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Nr. 1 / 2020
Blumenberg

Blumenbergs Sprachdenken. Zur Unbegrifflichkeit der Phänomenologie

Wege von Blumenberg aus, mit ihm und über ihn hinaus zu suchen, nimmt sein Anregungs- oder Inspirationspotential auf, seine Anzeigen, Hinweise, Entdeckungen und Eröffnungen: die Art zu Sehen und Sehen zu lassen, zu Beschreiben und zu Schreiben und zu Sagen wie zu Zeigen – das Deiktische seiner Lexis und Lektische seiner Deixis. Darin sind seine Texte vorbildlich und vorzüglich undogmatisch – und daher im Ergebnis nicht zu ‚dogmatisieren‘.

Aber – vielleicht zu methodisieren? Im Unterschied zur Heidelberger These von Wahrheit statt Methode ist Blumenbergs These eher Wahrheit mit Methode, oder mehr noch: Wahrheit als Methode, als phänomenologische Methode. Dabei ginge es nicht um Wahrheiten als Resultate der Phänomenologie, die man getrost auf Lehrsätze ziehen könnte, propositional analysieren, begrifflich rubrizieren oder sprachanalytisch härten.

Die Substanz seiner Texte und das Gewicht seiner Werke ist das eine, das andere hingegen die Quecksilbrigkeit seines Geistes, seines Denk- und Schreibstils, der schwer zu fassen und zu formulieren ist. Es überhaupt zu versuchen, könnte leicht die Pointe verfehlen: als wollte man das Quecksilber bloß auf phänomenologische Fieberthermometer ziehen, um damit kulturelle Erregungskurven zu vermessen. Damit wäre die Brisanz seines Beschreibens und Betreibens, seines Sagens und Zeigens verkannt.

 

I Beschreiben und Betreiben – im Schreiben

Durchaus brisant zu nennen ist, was Blumenberg mit der Phänomenologie anstellt. Denn er beschränkt sich nicht auf deren Beschreibung, seine Phänomenologie der Phänomenologie (was als ‚Metaphänomenologie‘ bereits bemerkenswert wäre). Er beschreibt nicht nur etwas (den Menschen etwa), sondern betreibt darin mehr als auf den ersten Blick ersichtlich. Und es ist keineswegs eindeutig oder unstrittig, wie und was genau er da treibt, betreibt im Beschreiben: vielleicht Krisistherapie, oder -analyse, Legitimierung der Neuzeit, Stabilisierung der Kultur trotz aller Labilisierung, Kopernikanik höherer Ordnung zugunsten einer Aufmerksamkeit für die pflegebedürftige ‚kosmische Oase‘, von der wir leben, oder Höhlenausgangsforschung?

Kaum macht man andeutungsweise explizit, was man zu verstehen glaubt, wird es strittig. Hermeneutische Vermutungen oder Abduktionen sind hier ebenso riskant wie unvermeidlich, wenn man an die valenten Latenzen rührt und deren Brisanz nachdenkt. ‚To make it explicit‘, provoziert den Einwand, ‚better leave it implicit‘. Versteht sich doch nicht nur Goethe, sondern auch Blumenberg auf das ‚feine Schweigen‘, bei dem man es doch besser belassen möge, um die indirekten Mitteilungen nicht zu trivialisieren. Nur – wenn man zu sagen sucht, was sich in der Latenz an Valenzen finden ließe, kann man es nicht lassen, das zu formulieren, um es zur Disposition zu stellen. Ein lesender Leser mag sich das Seine denken, ein sprechender oder schreibender Leser kann sich dieses Schweigen nicht wirklich leisten. Der genussvolle Leser kann im Unbestimmten lassen, was ein forschender Leser nicht im Impliziten lassen kann.

Brisant ist, wie Blumenberg in allem Beschreiben und Betreiben ein Schreiben entwickelt, das in die umstrittenen Grenzlagen von Philosophie und Literatur führt. Dafür sei an die Habermas-Schirrmacher-Debatte um Blumenberg erinnert: 1987 war Blumenbergs Die Sorge geht über den Fluß erschienen, das umgehend von Schirrmacher in der FAZ rezensiert wurde – immerhin in der Literaturbeilage. Er adelt den Rezensierten mit dem Fanal: „Wir werden künftig, wenn wir von den führenden Schriftstellern des Landes reden, auch den Namen Blumenberg erwähnen müssen. Er versammelt Glossen, Anekdoten, philosophische Erzählungen, kurz: die fortlaufenden Geschichten einer welthistorischen Desillusionierung, die sich in ihren besten Partien mit den paradoxen Essays von Jorge Luis Borges vergleichen lassen“ (Schirrmacher 1987, zit. n. Habermas 1992, 243). Woher Schirrmacher weiß, dass Blumenberg ‚Geschichten einer welthistorischen Desillusionierung‘ schreibe, weiß ich nicht. Denn ob es so einsinnig läuft, was Blumenberg betreibt, scheint mir fraglich. Schirrmachers These ist solch eine Abduktion, über die man eigens streiten könnte. Auch sein Vergleich mit Borges ist ebenso schmeichelhaft wie zweifelhaft. Als Literatur würde ich Borges allemal eher mit auf die Insel nehmen als Blumenberg. Wie auch immer ist hier das emphatische Literatenlob einschlägig – für die Frage des Schreibens und Treibens am Ort phänomenologischer Beschreibung.

