Krimis« (Marquard 1999, 22), zurückzuführen sein. Das nicht minder vitale literaturwissenschaftliche Interesse entzündet sich an den narrativen Strukturen und anderen ästhetischen Darstellungsformen dieser Philosophie, vor allem an der ausgeprägten Liebe zu den ›kleinen Formen‹ wie Essay, Glosse und Aphorismus. Vielleicht weil sie sich entsprechend unsystematisch gibt, wird hingegen verhältnismäßig selten versucht, systematisch an Blumenbergs Philosophie anzuschließen.

Dabei wäre es nicht die schlechteste Würdigung einer Philosophie, zu fragen, was sich mit ihr denn philosophisch alles anfangen ließe. Im Folgenden soll das mit Blick auf die Metaphorologie unternommen werden. Dabei handelt es sich um ein von Blumenberg entwickeltes Verfahren, das der Funktion von Metaphern in der Geistes- und Philosophiegeschichte nachspürt. Dessen unausgeschöpfte Potentiale treten hervor, wenn sein Verhältnis zu einem anderen wesentlich sprachkritischen Verfahren beleuchtet wird: zu einer gesellschaftstheoretisch informierten Ideologiekritik, wie sie im Anschluss an Karl Marx vor allem die Denker der Kritischen Theorie praktiziert haben (Tränkle 2016). Ein Blick auf Blumenbergs eigene Wahrnehmung von Ideologiekritik wird zunächst zeigen, warum, was ich sodann behaupte, ihm kaum behagt haben dürfte: Malgré lui bietet seine historisch-kritische Arbeit Anhaltspunkte dafür, die Metaphorologie im Sinne einer metaphernkritisch verfahrenden Ideologiekritik zu gebrauchen. Abschließend werden die Grenzen zu diskutieren sein, die Blumenbergs Denken solcher Aneignung setzt – und die Richtung anzuzeigen, in die sie, um zu gelingen, überschritten werden müssen.

 

Metaphorologische Kritik der Ideologiekritik

Vorbehalte gegen zeitgenössische Unternehmen der Ideologiekritik, die zumeist marxistischer Provenienz waren, ziehen sich durch Blumenbergs Werk. Sie sind grundsätzlicher Art. Bereits ein früher Text über Pascal verteidigt das »Recht des Scheins« (Blumenberg 1947) und formuliert damit eine Gegenposition zum Anspruch, den Schleier zu zerreißen und die Wahrheit über die Wirklichkeit sichtbar zu machen. Diese Position wird Blumenberg mehrfach neu formulieren, nie aber aufgeben. Beseelt ist sie von einem skeptischen Impuls: einem von den Krisenerfahrungen des 20. Jahrhunderts inspirierten Zweifel an der Haltbarkeit metaphysischer Wahrheitsansprüche und moralischer Gewissheiten. Diese epistemologische und ethische Haltung wird in der Legitimität der Neuzeit (1966) geschichtsphilosophisch, das heißt unter Verweis auf das ›postmetaphysische‹ Wissenschafts- und Wahrheitsverständnis der Neuzeit gerechtfertigt. Später wird sie gar auf ein anthropologisches Fundament gesetzt, insbesondere in der Arbeit am Mythos (1979). Gegen Aufklärungs-Ansprüche beharrt Blumenberg auf der »Lebensdienlichkeit« (Blumenberg 2006, 473) von Phänomenen des Scheins. Darunter zählen neben dem Mythos die symbolischen Ersatzhandlungen der Rhetorik (Blumenberg 2008 b). Sie alle gelten primär als humanisierende Formen des distanzierenden Umgangs mit einer bedrohlichen, dem Menschen auf den Leib rückenden Wirklichkeit. Anstatt sich befreiende oder beglückende Wirkungen von der theoretischen Einsicht in deren Wesen zu erhoffen, wird ihre praktische Bewältigung zum Maßstab humaner Funktion erklärt. Bedürfnisse nach Glück, Sinn und Sicherheit ließen sich jedenfalls von der Präsentation der »nackten Wahrheit« nicht befriedigen, denn sie sei »nicht das, womit das Leben leben kann« (Blumenberg 1984, 125). Blumenbergs Vorwurf an die Ideologiekritik lautet folglich: Sie bleibe einem Verständnis von Aufklärung und Erkenntnis verhaftet, das die Humanisierungsfunktion des Scheins kategorisch ignoriere. Indem sie Phänomene des Scheins unterschiedslos als aufzulösende begreife, arbeite sie ihr sogar entgegen. Solcher »Rigorismus der Wahrheit« (Blumenberg 2015) entfalte eine Zertrümmerungswut, der inhumane Konsequenzen eigneten.

Blumenbergs Kritik an rigoristischen Wahrheitsansprüchen ist insofern noch grundsätzlicher angelegt, als er sie für theoretisch ungedeckt hält. Er sucht das zu erhärten, indem er die selbst metaphorischen Voraussetzungen der tradierten Opposition von Schein und Wahrheit freilegt. Seine metaphorologischen Untersuchungen zeigen, inwiefern dieses Verständnis von Wahrheit bis auf uralte Vorstellungen zurückgeht, wobei der Lichtmetapher besondere Bedeutung zukommt (Blumenberg 2008 a). Locus classicus der Konfiguration von Licht und Wahrheit ist Platons Höhlengleichnis im 7. Buch seines Dialogs über den Staat (Platon 1991, 514a ff.). Darin wird die menschliche Erfahrungswelt durch das Modell einer Höhle, ihrem Außen und einem Höhlengang dargestellt, der den Innen- mit dem Außenraum verbindet. Der lichtarme Innenraum der Höhle erscheint als der gewöhnliche Ort der Menschen. Gefesselt an ihren Standort sehen sie nur Schattenspiele, die von Machinatoren erzeugt werden. Deren künstliches Bilderwerk halten die Gefesselten für die Wirklichkeit, für das Wahre und Seiende selbst. Tatsächlich aber leben sie in einer Sphäre des künstlichen Lichts, des Scheins und der Illusionen. Anders stellt sich der Außenraum der Höhle dar: Hier herrscht das natürliche Licht, dessen Strahlen von der Sonne des Guten ausgehen und den Außenraum mit Wahrheit erfüllen. Den Höhlenausgang vermag nur zu erreichen, wer seine Fesseln abwirft, den Mechanismus des Schattenspiels durchschaut und dem Weg von Bildung und Erkenntnis folgt.