Die Nobilitierung von Literatur als Philosophie war 1988 bereits prominente Tradition, nicht zuletzt eine von Blumenberg verweigerte. Erklärte er doch in der NZZ dezidiert: „Im philosophischen Roman wird nicht philosophiert“ (Blumenberg 1988). Schirrmachers Nobilitierung der Philosophie als Literatur hingegen setzt bereits eine Umwertung mancher Werte voraus: dass doch die Literatur allemal mehr zu sagen habe und besser als die Philosophie. Selbst wer dem gelegentlich zuzustimmen geneigt wäre, muss die Ambivalenz erkennen, die darin liegt, dass Blumenberg diese Spätfolge von Heideggers Nobilitierung der Literatur als Philosophie zufällt. Wie auch immer Blumenberg auf dieses Lob reagiert haben mag, ‚die Philosophie‘ jedenfalls lässt sich solch eine ambivalente Nobilitierung nicht einfach gefallen. Das zeigt sich in Habermas’ Ehrenrettung Blumenbergs als Philosoph in deutlicher Differenz zur Literatur.

In dem Aufsatzband Nachmetaphysisches Denken von 1988 veröffentlichte Habermas einen Text mit dem Titel „Philosophie und Wissenschaft als Literatur?“ (Habermas 1992). In Schirrmachers Literatenlob sieht er eine „Liquidierung des Gattungsunterschieds“ (ebd. 243) von Philosophie und Literatur. Wie Habermas darauf kommt, ist zumindest klärungsbedürftig. Im Klappentext der Sorge heißt es (vermutlich von Blumenberg), er setze sein „Vertrauen auf die Unbestimmtheit der Gattung, zu der seine Texte geschlagen werden könnten“ (Blumenberg 1987a). Damit wird unter expliziter Voraussetzung einer Gattungsdifferenz (die klärungsbedürftig bleibt) eine selektive Unbestimmtheit zugestanden, aber gewiss keine ‚Liquidierung‘ der vermeintlichen Gattungsdifferenz.

Habermas’ Nervosität und Differenzbedarf mag aus einer mehrfachen Frontstellung seiner selbst verständlich werden: Im genannten Text geht es explizit um eine Abgrenzung von der „einflußreiche[n] Schule des Dekonstruktivismus“ (Habermas 1992, 242), namentlich von Paul de Man und Derrida. Und es geht auch um Habermas’ Differenzbedarf gegenüber dem ebenso benannten ‚späten Heidegger‘ – worin er mit Blumenberg gewiss einer Meinung wäre. Hatte der sich doch fast zeitgleich[1] gegen einen „‚Panlogismus‘ neueren Typs“ erklärt, „der den Satz anzuhören und hinzunehmen verlangt Alles ist Sprache[2] – mit dem passenden Einwand: „alles ‚spricht‘ dagegen“ (Blumenberg 1988, 19). Mit Habermas’ Differenzbedarf gegenüber Heidegger wie Derrida und Co. kommt die Debatte um Blumenberg in ein Zwielicht: als ginge es im Pro und Contra des Literatenlobs um die Rettung der Philosophie (im Frankfurter Sinne?) vor den vermeintlich so unheilvollen wie einflussreichen Franzosen[3]: „Alle Versuche, den grundbegrifflichen Bann des subjektzentrierten Denkens der Bewußtseinsphilosophie zu brechen, machen sich den Übergang zum Paradigma der Sprache zunutze“ (Habermas 1992, 245). Die Folge sei: „Alle Geltungsansprüche werden diskursimmanent“ (ebd., 246), was er exemplarisch an Italo Calvino zeigt, der sich frage, „ob ein Text nicht in der Weise reflexiv sein kann, daß er auch noch das Re­alitätsgefälle zwischen sich, als einem Corpus von Zeichen, und den empirischen Umständen seiner Umgebung über­brücken, alles Reale gleichsam in sich aufsaugen kann. Dadurch würde er sich zu einer nicht hintergehbaren Totalität erweitern“ (ebd., 248).

Habermas versucht zur Rettung der Eigenart der Philosophie gegenüber der vermeintlichen Unterwanderung durch die Literatur die Geltungsansprüche wissenschaftlicher Texte im Allgemeinen und im Besonderen der philosophischen geltend zu machen. Das Faktum der Geltung, genauer des eigenen Anspruchs auf Geltung wird zum ‚Alleinstellungsmerkmal‘ der Philosophie gegenüber der Literatur. Der Leser werde durch Geltungsansprüche zur Kritik aufgefordert, die „sich nicht, wie die ästhetische, auf den Text und die von diesem vollzogene Operation der Welterschließung, sondern auf das im Text über etwas in der Welt Gesagte“ (ebd., 262) beziehe. Dieser wissenschaftlich unhintergehbare „Zusammenhang von Bedeutung und Geltung“ (ebd., 261) gelte auch für „Blumenbergs ‚philosophische Erzählungen‘ und Reflexionen“, die den genannten „Gattungsunterschied nicht zum Verschwinden“ (ebd., 263) bringen. „Sie geben die Orientierung an Wahrheitsfragen nicht auf“ (ebd.).

Das zeige sich ex­emplarisch, wenn Blumenberg in der Sorge ungenannt Adorno kritisiere (Blumenberg 1987a, 75). Denn „[a]nders als literarische Texte, von denen einer den anderen parodieren, verschieben, wiederholen oder kommentieren kann, kann ein philosophischer Text einen anderen kritisieren“ (Habermas 1992, 263). Dass die Kritische Theorie die Pointe der Philosophie in der Kritik findet, ist erwartbar. Aber Kritik und Kritikfähigkeit der Philosophie vorzubehalten, ist schlicht Nonsens und ein ebenso unbegründeter wie unhaltbarer Geltungsanspruch.

Philosophie ist kritikfähig – aus verschiedener Perspektive, selbst seitens der Literatur oder sogar der Theologie. Literatur ist ebenso kritikfähig, auch untereinander, was eigens zu zeigen wäre.[4] Nur wenn man eine strikte Selbstreferenz und ebenso strikte Negation von Fremdreferenz unterstellt, könnte man der Literatur Wahrheitsansprüche absprechen. Nur – wäre solch eine Restriktion der Literatur womöglich dann eine Konsequenz eines Selbstbehauptungsunternehmens einer Philosophie – mit erheblichen Nebenkosten.

Schirrmacher trifft mit seiner Rezension sicher das Literarische in Blumenbergs Schreiben und Betreiben. Habermas trifft seinerseits, dass Blumenberg nicht auf solche Wahrheitsansprüche verzichtet, die in der Philosophie üblich sind. In ihrer Debatte zeigen aber beide wenig Sinn für die Verschränkung von Beschreiben und Schreiben, oder Behaupten und Betreiben. Im Rückblick erscheint das mittlerweile als Gespensterdebatte: für oder gegen Literatur; Nobilitierung der Philosophie als Literatur oder umgekehrt…

Wenn Kierkegaard als entscheidend das ‚Wie der Wahrheit‘ verstand, oder wenn in der Theologie das Reich Gottes im Gleichnis als Gleichnis zur Sprache kommt – ist längst geklärt, dass die Sprachgestalt mitnichten marginal ist, sondern von eigenem Gewicht, womöglich sogar entscheidend für die Mitteilung. Merleau-Pontys Wendung von der ‚vérité a dire‘ – ist dann nicht mehr nur apophantisch, sondern phantisch zu hören: das Sagen (oder Schreiben) wird zur entscheidenden Gestalt – so wie Levinas’ Sagen in Differenz zum Gesagten. Oder anders, aber ähnlich, wenn bei Ricoeur die Narration Refigurationspotential entfaltet in der Lektüre. Die Wahrheit des Sagens, die Deutungsmacht der Schrift in ihrer Figürlichkeit – muss man nicht Heidegger überlassen und zurückweisen. Würde man damit doch die Philosophie um diese Dimension verkürzen, nur um Heideggers Übertreibungen zu vermeiden.

Zum Schluss seiner Rettung der Philosophie vor dem Literatenlob zieht Habermas auch Schirrmacher noch auf seine Seite, der in einer späteren Rezension (zu Karl Kraus) kritisch annotierte: „Philosophen und Historiker, Geisteswissenschaftler überhaupt, glauben, auf Argumente verzichten zu können, und beginnen, fiktional zu reden“ (Schirrmacher 1988, zit. n. Habermas 1992, 263). Das aber sei schlicht „Geschwätz“, das in die Wissenschaften eingedrungen sei. So erkenne schließlich auch Schirrmacher, meint Habermas, die „Konsequenzen einer falschen Literarisierung von Wissenschaft und Philosophie“ (ebd.).

Schirrmacher hatte 1988, als er dies schrieb, verständlicherweise noch nicht die Höhlenausgänge gelesen, die im folgenden Jahr erschienen. Darin erklärte Blumenberg – als hätte er die Debatte verfolgt – „Philosophie ist der Inbegriff von unbeweis­baren und unwiderlegbaren Behauptungen. Nur – das zu zitieren, macht Philosophen leicht nervös. Daher sei das Zitat gleich fortgeführt: Behauptungen, „die unter dem Gesichtspunkt ihrer Leistungsfähigkeit ausgewählt wor­den sind“ (Blumenberg 1996, 22, Hervorhebung P.S.). Allerdings wird es damit nur noch irritierender: Nicht die Wahrheitsfähigkeit, sondern die Leistungsfähigkeit wird hier zum Kriterium. Oder auch nicht die Kritikfähigkeit, wie Habermas meinte, oder die reine Vernunft zählen hier, sondern die hermeneutische Leistungsfähigkeit: „Sie [die Behauptungen] sind danach nichts anderes als Hypothesen, mit dem Unterschied, daß sie keine Anweisungen für mögliche Experimente oder Observationen enthalten, sondern ausschließlich etwas ver­stehen lassen, was uns sonst als ganz und gar Unbekanntes und Unheimliches gegenüberstehen müßte. Die Behaup­tung, es gebe eine Erinnerung der Gattung wie der Individuen, wird sich weder beweisen noch widerlegen lassen; aber sie verschafft uns verstehenden Zugang zu Phänomenen“ (ebd., 22f).

Das Kriterium der Leistungsfähigkeit ist demnach nicht die reine theoretische Vernunft, das nackte Argument oder gar eine Herkunft aus letz­ten Gründen, sondern das Phänomenverständnis, das eine hermeneutische Stabilisierung angesichts drohenden Unverständnisses leistet. Das ansonsten ‚Unbekannte und Unheimliche‘ klingt, als wäre die theologische Hermeneutik ideengebend im Hintergrund: Gott als Grundfigur? Im Kontext der Höhlenausgänge allerdings dürfte es um die ‚absolutistische Wirklichkeit‘ gehen, die kraft des ‚Verstehenlassens‘ ihren Absolutismus verliert: in der wundersamen Wandlung von Natur in Kultur. Durch die Stabilisierungsfunktion des Verstehens angesichts der Abgründe des Unverständnisses, also eine Pragmatisierung des Verstehens, wird Philosophie zum Apotropaion gegen das Unheimliche,auch eine Art consolatio philosophiae (im beidseitigen Genitiv; vgl. Dober 2019).

Philosophie wäre dann auch die ‚Disziplin‘, von dem zu reden, was man sich nicht mehr leisten kann – etwa: den Überschwang, ans Seiendseiende zu denken, weil und wenn man es nicht in die Konfiguration der Bedingungen von Selbsterhaltung zu bringen vermag. Und von dem zu reden, was man sich zumuten muß an Konzession und Kon­traktion“ (Blumenberg 1996, 810). Bei allem Sinn für Humor geht es darin nicht um eine ‚Unterwanderung‘ der Philosophie durch Literatur; auch nicht um ein Aufgeben von Wahrheitsansprüchen oder um die Kappung jeder Weltreferenz.