Während in der erkenntnistheoretischen Tradition die Voraussetzungen dieses Modells implizit fortwirkten, fragt die Metaphorologie: Was geschieht hier? Und ihre Antwort lautet: Die Welt wird metaphorisch als eine Höhle verstanden. Das heißt, die Ausdrücke »Welt« und »Höhle« stehen in einem Verhältnis der gegenseitigen Übertragung. Mit beiden Ausdrücken sind jeweils Felder von Vorstellungen und Assoziationen verknüpft. Wir versuchen über die Verfassung der Welt etwas in Erfahrung zu bringen, indem wir auf unsere Vorstellungen von ihr Qualitäten, Eigenschaften oder Strukturen übertragen, die wir an Vorstellungen von einer Höhle gewonnen haben. Kurzum: Wir machen die Höhle zu einem Modell, nach dem wir die Welt verstehen. Solche metaphorischen Orientierungsmodelle stehen laut Blumenberg im Hintergrund unserer Begriffe von der Welt, der Wahrheit und der Wirklichkeit.

Die metaphorologische Deutung unterläuft ein rigoroses Wahrheitsverständnis, indem sie zeigt, dass es auf die Orientierung an »absoluten Metaphern« (Blumenberg 1998, 10) angewiesen ist. »Absolut« sind Metaphern wie das Licht der Wahrheit insofern, als das, was sie über die Wahrheit ausdrücken, nicht ohne Bedeutungsverlust übersetzbar ist in Sätze vom Typus einer Definition. Solche Metaphern vermögen nicht eindeutig und unwiderruflich zu sagen, was die Wahrheit ist. Das heißt auch: Sie geben keine verifizierbare Erkenntnis an die Hand. Insofern ist das von ihnen getragene Wahrheitsverständnis letztlich theoretisch ungedeckt. Für Blumenberg disqualifiziert das solche Metaphorik aber nicht, er hält sie im Gegenteil für legitim, weil durchaus produktiv und letztlich sogar unverzichtbar. Indem sie etwas über die Qualität und Struktur von solchen Sachverhalten zeige, die wie »die Welt« oder »die Wahrheit« gar nicht im strengen Sinne bestimmbar seien, ermöglichten sie praktische Orientierung im Umgang mit ihnen. Mit Bezug auf das Höhlenmodell heißt das: es weist dem Menschen eine Stellung in der Welt zu, die primär von seinem Streben nach Wahrheit bestimmt ist. Philosophisch ausgedrückt: Unabhängig von der Frage nach ihrer Wahrheit erschließen Metaphern das menschliche Welt- und Selbstverhältnis.

Es ließe sich nun einwenden, die restlos aufgeklärte, moderne Philosophie bedürfe solcherlei Mythen längst nicht mehr. Aber dieser selbstgewissen Behauptung tritt Blumenberg energisch entgegen. Mit Blick auf das Höhlenmodell kann er zeigen, wie Elemente der Platonischen Grundvorstellung über die Jahrhunderte hinweg immer wieder aufgegriffen und umgeformt werden. Ihr Nachwirken reicht weit in die Moderne hinein. Besonders faszinierend ist, dass es auch dort nachweisbar ist, wo von einer Höhle gar nicht die Rede ist. Vor allem die vom Platonischen Höhlenausgang vorgezeichnete Vorstellung vom Licht der Wahrheit hält Blumenberg für immer noch virulent.

Das zeigt sich an der Semantik der Aufklärung, deren Anspruch sich auch in der Metapher von der »nackten Wahrheit« artikuliere (Blumenberg 1998, 71; 2019). Solche Vorstellungen implizieren ein methodisches Verhalten, wie am Gestus der unbedingten Enthüllung deutlich wird. Ihn verfolgt Blumenberg etwa mit Blick auf Sigmund Freuds Psychoanalyse; er moniert ihn an Hannah Arendts Deutung von Adolf Eichmann als befehlswilligem ›Hanswurst‹; und er attestiert ihn dem ideologiekritischen »Mißtrauen gegen Verblendungszusammenhänge« (Blumenberg 1997, 11). Zum einen hält Blumenberg den epistemologischen Anspruch für nicht einlösbar und vom nachkantischen Vorgehen der Wissenschaft entkräftet: Nach Platons Modell befänden wir uns noch immer auf dem Stand »von Troglodyten, die genug Wirklichkeit am Unwirklichen ihrer Erscheinungen, ihrer Hypothesen, ihrer ›Paradigmen‹ haben« (Blumenberg 1989, 793 f.). Zum anderen muss sich jede Enthüllungsbestrebung die ethisch motivierte Frage gefallen lassen, »ob die Wahrheit den Preis der Brände wert ist, die sie entzünden kann.« (Blumenberg 1984, 351) Der Preis manifestiere sich im Falle von Freuds therapeutischer Arbeit am letztendlichen Vorrang seines Erkenntnisinteresses vor dem Patientenwohl. Freuds kulturtheoretischer Deutung der biblischen Moses-Figur wirft Blumenberg vor, den verfolgten Juden eine mythische Identifikationsfigur genommen zu haben; und Arendts Entzauberung von Eichmann zeiht er des Unverständnisses für die Notwendigkeit, die einer dämonisierten Figur für den negativen Gründungsmythos des jungen Staates Israels zukomme (Blumenberg 2015).