Insofern hat Habermas völlig recht, wenn er zu Blumenberg notiert: Dieser wissenschaftlich unhintergehbare „Zusammenhang von Bedeutung und Geltung“ gelte auch für „Blumenbergs ‚philosophische Erzählungen‘ und Reflexionen“ (Habermas 1992, 261). Nur zeigt Habermas keinerlei Sinn für die Sinnlichkeit des Sinns, die Sprachlichkeit des Denkens, oder für die Metaphorizität der Philosophie und die selbstkritisch selbstironische Humoralität von Blumenbergs Phänomenologie.

Etwas abschätzig formuliert Habermas: Bei Blumenberg „besteht zwischen der literarischen Form und der philosophischen Überzeugung eine Ent­sprechung: wer die Einwurzelung der Theorie in der Lebenswelt kontextualistisch versteht, wird die Wahrheit in der Metaphorik der Erzählungen entdecken wollen“ (ebd., 262f.). Als wäre dieser Wille zur Wahrheit der Metapher und zur Metaphorizität der Wahrheit (bzw. ihrer Narrativität) ‚selbstredend‘ vergeblich: ein vermeintlich offensichtlicher Fehlschluss aus der Voraussetzung der ‚Einwurzelung der Theorie in der Lebenswelt‘. Seltsam, dass Habermas in seinem kritischen Pathos hier argumentativ auffällig zurückhaltend bleibt. Anscheinend wird die phänomenologische Einsicht in den Zusammenhang von Lebenswelt und Theorie von ihm missverstanden als Relativismus eines Kontextualismus (was ein weiteres Missverständnis sein dürfte). Mit der Gönnergeste eines philosophischen Großmeisters wird dann dem Münsteraner Metaphorologen immerhin eine Entsprechung von literarischer Form und philosophischer Überzeugung zugestanden – mehr aber auch nicht.

Die Frage nach dem Verhältnis von ‚Philosophie und Literatur‘ bei Blumenberg lässt sich auch auf anderem Wege entscheiden: In seinen Texten gibt es m.W. nie die Differenz von Autor und Erzähler, sondern im Text ergreift der Autor selbst das Wort und hat selber das Sagen in der Arbeit am Gesagten. Dieses Argument aus der Perspektive einer literaturwissenschaftlichen Proseminar-Unterscheidung bestätigt mit geringeren Folgelasten Habermas’ These und seine Rettung Blumenbergs für die Philosophie. Über den Stil und Witz von Blumenbergs Texten ist damit noch nichts gesagt. ‚Wer spricht?‘ ist somit zunächst klar: der Unterzeichner der Texte namens Blumenberg ‚selbst‘. Wer Wahrheits- oder Geltungsansprüche erhebt, somit auch.

Auf dem Hintergrund der genannten Unterscheidung ergibt sich allerdings eine Folgefrage: Wann spricht der Autor und wann die ihm thematischen Autoren? Und wenn der Autor spricht, spricht er dann über die (Werke der) Autoren oder äußert er eigene Ansichten? Dieses Problem betrifft die Unterscheidung Blumenbergs von ‚bloßer Historie‘ resp. von ‚reiner Doxographie‘. Systematisch gesprochen ist es die Frage nach Differenzen seiner Interpretationen und nach der Präsenz Blumenbergs in seinen Interpretationen. Es ist in Blumenbergs Texten nicht selten unklar, ob einer der Autoren spricht, ob Blumenberg über deren Äußerungen spricht und resp. oder ob er dabei eigene Ansichten oder Argumente äußert.

Diese Problemlage könnte man auf zweierlei Weise einlinig entscheiden: Entweder man liest die Texte nur doxographisch und unterschlägt damit Blumenbergs Beteiligung (wie etwa die History of Ideas), dann wird man nicht selten etwas zu korrigieren haben, Fehler und Irrtümer feststellen und eigene Doxographie dem entgegensetzen. Oder man liest die Texte durchgängig als Selbstentfaltung von Blumenbergs Phänomenologie, als eigene Entwürfe in Gestalt von Interpretationen. Dann kann man freizügig aus seinen Werken zitieren, ohne auf den Status der Äußerung zu achten, und dabei werden nicht selten darstellende oder kommentierende Äußerungen als Blumenbergs eigene Ansicht kurzgeschlossen. Beide Möglichkeiten sind reduktiv und dementsprechend erfolgreich und befriedigend, aber – natürlich – unzureichend.

Der Status von Blumenbergs Texten ist meist komplex in dem Sinne, dass er die drei genannten Möglichkeiten oft zugleich präsent hält. Wenn diese These richtig ist, versteht es sich, dass keine eindeutigen Reduktionen sinnvoll sind und andererseits, dass in der Interpretation Blumenbergs stets Unterscheidungsbedarf herrscht, wenn die Komplexität nicht zur Indifferenz zerfließen und bloß beliebiger Gebrauch eröffnet werden soll. Das Problem dieses hermeneutischen Knotens aus mindestens drei Strängen wird man nicht los, indem man zwei davon kappt. Im Gegenteil, in der eigenen Blumenberginterpretation vermehrt man die Lage noch um mindestens zwei weitere Stränge: die eigene Darstellung und das eigene Verhältnis zum Dargestellten. Ausdifferenzierung und Komplexitätssteigerung sind daher unerlässlich. Die Situation wird wie in jeder Semiose unvermeidlich komplexer als sie am Ausgangspunkt war. Die einfachsten Ansichten bestehen nur über Texte, die gar nicht gelesen wurden. Und worüber gar nicht erst ein Text entsteht, scheint noch fragloser zu sein. Wer also von einer Interpretation Eindeutigkeit verlangt oder einfach nur Problemlösungen, der würde besser gar nicht erst zu lesen anfangen.

 

II Verstehen und Vergnügen: Humoralität als phänomenologische Verflüssigung

Mit der etwas sophistisch klingenden Philosophiebestimmung des ‚Inbegriffs von unbeweis­baren und unwiderlegbaren Behauptungen‘, ausgewählt nach dem Kriterium ihrer hermeneutischen Leistungsfähigkeit‚ setzt sich Blumenberg demonstrativ ins Zwielicht. Aber – schon der sophistische Klang ist nicht nur eine ‚anti-dogmatische‘ Herausforderung des platonischen Dispositivs (hatte sich doch Platon schlicht als der bessere Sophist erwiesen – im Namen der Wahrheit zu sprechen). Es ist eine vermutlich auch selbstironische Relativierung, die ihren Witz hat – wenn man mitlacht und darin mitdenkt. Lachend Denken und denkend Lachen scheint auch insinuiert zu werden, wenn Blumenberg notiert: „Dichter beweisen nicht. Darin sind sie den Philosophen nicht unähnlich, obwohl ihre Auswahlbestimmungen fürs Unbewiesene nicht ganz so streng sind: Wo Verstehen sich nicht einstellt, genügt allemal das Vergnügen. Dieses muß jenes nicht ausschließen, kann es im Hintergrund sogar bereithalten“ (Blumenberg 1996, 23f).

Wären Verstehen und Vergnügen Metonymien auf die Lektüre von Philosophie und Literatur, wird deren Unterschied vorausgesetzt, deren wechselseitige Verschränkung denkbar und verständlich. Mag die Literatur auch nicht in ‚reiner theoretischer Vernunft‘ Wahrheitsansprüche argumentativ verteidigen, ist sie doch potenter, als Habermas meinte: Sie hat die Deutungsmacht, verstehen zu lassen, was ansonsten unverständlich bliebe. Und umgekehrt ist die Philosophie vergnügungsfähig (wenn nicht vergnügungspflichtig) – wie Blumenberg nicht nur sagt, sondern zeigt. Und dieses Zeigen bekommt hier seinen deiktischen und epideiktischen Sinn. Es ist ein Beweis ad oculos lectoris: Es zeigt sich dem Leser, was gesagt wurde, weil sich im verstehenden Lesen das Gesagte einstellt (wenn man dem Ansinnen entspricht).

Selbstkritisch und zugleich vergnüglich selbstironisch wird es, wenn man die Bemerkung mithört: „In aller Rhetorik steckt die Gefahr der Selbstüberredung, auch und erst recht in der philosophischen … Ihr [der Philosophie] ‚Effekt‘ hat die milde Nachsicht zu sein mit dem, der sagt, was man beinahe selbst hätte sagen können …“ (Blumenberg 1981, 5). Die Humoralität – als hermeneutische Praxis der Verflüssigung ‚alten Ernstes‘ ist nicht nur fremdbezüglich, sondern pragmatisch konsistent auch selbstbezüglich. Was als Selbstreferentialität der Literatur für Habermas bloße Diskursimmanenz wäre, wird in Blumenbergs Selbstironie zur Selbstkritik der Philosophie – allerdings nicht in reiner theoretischer, sondern in unreiner hermeneutischer Vernunft.

„Wer Sinn sucht, will die Welt korrigieren. Wer den Humor sucht, will die Pointen verbessern“ (Schirrmacher 1987), notierte Schirrmacher in seiner Rezension der Sorge – und trifft damit prägnant die Pointe Blumenbergs. Meint man. Nur, die Alternative ist seltsam und unglücklich. Könnte nicht beides zusammentreffen?

Blumenbergs Art des Sagens (Schreibens) ist in seiner fungierenden Humoralität Verflüssigung – auch der Grenzen von Literatur und Philosophie, von Rhetorik und Hermeneutik, von Verstehen und Vergnügen. Sind doch die zitierten Wendungen merklich vergnüglich (zumindest für Nicht-Philosophen). Mit dieser Verflüssigung gewinnt die Philosophie eine ungewöhnliche Leistungsfähigkeit: zum Beispiel Nachdenklichkeit zu wecken – statt das Denken universal und normativ regulieren zu wollen, oder in allem Verstehen auch Vergnügen zu bereiten – und damit das Verstehen schmackhaft und den Geschmack verständig werden zu lassen.

Etwas methodischer formuliert sind dann zu unterscheiden:

-        thematische Unbegrifflichkeit (wie die untersuchten Metaphern in ihren Geschichten),

-        prinzipielle Unbegrifflichkeit (die er gegen die ‚Herrschaft des Begriffs‘ wie der Begriffsgeschichte geltend macht), und

-        fungierende Unbegrifflichkeit seines Schreibens (die man auch operative nennen könnte). Der paradigmatische Text dafür ist die ‚Nachdenklichkeit‘ – mit einem fabelhaften Stil: einem ,Denkstil‘, der von der Fabel als Fabel geweckt wird, in der thematisierten Fabel entdeckt wird, und im Verstehen auferweckt, wiedererweckt, auf dass er von seinen Lesern nachvollzogen wird (vgl. Stoellger 2000).