 

Metaphorologie als Ideologiekritik

Im Lichte des Entfalteten kaum überraschend, ist Blumenberg gegenüber Ideologiekritik stets um polemische Abgrenzung bemüht. Eine Kostprobe: In einem aus dem Nachlass als Quellen, Ströme, Eisberge edierten Buchprojekt über Wassermetaphern behauptet er, Ideologiekritik sei mittlerweile zum »Nationalsport« (Blumenberg 2012, 210) aufgestiegen. Überall sieht Blumenberg, der wohl noch die publizistische Konjunktur von Marxismen in den 1970er Jahren vor Augen hat, eine »Rhetorik des Mißtrauens« (ebd., 207) am Werk. Es ist der ideologiekritische Gestus »der Entlarvung, der Hinterfragung, der Kritik verdeckter oder uneingestandener Voraussetzungen« (ebd., 210), von dem er sich wieder ostentativ distanziert.

So entbehrt es nicht der Ironie, dass Blumenberg selbst immer wieder eine Form von Kritik praktiziert hat, die es nicht minder auf verdeckte oder uneingestandene Voraussetzungen des Denkens, Sprechens und Handelns abgesehen hat. Das ist in allen Werkkontexten evident: So entdeckt seine große Legitimität der Neuzeit die unreflektierten begrifflichen, metaphorischen und narrativen Voraussetzungen des normativ aufgeladenen Gebrauchs, den moderne Geschichtsphilosophien vom Begriff der Säkularisierung machen. In der Arbeit am Mythos dominieren zwar menschheitsgeschichtliche Überlegungen zu den unverzichtbaren Funktionen des Mythos. Spätestens seit Erschließung von zu diesem Projekt gehörigen Materialien aus dem Nachlass zeigt sich diese Arbeit aber auch als kritische Auseinandersetzung mit der Funktion, die mythische Versatzstücke für politische Legitimitätsbildung in der Moderne erfüllen (Blumenberg 2014). Im Rahmen seiner metaphorologischen Schriften arbeitet Blumenberg schließlich nicht allein die hintergründige Wirkungskraft bestimmter tradierter Vorstellungen heraus, wie es am Aufweis des Höhlenmodells als impliziter Leitvorstellung deutlich wurde. Darüber hinaus entwickelt die Metaphorologie Ansätze zur Systematisierung solcher metaphorischer Orientierungsfunktion.

Mit dem Begriff der »Hintergrundmetaphorik« (Blumenberg 1998, 91) bietet Blumenberg eine Konzeption auf, die erlaubt, einzelne in einem Text oder einer Rede auftretende Metaphern als Indizes zu deuten: Sie verweisen auf ein dem jeweiligen Gebrauch zu Grunde liegendes metaphorisches Assoziationssystem. Um ein berühmtes Beispiel von Immanuel Kant aufzugreifen: Die metaphorische Darstellung eines autoritär regierten Staates als Handmühle indiziert eine mechanische, die Darstellung eines verfassungsmäßig regierten Staates als Organismus eine organische Hintergrundmetaphorik (Kant 1974, B 257). Solche ebenso geschichtlich variierenden wie transhistorisch wirksamen Metaphernkomplexe bilden laut Blumenberg die »Substruktur« oder die »Sinnhorizonte« (Blumenberg 1998, 13) auch des begrifflichen Denkens: Dessen grundsätzliche Ausrichtung ist regelrecht daran »abgelesen« (ebd., 91), was auch dort gilt, wo sich in Aussagenzusammenhängen gar keine Metaphorik manifestiert. Um Leitvorstellungen kann es sich bei solchen impliziten Vorentscheidungen auch in normativem Sinne handeln. An der epistemologischen Konfiguration von künstlichem/natürlichem Licht im Höhlenmodell tritt ihre normative Kraft ebenso deutlich hervor wie an Kants ethischem Gebrauch der Differenz mechanisch/organisch.

Die kritische Stoßrichtung eines Verfahrens, das Hintergrundmetaphoriken freilegt, lässt sich an der Analyse einer Metapher weiter verdeutlichen, die Blumenberg exemplarisch für die Rhetorik des Misstrauens untersucht. Die im Nachlassband zu den Wassermetaphern zuletzt analysierte Metapher des Eisbergs eignet sich zur Illustration der ideologiekritischen Implikationen des Verfahrens besonders gut. Denn das Vorgehen unterscheidet sich in zweierlei Hinsicht von den zu Lebzeiten publizierten metaphorologischen Analysen. Diese historisch weit ausgreifenden Studien über die Höhlenausgänge oder die Vorstellung von der Welt als Buch und ihrer Erkenntnis als seiner Lektüre (Blumenberg 1986) rekonstruieren je eine Metapherngeschichte. Anders als in diesen umfassenden Studien, deren Narrative je nur punktuell auf die Gegenwart zulaufen, wendet sich Blumenberg mit dem Eisberg einem metaphorischen Phänomen der Gegenwart zu, also der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Während besagte Studien fast ausschließlich Zeugnisse der Geistes- und Philosophiegeschichte interpretieren, gilt das Augenmerk hier scheinbar trivialen Funden aus Zeitungen und Zeitschriften. Im Marbacher Archiv offenbaren Zettelkästen, die neben Karteikarten zu Begriffen oder Metaphern thematisch einschlägige Zeitungsausschnitte enthalten, einen regen Sammeleifer. Gerade in den kleinen Formen, seinen Glossen und Aphorismen, von denen viele erst peu à peu aus dem Nachlass veröffentlicht werden, zeigt sich Blumenberg häufig als Kommentator des Zeitgeistes.