 

III Wahrheitswert und Wahrnehmungswert

In der Einleitung zu den Wirklichkeiten in denen wir leben erklärte Blumenberg: „Philosophie, zumal in ihren deskriptiven Verfahren als Phänomenologie, ist Disziplin der Aufmerksamkeit… Jede Wissenschaft darf es sich leisten, ja wird es im Dienste ihrer Geltung und Förderungswürdigkeit nicht vermeiden können, gelegentlich Überraschendes mitzuteilen. Die Philosophie hat diesen Vorzug oder diese Last nicht. Im Gegenteil: Niemand darf überrascht sein zu erfahren, was sie zu sagen hat. Ihr ‚Effekt‘ hat die milde Nachsicht zu sein mit dem, der sagt, was man beinahe selbst hätte sagen können – auch die Nachsicht mit sich selbst, daß man nur gerade übersehen hat, was sich bei ein wenig größerer Intensität des Hinsehens hätte sehen lassen müssen. Darin hat sie auch keine Sonderstellung unter den Wissenschaften… Dienst an der Schärfung der Wahrnehmungsfähigkeit im weitesten Sinne ist das, was die Philosophie gemein hat und was sie gemein macht mit allen ‚positiven‘ Disziplinen. Nur daß alleine sie kein anderes Verfahren hat, ihre ‚Phänomene‘ zu konservieren, als sie zu beschreiben. Sogar wenn sie ihre eigene Geschichte schreibt, beschreibt sie das Hervortreten ihrer ‚Phänomene‘, für die es keine andere Präparation gibt als eben diese Geschichte. Und wie das geschieht, ist wiederum eines ihrer ‚Phänomene‘. Deshalb wird es eine Phänomenologie der Geschichte geben, zu der einige Anläufe in den wenigen Arbeitsproben dieses Bändchens bemerkbar sein sollten“ (Blumenberg 1981, 5f.; vgl. Blumenberg 1987b, 158f).

Aufmerksamkeitswert – ist die phänomenal zweideutige Wendung dafür. Nur geht es dieser Phänomenologie nicht darum, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen mit Neuigkeitswert oder Sensationalität, sondern erstaunlich diskret darum, sie lediglich zu wecken, zu schärfen und zu disziplinieren. Aufmerksamkeit für die Phänomene zu wecken wird hier (kalkuliert inkonsistent) doch wieder überraschend und bemerkenswert, weil die Philosophie als dienstbare Magd der Phänomene auftritt. So zieht Blumenbergs humorale Kritik doch noch eine Aufmerksamkeit auf sich, die er zugleich zurückweist, indem er auf das Worumwillen der Phänomene verweist.

Anders als Habermas meinen würde, geht es

-        nicht nur um einen Wahrheitswert, sondern einen Wahrnehmungswert,

-        nicht nur um Gedächtnis-, sondern um Horizonterweiterung, weil in der Arbeit am Erfahrungsraum der Erwartungshorizont erweitert wird (i.S. Kosellecks formuliert),

-        nicht nur um einen Genauigkeitswert, sondern den Wert der Ungenauigkeit,

-        nicht nur um Erkenntnisgewinn, sondern um Sprachgewinn.

Das kann man eine Umwertung ohne Entwertung nennen. Vorsichtig formuliert: eine Aufwertung der entwerteten Apräsenzen, stärker gesagt: eine ‚Wertverschiebung‘ als Umbesetzung zugunsten des Marginalisierten – mit dem Risiko sich am Marginalen zu ‚infizieren‘ und selber als solches zu gelten. So gesehen ist Blumenberg außerordentlich mutig – gegenüber den Üblichkeiten seiner Zunft.

Denke und schreibe so, dass Wahrnehmungswert, Sprachgewinn und Horizonterweiterung möglich werden. Solch ein Denkstil gründet in einem Wahrnehmungsstil – dem der Nachdenklichkeit – und er artikuliert sich, zeigt sich performant im Schreibstil: dem ‚fabelhaften Stil‘, der zu operativen Texten führt: Arbeit am Leser, der danach nicht mehr derselbe ist. Ricoeur nannte das Refiguration der Leserwelt. Nur wäre zu bemerken, dass es liminal um eine Transfiguration des Lesers geht. Die Performanz und Operativität dieser Texte wird immersiv. Deswegen vermutlich nannte Marquard sie ‚Problemkrimis‘.

Das kann man Sprachdenken (vgl. Stoellger 2010) nennen, mit Rosenzweig gegen Hegel, gegen die Neuhegelianer der Ritter-Schule und auch gegen Heidegger und die Folgen. Sprachdenken heißt hier sicher nicht, dass es eigentlich die Sprache sei, die denkt, sicher aber, dass Denken konstitutiv sprachlich verfasst ist. Weitergehend heißt es, dass Denken sich zeigt, und zwar nicht erst oder vorzüglich im Begriff, sondern auch in seinen lebensweltlichen ‚Vorformen‘, die Grundformen sind: die Metaphern und ihre Verwandten. Das Denken zeigt sich in Figuren, die ihrerseits das Denken figurieren. In Erinnerung an Fritz Heider formuliert sind diese Figuren Wahrnehmungsformen und in dem Sinne Medien des Denkens. Es sind figurierende Figuren – die daher hermeneutisch von besonderem Gewicht sind.

Bei Blumenberg sind daher, im Unterschied zu Heidegger wie Rosenzweig, die Grundfiguren die Figuren (der Unbegrifflichkeit), nicht die anonyme Sprache und nicht die Namen oder der Name Gottes, das Tetragramm. Daher ist auch die Rhetorik die Rahmentheorie, nicht eine Theologie des Namens oder eine Poetologie und Seinsgeschichte. Und tragender Hintergrund ist nicht ‚das Sein‘, auch nicht das Sein Gottes, sondern die Pluralität der kulturellen Lebenswelten. Die Figuren sind Symptome, oft nicht-intentionale Ausdrucksgestalten der Form: der Denkform oder des Denkstils. Es zeigt sich einiges im Sagen, besonders in seinen Figuren, und zwar oft mehr als gewollt, gewählt oder gewusst. Dieses nicht-intentionale Sichzeigen ist für die Phänomenologie von besonderem Interesse. Nicht nur, dass man es mit einem besonderen Phänomenfeld zu tun hätte, sondern mit einer bestimmten ‚Ursprünglichkeit‘ des Denkens am Ort seiner (aktiv/passiv/medialen) Genese, seiner lebensweltlichen Rückbindung – und aufgrund der Geschichtlichkeit kultureller Lebenswelten daher auch seiner ‚historischen‘ Varianz und Beschreibbarkeit.

So ungefähr lässt sich Blumenbergs Sprachdenken als Sprechdenken und Schreibdenken bestimmen: Phänomenologie nicht als Schule oder Lehrbestand, nicht nur als Methode, sondern als Haltung und Denkstil, oder Wahrnehmungs-, Sprech- und Schreibstil.

Das figurative Denken operiert in Verschränkungen (Chiasmen):

-        sprechend Denken und denkend Sprechen

-        schreibend Denken und denkend Schreiben

-        sagend Zeigen und zeigend Sagen

-        imaginativ memorial und memorial imaginativ operierend

-        auch schmunzelnd, gar lachend Verstehen und verstehend Lachen.

 

IV Nachleben: sagendes Zeigen und zeigendes Sagen

Blumenbergs Kunst der Wahrnehmung und Artikulation, der Aufmerksamkeit und der Vermutung, Anspielung, Darstellung und Inszenierung, ist ebenso eindrücklich, wie es schwerfällt, sie eigens explizit zu machen. Im Versuch zu sagen, was sich zeigt in Blumenbergs Texten, geht es darum, was er betreibt: was die Texte so treiben zwischen den Zeilen, in, mit und unter den Beschreibungen. Es wird darin vieles gesagt und gezeigt, aber seine eigene Art des Sagens und Zeigens, die Weise des Betreibens im Beschreiben – das scheint mit von besonderem Belang zu sein, wenn man nach der Resonanz, Relevanz und BrisanzBlumenbergs fragt.

Selbstredend bleiben von Blumenberg immense Beschreibungen, und im Laufe der Nachlassedition werden es immer mehr. An denen kann man sich ad infinitum abarbeiten: sie verfeinern oder kontrollieren und korrigieren, weiter- und umschreiben etc. Eine historische, ideengeschichtliche oder doxographische Lektüre ist völlig plausibel. Nur würde sie die phänomenologischen Obertöne überhören: Warum, wie und zu welchem Ende wird das alles getrieben und gezeigt, vor Augen geführt und ad oculos demonstriert? Offensichtlich geht es in der Legitimität nicht nur um eine Neuzeitgeschichte, sondern um eine Legitimierung der Neuzeit. Oder ähnlich offensichtlich geht es in den Höhlenausgängen nicht nur um die Rezeptions- und Variationsgeschichte eines Gleichnisses, sondern um eine Kulturtheorie. Oder noch offensichtlicher geht es in seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Sigmund-Freud-Preises nicht nur um eine Fabelauslegung, sondern um Weckung der thematischen Nachdenklichkeit.

Das Gesagte, Geschriebene, Gedruckte kann und wird wie üblich nach seinem Wahrheitswert beurteilt. Daraufhin gibt es umgehend Streit, Revisionen und Überholungen. Vom Gesagten bleibt meist wenig im Laufe der Zeit. In allem Gesagten aber bleibt ein Sagen, eine eigenartige Weise des Sagens, die als solche keinen üblichen Wahrheitswert hat. Daher wird sie wissenschaftlich meist als irrelevant marginalisiert. So zu Sagen hat nicht nur Wahrheits-, sondern Kommunikationswert. Im Sagen geht es phänomenologisch wie hermeneutisch nicht nur um Referenz und Wahrheitswert des Gesagten, sondern um den Wahrnehmungswert des Zeigens des Gezeigten. Blumenbergs sagendes Zeigen und zeigendes Sagen lässt und (wenn es gelingt) macht einen anders sehen als zuvor. Der nicht binär, sondern analog zu skalierende Wahrnehmungswert zielt auf einen Wahrnehmungsgewinn.

Mit der Differenz vom Gesagten und der Art des Sagens, wie des Gezeigten und Weise des Zeigens wird eine phänomenologische Differenz gemacht, der ikonischen Differenz verwandt. Solle doch mit der ikonischen Differenz (i.S. Boehms) die Darstellungsweise von der Darstellung und dem Dargestellten unterschieden werden – um nicht im Dargestellten und dessen kunsthistorischer Beschreibung allein zu verbleiben. Analoges ist auch für die Phänomenologie geltend zu machen: bei allen Beschreibungen und dem vielen Beschriebenen die Beschreibungsweise in den Blick zu bekommen – und nach dem zu fragen, was da wie betrieben wird im Beschreiben oder gezeigt wird im Sagen.

Im Schreiben wird operativ präsent, was thematisch ist, und nicht nur das Oberflächenthema, sondern Tiefenthemen meist anthropologischer und kulturtheoretischer Prägung. Wie diese ‚Realpräsenz‘ des Themas sich ereignet kraft der Art und Weise des Zeigens im Gezeigten wie Sagens im Gesagten und deren Performanz, scheint mir den lebendigen und belebenden Nerv dieser Phänomenologie zu bilden. Die Art und Weise des Sagens und Zeigens ist die Spur seiner Version von Phänomenologie. Er sagt nicht nur etwas, sondern die Art des Sagens ist von Gewicht. Er zeigt nicht nur etwas, sondern die Weise des Zeigens zeigt, worum es im Hintergrund geht. Dabei kommt es zu Verschränkungen von Sagen und Zeigen, die man ‚Bildschriftlichkeit‘ nennen könnte (in weiterführender Aufnahme der Schriftbildlichkeit): zu einer deiktischen Lexis und lektischen Deixis. Dieser Chiasmus von Lexis und Deixis heißt, auf etwas zeigen, etwas zeigen, Zeigen zeigen, etwas Sichzeigen lassen und darin auch indirektes Sichzeigen in fungierender Unbegrifflichkeit. Das führt in die Literarizität der Philosophie und ihre Ikonizität: die Deixis ihrer Lexis. Diese Deixis kraft fungierender Unbegrifflichkeit wird phänomenologisch verstanden zur Epideixis, wenn sich im Text als Text dem Leser zeigt, was gesagt wird: exemplarisch in der Realpräsenz des thematischen Humors im Fungieren seiner schmunzelnden Philosophiebestimmungen.