Doch kommt auch diese Untersuchung eines modernen Metapherngebrauchs nicht ohne Abriss seiner Vorgeschichte aus. Neu an der Metapher sei nicht das Misstrauen, das sie artikuliere, sondern dass sie ihm eine vormals nicht bekannte metaphorische »Gewandung« (Blumenberg 2012, 207) verpasst habe: die des Eisbergs mit seinem Missverhältnis von kleiner sichtbarer Spitze und großem verborgenem Rest. Das Misstrauen gegenüber dem Sichtbaren führt Blumenberg auf die Anfänge der neuzeitlichen Wissenschaft und deren Infragestellung bisher geltender Selbstverständlichkeiten zurück. Das seit der Antike wirkende »Sichtbarkeitspostulat« sei von den Einsichten in die Kluft zerstört worden, die zwischen der »Reichweite des menschlichen Wahrnehmungsvermögens« und »der Ausdehnung der Welt« besteht (ebd., 205). Bedingt sei die Erweiterung des Erfahrungsraums sowohl in die Weiten des Weltalls als auch in die mikrologischen Sphären von den methodologischen und technologischen Errungenschaften der Neuzeit, man denke an Fernrohr und Mikroskop. Fortan war den Augen allein nicht mehr zu trauen. Diese Entwicklungen fasst Blumenberg als Konsequenz jener Wissenschaftsrevolution, um die viele seiner wissenschaftsgeschichtlichen Arbeiten kreisen: der kopernikanischen Wende. Mit ihr, so seine geschichtsphilosophische Deutung, habe eine als göttliche Schöpfung gedachte Natur ihre Maßstabsfunktion für das menschliche Welt- und Selbstverständnis notwendig eingebüßt. Die Natur, so sollte man meinen, kann uns forthin nichts mehr über den Sinn oder die Gestaltung des menschlichen Lebens sagen. Als »schwerwiegend« qualifiziert Blumenberg daher seinen Befund, dass »die Natur noch immer als Leitfaden für das Selbstverständnis des Menschen« (ebd., 207) fungiere – und zwar in Gestalt historisch variierender Metaphern. Das wirft mindestens zwei Fragen auf: Warum ist es auch jüngst noch ein Naturbild, in dem sich das Misstrauen in sichtbare Phänomene artikuliert? Und: Warum ausgerechnet der Eisberg?

Blumenberg antwortet auf die zweite Frage mit der Formulierung einer Bedingung: Damit sie attraktiv wird, muss Bedarf für eine Metapher vorhanden sein. Einen solchen gibt es offensichtlich für das Bild des Eisbergs erst, wenn sich der Verdacht verallgemeinert hat: Er richtet sich in der Moderne nicht allein auf den unsichtbaren Teil der Natur, sondern auch »auf hinterhältige Verhältnisse[n] im Bewußtsein, in der Gesellschaft, in der Wissenschaft« (ebd., 237). Bei Nietzsche fände sich erstmals die Annahme ausbuchstabiert, unser Bewusstsein sei nur die Oberfläche, unter der sich eine quantitativ überwiegende Tiefendimension eröffne (ebd., 214), ohne dass er allerdings die Eisberg-Metapher dafür evoziert. Die letztendlichen Gründe für deren späte Konjunktur lässt Blumenberg offen. Sie mag erst von der Titanic-Katastrophe ermöglicht worden sein, mit der die subkutanen Gefahren des Eisbergs, die selbst die avanciertesten Errungenschaften des technischen Zeitalters bedrohen, ins öffentliche Bewusstsein gehoben wurden. Dass der Aspekt einer versteckten Gefahr für den modernen Gebrauch entscheidend ist, belegt das von Blumenberg herangezogene Material. Durchweg steht die Metapher für die Annahme ungeahnter Ausmaße aktueller Probleme ein. Die Auswahl der zitierten Varianten erinnert an den Zuschnitt der diskursanalytischen Arbeiten Michel Foucaults: Sie stammen aus der Psychologie, der Kriminalistik und der Politik.

Einsatzpunkt ist ein Experten-Hearing zur Reform des Sexualstrafrechts im Deutschen Bundestag von 1970, auf dem der Psychotherapeut Rudolf Affemann der Metapher zum ersten Mal einen prominenten Auftritt verschafft habe (ebd., 207f.). Der Eisberg bebildert hier das Missverhältnis von bewussten und unbewussten Anteilen des menschlichen Selbst und den Fehlschluss, nur das Sichtbare, das Bewusste für das Entscheidende oder Ganze zu halten. Ausgehend von diesem Fund verfolgt Blumenberg weiter, wie die Metapher in Wissenschaft und Öffentlichkeit immer wieder zur Illustration der Freud'schen Grundannahme gebraucht, oder auch: missbraucht wird. Denn dem Erfinder der Psychoanalyse selbst wird ihr Gebrauch zwar unterstellt, wie auf einem typisch reißerischen Coverbild des Nachrichtenmagazins Der Spiegel von 1959, der mit dem Titel aufwartet: »Die Seele ist ein Eisberg: Sigmund Freud« (ebd., 208). Doch ist die Metapher anders als bei seinen stilistisch minder begabten Epigonen, in Freuds Schriften, wie Blumenberg meint: kaum zufällig, nicht nachweisbar.

Des Weiteren tritt die Metapher in »Gebieten der Kriminalität« verstärkt auf; Blumenberg nennt: »Schmuggel, Waffenhandel, Spionage, Umgang mit Steuergeld, Konkurse, Terrorismus.« (Ebd., 215) Anhand von Zeitungsberichten über Fahndungserfolge und Gerichtsprozesse zeigt Blumenberg, wie der Eisberg hier der Suggestion von Bedrohungen durch Verbrechen dient, deren Ausmaße in der Öffentlichkeit noch längst nicht angemessen wahrgenommen würden. Die Eisberg-Metapher wird insbesondere in solchen Fällen genutzt, in denen kaum stichhaltige Belege für die alarmistischen Annahmen vorliegen. Schließlich weist Blumenberg die »hochgradig« politische Disposition der Metapher auf (ebd., 219). Dazu zitiert er unter anderem aus den Memoiren Henry Kissingers, dem der Eisberg geradehin zur Lieblingsmetapher für die Fehleinschätzungen anderer politischer Akteure geworden ist.

Diese auf die Funktionalität der Metapher fokussierte Analyse arbeitet Momente heraus, die alle metaphorischen Eisberge aufweisen. Sie alle evozieren das titanisch-fatale Missverhältnis, um Vermutungen über die hinterhältige oder doppelbödige Verfasstheit der Wirklichkeit zu artikulieren. Blumenberg pointiert: »Der Eisberg ist das Monument dieses Mißtrauens.« (Ebd., 211) Und egal ob es im psychologischen, kriminalistischen oder politischen Kontext aufgerufen wird, stets gibt das Bild diesen Vermutungen Plausibilität, verschafft ihnen Evidenz. Woraus genau die Metapher ihre rhetorische (Überzeugungs-)Kraft zieht, erhellt sich ebenfalls an den unterschiedlichen Verwendungen. Sie machen sich etwa immer wieder zu Nutze, dass die Metapher eine Quantifizierung des Verhältnisses von sichtbaren und unsichtbaren Teilen erlaubt, in den von Blumenberg zitierten Quellen wahlweise das von 1/7 zu 6/7 oder 1/9 zu 8/9. Solche Quantifizierung suggeriert eine Tatsachenbindung und Wissenschaftlichkeit, deren Absenz der Gebrauch der Metapher doch gerade kompensieren soll. Getragen werden solche Mechanismen pseudowissenschaftlicher Evidenzproduktion von einer entscheidenden Annahme. Ihre Effizienz liege in dem Faktum begründet, »dass die Natur selbst ein solches Exempel von Disproportion von Vordergrund und Hinterhalt« kenne (ebd., 207). Weil es sich bei der Disproportion um nicht weniger als eine naturgesetzliche Erscheinung handelt, gelte es als nur folgerichtig, eine entsprechende Gesetzlichkeit auch für die »psychische, soziale und politische Wirklichkeit« (ebd., 211) des Menschen zu unterstellen. Der Common Sense meint: Wie die Natur so ist die Wirklichkeit insgesamt nicht so, wie sie uns erscheint.

Dieser Befund führt zu Blumenbergs anfänglicher Beobachtung zurück, der Natur komme nach wie vor eine normative Orientierungsfunktion für das Selbst- und Weltverständnis zu. Nun lässt sich die erste, bisher noch offene Frage beantworten: Wie kann, trotz des diagnostizierten neuzeitlichen Autoritätsverlusts der Natur, gerade ein Naturphänomen solche Evidenz vermitteln? Folgt man Blumenbergs Deutung, so liegt im technisch-naturwissenschaftlichen Zeitalter die rhetorische Kraft in der Suggestion von Naturgesetzlichkeit – und zwar auch dort, wo sie gar nicht uneingeschränkt herrscht. Dass die Übertragung natürlicher auf soziale Sachverhalte als folgerichtig erscheint, ist keineswegs voraussetzungslos. Es erschließt sich erst, wenn man den Gebrauch der Eisberg-Metapher und anderer Naturbilder zur Darstellung sozialer Sachverhalte als Ausdrucksformen einer historisch spezifischen Denkform deutet. Sie nimmt systematisch dort »feststehende, weil ganz natürliche Verhältnisse« an, »wo sie gar nicht bestehen« (ebd., 214 f.). Man kann diese moderne Denkform als Naturalisierung des Sozialen fassen, denn letztlich vollzieht sie eine unreflektierte Übertragung von Naturgesetzen auf gesellschaftliche Verhältnisse.