Mag der Wahrheitswert des Gesagten überholt werden, wird der Kommunikationswert seiner Art des Sagens für sich stehen wie der Wahrnehmungswert des Zeigens. So erscheint als der wissenschaftsgeschichtlich erhebliche und nachhaltige Gewinn von Blumenbergs Phänomenologie ein zeigendes Beschreiben, nicht ohne zu betreiben, was ihn bewegt und den Leser bewegen mag. Mögen andere eine Theorie kommunikativen Handelns oder der Kommunikationssysteme konzipieren, hat Blumenberg eine philosophische Kommunikationskultur entworfen und ausgeführt, die als Zeig- und Sprachform sich nicht im Gesagten erschöpft, sondern im Sagen und Zeigen ihren Sinn entfaltet. Dass im Gesagten ein Sagen präsent ist und im Sagen ein Zeigen, im Zeigen ein nichtintentionales Sichzeigen, ist einerseits generell gültig, das aber zu kultivieren und zur ‚philosophischen Methode‘ zu machen, kann ein langes Nachleben entfalten: eine phänomenologisch-hermeneutische Kultur der Nachdenklichkeit, nicht ohne erhellenden Witz und selbstkritische Ironie.

 

 

Literatur

Barthes, Roland: Die Körnung der Stimme. Interviews 1962–1980. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2002.

Blumenberg, Hans: Wirklichkeiten in denen wir leben. Aufsätze und eine Rede. Stuttgart: Reclam 1981.

Blumenberg, Hans: Die Sorge geht über den Fluß. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1987a.

Blumenberg, Hans: Das Lachen der Thrakerin. Eine Urgeschichte der Theorie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1987b.

Blumenberg, Hans: „Im philosophischen Roman wird nicht philosophiert. Über Melchior Vischers Miniaturroman ‚Der Hase‘“. In: Neue Zürcher Zeitung (4.8.1988), S. 19.

Blumenberg, Hans: Höhlenausgänge. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1996.

Dober, Benjamin: Ethik des Trostes. Hans Blumenbergs Kritik des Unbegrifflichen. Weilerswist: Velbrück 2019.

Habermas, Jürgen: „Philosophie und Wissenschaft als Literatur?“, In: Nachmetaphysisches Denken. Philo­sophische Aufsätze, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1992, S. 242–263.

Huber, Jörg/Stoellger, Philipp/Ziemer, Gesa/Zumsteg, Simon (Hg.): Ästhetik der Kritik oder Verdeckte Ermittlung, Wien/New York: Springer 2007.

Schirrmacher, Frank: „Das Lachen vor letzten Worten. Hans Blumenbergs ‚Die Sorge geht über den Fluß‘“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (17.11.1987), Literaturbeilage.

Schirrmacher, Frank: „Wie Worte Taten gebären“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (29.3.1988), Literaturbeilage.

Stoellger, Philipp: Metapher und Lebenswelt. Hans Blumenbergs Metaphorologie als Lebenswelthermeneutik und ihr religionsphänomenologischer Horizont. Tübingen: Mohr Siebeck 2000.

Stoellger, Philipp: „Sprachdenken zwischen Schleiermacher, Kierkegaard und Rosenzweig. Zum Vor- und Nachleben des Sprachdenkens in hermeneutischer Perspektive“. In: Naharaim. Zeitschrift für deutsch-jüdische Literatur und Kulturgeschichte, Vol. 4, Nr. 1 (2010), S. 97–119.



[1] Vgl. Blumenberg 1988. Blumenberg fährt fort: „Es wird nichts dagegen eingewandt in jenem Jahr des Erscheinens 1922 – aber alles ‚spricht‘ dagegen.“ Mit 1922 ist sc. das Erscheinungsjahr von Vischers ‚Der Hase‘ gemeint, dessen Neuausgabe bei Suhrkamp 1988 Blumenberg bespricht. Der Satz dürfte als Referenz auf Heidegger (und Gadamer) zu lesen sein.

[2] Vgl. aber Barthes 2002, 178: „Alles ist Sprache oder, genauer gesagt, die Sprache ist überall. Sie geht durch alles Wirkliche hindurch; es gibt kein Wirkliches ohne Sprache.“

[3] Ein ähnliches Drama hatte Eco 1990 in seinen ‚Grenzen der Interpretation‘ inszeniert und sich nicht ohne Komplikationen gegen die Dominanz der intentio lectoris gewendet mit seinem Plädoyer für eine intentio operis als normatives Regulativ der Interpretation (in Abgrenzung vom dekonstrukiven ‚Gebrauch‘). – Dass allerdings die Konstruktion einer intentio operis (wie schon diese personalisierende Metapher) eine Leserhypothese ist und erst recht die Wahl als Regulativ eine Leserentscheidung, ist schwer bestreitbar – und zeigt, wie Eco in Anspruch nimmt, was er zurückweist.

[4] Dabei verändert sich sc. Sinn und Bedeutung von ‚Kritik‘. Vgl. z.B. Huber et al. 2007.