Blumenberg beschreibt einzelne Phänomene dieser neuzeitlichen Denkform treffend; und seine Deutung pseudo-naturwissenschaftlicher Evidenzproduktion ließe sich durchaus als eine ideologiekritische Leistung verstehen. Allerdings wird ein solches Verständnis vom theoretischen Bezugsrahmen dieser Deutung begrenzt. Das liegt an Blumenbergs Verständnis von Geschichte einerseits und von Praxis andererseits. Geschichte, das zeigt der kurze Abriss zur Genese der Misstrauens-Rhetorik, erscheint primär als Geistes- und Wissenschaftsgeschichte, worunter auch Technikgeschichte subsumiert wird; nach deren Bedingtheit durch die Geschichte gesellschaftlicher Verhältnisse wird nicht gefragt. Wenn seine späteren Schriften stattdessen einen praktischen, oder wie ihr Autor gerne sagt ›lebensweltlichen‹, Erfahrungshintergrund von Metaphern und anderen Sprachformen thematisieren, so bleibt das auf anthropologischem Niveau. Sie interessieren sich vor allem für Fragen der menschheitsgeschichtlichen Genese. In den Höhlenausgängen wird etwa die Höhlenmetaphorik bis auf die frühgeschichtlichen Erfahrungen von Höhlenbewohnern zurückgeführt (Blumenberg 1989, 25). Durchweg werden symbolische Formen und Praktiken als Anstrengungen zur Distanzierung von einer bedrohlichen Wirklichkeit interpretiert. Für die Deutung aktueller gesellschaftlicher Phänomene reichen jedoch weder die spekulativen Ausflüge in die Urgeschichte noch die Identifikation allgemeinmenschlicher Grundfunktionen zu. Mit der deskriptiven Erfassung von Naturalisierungseffekten zeigt die Metaphorologie ihr ideologiekritisches Potential; mit ihrer geistesgeschichtlichen und kulturanthropologischen Deutung werden die Grenzen einer ideologiekritischen Lektüre erreicht.

 

Mit der Metaphorologie über die Metaphorologie hinaus

Gefasst unter dem Titel der ›Verdinglichung‹, ist die Naturalisierung des Sozialen ein Grundthema von Ideologiekritik. Zu deren Kerngeschäft zählt seit jeher die Kritik der Verdinglichung, wie sie ausgehend von Karl Marx' Kritik der politischen Ökonomie, über Georg Lukács’ Geschichte und Klassenbewusstsein ins Repertoire einer Kritischen Theorie der Gesellschaft eingegangen ist. Die Verdinglichungskritik bietet Ansätze zum Verständnis der historischen Konjunktur und der sozialen Systematik von Naturalisierungsphänomenen – das gilt auch für einschlägige Metaphern. Die Grundthese solcher Kritik lautet: Die Naturalisierung des Sozialen, wie sie in Sprach- und Denkformen alltäglicher, wissenschaftlicher und politischer Provenienz zu beobachten ist, geht auf die historische Verfasstheit der gesellschaftlichen Verhältnisse selbst zurück. In der modernen kapitalistischen Gesellschaft hat sie darum systematischen Charakter.

Als Verdinglichung lässt sich die Denkform der Naturalisierung zunächst insofern fassen, als sie historisch gewordene soziale Verhältnisse so versteht, als ob sie dingliche, in den Worten Blumenbergs: feststehende, oder eben: ganz natürliche Verhältnisse seien. Ein Beispiel gibt folgende gängige Annahme: Eigenschaften und Verhaltensweisen der heute lebenden Menschen lägen in der Natur des Menschen. So wird etwa das universelle Konkurrenzstreben auf eine instinkthafte Disposition zurückgeführt und dadurch legitimiert oder als alternativlos hingestellt – anstatt es als Imperativ einer historischen Formation von Gesellschaft zu begreifen, deren Produktionsweise profitorientiert ist und die Einzelnen dazu zwingt, miteinander zu konkurrieren.

Die Logik der Verdinglichung lässt sich mit den Begriffen der Entzeitlichung und der Dekontextualisierung fassen. Was geschichtlich geworden ist und durch seine Integration in den Funktionszusammenhang einer spezifischen Gesellschaft seine Bestimmung erfährt, erscheint als geschichtslos und kontextunabhängig – ergo als ein Stück Natur. Insofern ist die Denkform der Naturalisierung falsch. Entscheidend ist nun aber, dass die Denkform der Naturalisierung in der modernen Gesellschaft nicht nur falsch, sondern auch notwendig ist. Falsch ist die Formder Bezugnahme auf die Wirklichkeit insofern, als sie historisch-soziale als natürliche Sachverhalte missversteht. Notwendig ist die falsche Bezugnahme, weil ihre Form aus der Verfasstheit der Wirklichkeit selbst hervorgeht.

Folgt man Marx, so vollzieht sich die soziale Konstitution der Wirklichkeit unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen als ein heteronomer und den beteiligten Akteurinnen undurchsichtiger Prozess (Marx 1972, 85 ff.). Das bedingt, dass sie sich falsche Vorstellungen davon machen, die zugleich in gewisser Hinsicht realitätsgerecht sind. Als verdinglicht erscheinen den Menschen ihre Beziehungen zueinander sowie zu ihrer Welt nämlich insofern notwendig, als sie tatsächlich dingliche Form annehmen. Unter der Vorherrschaft der kapitalistischen Produktionsweise nimmt tendenziell alles die Form von Waren an; das gilt auch für die sozialen Beziehungen, die nun primär waren- und geldförmig vermittelt sind. Als natürlich erscheint diese Einrichtung der Welt den Menschen insofern notwendig, als die gesellschaftlichen Verhältnisse realiter naturwüchsige Form annehmen. Statt von bewusster gemeinsam ausgehandelter politischer Gestaltung sind sie von anarchischen ökonomischen Einzelinteressen bestimmt, deren Durchsetzung der blinden Gewalt von Naturkräften gleicht. Verdinglichung und Naturalisierung sind also gegenständlich realisiert; und doch sind sie scheinhafte, nämlich nur »gesellschaftliche Natureigenschaften« (ebd., 86). Was als invariant gegebene, erste Natur erscheint, ist in Wahrheit eine menschlich hergestellte und darum auch veränderbare, eine zweite Natur.

Für ein solches »objektiv notwendiges und zugleich falsches Bewusstsein« von der gesellschaftlichen Wirklichkeit aber steht nach Adorno der Begriff der Ideologie (Adorno 2003b, 465). Dieser Ideologiebegriff ist nicht durch willkürliche Manipulation, Täuschung und Instrumentalisierung bestimmt. Vielmehr hebt er die gesellschaftliche Formbestimmtheit und den Wirklichkeitsgehalt von Ideologemen hervor. Damit zeigt sich, dass Blumenbergs Polemik gegen Ideologiekritik zumindest in diesem Fall am Gegenstand vorbei geht: Entscheidend ist nicht die von inflationärem Misstrauen getragene Annahme, alles Sichtbare sei bloßer Trug, womöglich sogar Betrug durch dunkle Mächte. Mit Marx und Engels lassen sich Ideologien als »Sprachen des wirklichen Lebens« (Marx/Engels 1958, 26) verstehen. Das heißt, sie sind ebenso Artikulationsformen gesellschaftlicher Realität, wie sie selbst teilhaben an gesellschaftlicher Praxis – oder in gegenwärtiger Diktion: an der Konstitution von Lebensformen. Die Aufgabe der Kritik ist die Deutung dieser Ausdrucksformen, die zu einem Urteil darüber verhilft, inwiefern sie falsch und inwiefern sie realitätsgerecht sind.

Die von Blumenberg untersuchte Metapher des Eisbergs lässt sich im hier entwickelten Sinne als ideologische Artikulations- und Praxisform deuten. Zunächst drückt sich darin eine naturalistische Hintergrundmetaphorik aus. Deren systematische Funktion als Leitfaden des Verstehens verweist wiederum auf die moderne Denkform der Naturalisierung des Sozialen. Insofern sie soziale Verhältnisse als natürliche darstellt und mit dieser Darstellung Evidenz evoziert, ist sie scheinhaft, falsch. Insofern sich jedoch in der Suggestion unsichtbarer Gefahren eine Ahnung vom realiter ebenso naturhaften wie unmittelbar undurchsichtigen Charakter der gesellschaftlichen Wirklichkeit ausdrückt, weist die Metapher mittelbar ein Moment von Einsicht auf. Da er freilich durch eine notwendig falsche Form hindurch artikuliert wird, weist erst eine ideologiekritische Analyse solchen Wahrheitsgehalt auf. Indem sie sowohl die scheinhafte Naturalisierung als auch die reale Naturhaftigkeit von Gesellschaft herausarbeitet, bietet sie eine überzeugende Antwort auf die offene Frage nach der besonderen Evidenzkraft von Naturbildern in der Moderne.

Wie genau sie scheinhafte Evidenz produziert, tritt hervor, wenn die Metapher selbst auf ihre praktischen – oder mit einem gängigen Ausdruck: performativen – Funktionen hin befragt wird. Wird die Metapher des Eisbergs gebraucht, um pseudowissenschaftliche Vermutungen über die soziale Wirklichkeit anzustellen, so webt sie selbst an deren Naturalisierung mit. Indem sie ominöse unsichtbare Gefahren suggeriert, arbeitet sie nicht der Aufhellung, sondern der Mystifikation der gesellschaftlichen Verhältnisse zu. Eine kritische Deutung des realiter Undurchsichtigen hätte gerade dessen rationale Analyse zur Grundlage. So fungiert die Metapher des Eisbergs im vermittelten Zusammenhang gesellschaftlicher Denk- und Praxisformen: Dass soziale Sachverhalte naturwissenschaftlich behandelt werden, ist bedingt von einem auf Anwendbarkeit geeichten Wissensverständnis; ein solches wiederum ist bedingt vom ökonomischen Imperativ der Verwertbarkeit.

Damit zeichnen sich die methodologischen Konsequenzen einer ideologiekritischen Erweiterung der Metaphorologie ab. Metaphern können nicht länger rein metaphorologisch gedeutet werden. Der historisch-soziale Ausdrucksgehalt und die praktische Funktion eines bestimmten Gebrauchs von Metaphern wird jedoch nicht durch äußerliche Zuordnung einzelner Sprachformen zu gesellschaftlichen Sachverhalten sichtbar. Es geht nicht um simple Ableitung, die etwa im Sinne eines vulgärmarxistischen Basis-Überbau-Schemas verfährt und sprachliche Phänomene als determiniert von ökonomischen Gesetzen behauptet. Vielmehr bedarf es eines Verfahrens der Deutung, das immanent – auf metaphorischem Niveau – ansetzt und aus der immanenten Beschreibung heraus in die transzendente – das heißt gesellschaftstheoretische – Deutung übergeht. Als ein immanentes Verfahren vermag die Metaphorologie zu beschreiben, wie die Metapher des Eisbergs funktioniert, durch welche Mechanismen sie Evidenz produziert etc. Vollauf verständlich werden diese Mechanismen aber erst, wenn man sie auf die Denkform zurückbezieht, in der sie fungieren, und wenn man diese Denkform schließlich auf ihre gesellschaftliche Funktion hin befragt.

Weil sich der gesellschaftliche Funktionszusammenhang durch die Naturalisierung verhärtet und absolut setzt, spricht Adorno auch von einem »objektiven Verblendungszusammenhang« (Adorno 2003a, 398). Blumenberg reagiert auf diese Gegenstandsbestimmung der Ideologiekritik, der er wohl in der Negativen Dialektik begegnet, allergisch und missversteht sie als Ausdruck für ein rigoroses Aufklärungsverständnis im oben diskutierten Sinne. Konsultiert man allerdings das Werk, das diesen Terminus einführt, die gemeinsam mit Max Horkheimer abgefasste Dialektik der Aufklärung (Adorno/Horkheimer 2003, 59), so stellt sich das anders dar. Auch diese von Blumenberg in auffälliger Weise ignorierte Schrift formuliert Kritik an einer einseitigen Aufklärung, die in vielen Aspekten der seinen nahekommt: Wenn die Autoren der Aufklärung den prix du progrès vorrechnen, dann ähnelt das jener ethischen Frage nach dem Preis der Wahrheit; wenn sie mit der mythischen Befangenheit des Bewusstseins seine unterschiedslose Entzauberung problematisieren, so kennen auch sie bewahrungswürdige Potentiale des Mythos sowie ein Recht des Scheins; und wenn sie, anders als Blumenberg, mit Emphase an den Begriffen der Aufklärung und der Wahrheit festhalten, so nicht, ohne sie zu transformieren: Statt für rein theoretische – oder gar dogmatische – stehen sie für praktische, das heißt gesellschaftlich zu realisierende Programmatiken. Anders als es Blumenbergs Invektiven gegen den »Nationalsport« Ideologiekritik unterstellen, geht es ihr nicht um die Erkenntnis der nackten Wahrheit um ihrer selbst willen. Die Frage nach derWahrheit ist auch für eine Kritische Theorie nur dann sinnvoll, wenn sie als Frage nach menschlichen Lebens- und Glücksmöglichkeiten gestellt wird; oder genauer: nach dem, was solche Möglichkeiten verstellt oder zerstört. Wenn Ideologiekritik ein angemessenes Verständnis der gesellschaftlichen Wirklichkeit anstrebt, so steht dahinter also der praktische Impuls zu ihrer Veränderung. Er ist dem Blumenberg'schen Ansinnen, die Welt und das Leben auf menschliche Weise einzurichten, gar nicht so fremd. Der Unterschied liegt nicht zuletzt im ausgeprägten Sinn der Ideologiekritik für das, was solche Einrichtung systematisch verhindert: Die Verblendung liegt im Schein der Alternativlosigkeit dessen, was ist.

 

Literatur

 

Adorno, Theodor W.: Negative Dialektik [1966]. In: Gesammelte Schriften, Bd. 6. Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003 a.

– »Beitrag zur Ideologienlehre« [1954]. In: Gesammelte Schriften, Bd. 8. Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003 b, 457–477.

Adorno, Theodor W./Horkheimer, Max: Dialektik der Aufklärung [1944]. In: Gesammelte Schriften, Bd. 6. Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003)

Blumenberg, Hans: »Das Recht des Scheins in den menschlichen Ordnungen bei Pascal«. In: Philosophisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft, Nr. 57 1947), 413–430.

Arbeit am Mythos [1979]. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1984.

Die Lesbarkeit der Welt [1981]. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1986.

Höhlenausgänge. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1989.

Die Legitimität der Neuzeit. Erneuerte Ausgabe [1988]. Frankfurt a.M. 1996.

Ein mögliches Selbstverständnis. Aus dem Nachlaß. Stuttgart: Reclam 1997.

Paradigmen zu einer Metaphorologie [1960]. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1998.

Beschreibung des Menschen. Hg. v. Manfred Sommer. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2006.

– »Licht als Metapher der Wahrheit. Im Vorfeld der philosophischen Begriffsbildung« [1957]. In: Ästhetische und metaphorologische Schriften. Hg. v. Anselm Haverkamp. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2008 a), 139–171.

– »Anthropologische Annäherung an die Aktualität der Rhetorik« [1971]. In: Ästhetische und metaphorologische Schriften. Hg. v. Anselm Haverkamp. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2008 b), 406–431.

Quellen, Ströme, Eisberge. Hg. v. Ulrich von Bülow/Dorit Krusche. Berlin: Suhrkamp 2012.

Präfiguration. Arbeit am politischen Mythos. Hg. v. Angus Nicholls/Felix Heidenreich. Berlin: Suhrkamp 2014.

Rigorismus der Wahrheit. »Moses der Ägypter« und weitere Texte zu Freud und Arendt. Hg. v. Ahlrich Meyer. Berlin: Suhrkamp 2015.

Die nackte Wahrheit. Hg. v. Rüdiger Zill. Berlin: Suhrkamp 2019.

Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft [1790]. Hg. v. Wilhelm Weischedel. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1974.

Marquard, Odo: »Entlastung vom Absoluten. In Memoriam«. In: Franz Josef Wetz/Hermann Timm (Hg.): Die Kunst des Überlebens. Nachdenken über Hans Blumenberg. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1999), 17–27.

Marx, Karl: Das Kapital, Bd. 1 [1867]. In: Marx-Engels-Werke, Bd. 23. Berlin/Ost: Dietz 1972.

Marx, Karl/Engels, Friedrich: Die deutsche Ideologie [1845/46]. In: Marx-Engels-Werke, Bd. 3. Berlin/Ost: Dietz 1958.

Platon: Der Staat [ca. 370 v. Chr.]. Übers. v. Rudolf Rufener. München: dtv 1991.

Tränkle, Sebastian: »Ideologiekritik und Metaphorologie. Elemente einer philosophischen Sprachkritik bei Adorno und Blumenberg«. In: Philip Hogh/Stefan Deines (Hg.): Sprache und kritische Theorie. Frankfurt a.M./New York: Campus 2016, 101–132.