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Nr. 1 / 2020
Interview

Die Fahrt ins Ungewisse anhalten – Ein Gespräch mit Christoph Rüter

„Wer war dieser Blumenberg?“ – diese Frage stellt sich, trotz der Bedeutung seines Werks, auch zum 100. Geburtstag des großen Münsteraner Denkers. Was hat Sie motiviert, einen Film ausgerechnet über einen Philosophen zu machen, der sich selbst als Person in die Unsichtbarkeit zurückgezogen hat?

Hans Blumenberg, geb. am 13. Juli 1920 in Lübeck, ist ein Wiedergänger des Faust, ein Universalgelehrter, wie man ihn heute nicht mehr findet. Die Studenten – und nicht nur sie: auch normale Bürger –, pilgerten zu Blumenbergs berühmten Freitagsvorlesungen, erlebten (auch ich war 1984 ein Semester lang dabei), wie er in freier Rede im Münsteraner Schloss gelegentlich ein Kärtchen zog, um ein Zitat korrekt wiederzugeben; erlebten, wie er seinen imponierenden Vortrag mit stupender Belesenheit und seinem ganz eigenen, hintersinnigen Humor verfeinerte. Über seine eigenen Witze hat er übrigens nie gelacht, während das Auditorium sich ausschütten wollte vor Lachen!

Hier war Blumenbergs Bühne, hier erprobte er Material für seine späteren Bücher, hier brillierte er in einer Form, die man heute ›Performance‹ nennen würde. Neben höchst theatralischen und amüsanten Aspekten, die wie improvisiert daherkamen – er hatte Sinn für Spielerisches, Ironisches, Polemisches –, wirkte er auch wie jemand von einem anderen Stern, wozu ihm sein Nimbus der Unnahbarkeit, den er kultivierte, sehr half.

Während seiner Münsteraner Jahre, seinen letzten 15 als akademischer Lehrer, wuchs sein Ruf kontinuierlich, während er sich andererseits immer mehr zurückzog, um Buch auf Buch zu schreiben. Gelegentlich telefonierte der Eremit aus seiner Höhle heraus mit handverlesenen Könnern der schreibenden Zunft, die er nicht persönlich kannte, wie Martin Meyer (NZZ), Henning Ritter (FAZ) oder dem Verleger Michael Krüger (Hanser).

1985 schrieb ich an meiner Magisterarbeit über Klaus Manns „Mephisto“. Ich hatte in München und Berlin studiert und zog mich zu diesem Zweck zurück auf ein Wasserschloss in der Nähe von Münster.

Einer meiner engsten und besten Freunde war und ist Burkhard Lütke Schwienhorst. Ich lernte ihn mit 11 Jahren kennen, als meine Eltern von Gelsenkirchen nach Telgte umzogen. Ein Jahr lebten wir in der Bauernschaft Schwienhorst. Dort wuchs Burkhard auf einem großen Bauernhof auf.

Er fiel auf, da er schon mit 16 Jahren Proust las und gekonnt Schach spielte. Ein begabter Bursche, der Schriftsteller werden wollte. Als ich an meiner Magisterarbeit saß, riet er mir, schleunigst an den Vorlesungen von Blumenberg teilzunehmen, bei dem er studentischer Mitarbeiter war. Ich hatte neben Theaterwissenschaft auch Psychologie und Philosophie studiert und schon so manchen berühmten Mann gehört. Ich ging zu Blumenberg und war begeistert.

Ich kam vom Theater und konnte seine Philosophie-Darstellung nur bewundern. Hier passierte Erstaunliches und ich riet meinen Münsteraner Freunden, die Vorlesungen mitzuschneiden. Offensichtlich saß schon damals der Dokumentarfilmer in mir. Blumenberg wollte zwar nicht fotografiert werden – er misstraute Fotos -, aber gegen den Kassettenrecorder hatte er nichts. So wurden unzählige Kassetten aufgezeichnet. Ich ließ keine Vorlesung aus, bis mich dann Hans Neuenfels nach Berlin rief und mich zu seinem Assistenten machte.

Die Kassetten gerieten in Vergessenheit und jeder machte ‚seins’. Als Lewitscharoff ihr Buch „Blumenberg“ herausbrachte, spürte ich nicht nur bei meinem Freund Burkhard, wie eine ungeheure Erregung um sich griff. Wie konnte die Lewitscharoff wagen, sich an unserem ‚heiligen‘ Blumenberg zu vergreifen: Ein Sakrileg!!! Die hat ihn ja nicht einmal gehört!!!

So kam ich auf die Idee, das Unmögliche zu versuchen, und schlug Burkhard einen Film vor. Nach kurzem Zögern wurden die Kassetten gesucht und siehe da, sie liefen noch. Und nun wurde es nicht nur ein Film über Blumenberg und meinen Freund, sondern auch über meine Generation und eine Gruppe Menschen, die unter Wert geschlagen wurde, da sie zwischen allen Stühlen saß. Und diese Idee hatte ich schon lange und nun passte es – dank Blumenberg!

Sie verstehen Ihren Film als „philosophisches Roadmovie“. Sehen Sie ihn damit als Teil der Rezeptionsgeschichte von Blumenbergs Philosophie? Ist er selbst Medium des Philosophierens?

Drei Spurensucher reisen in einem Bus quer durch Deutschland, besuchen die Lebensstationen des Philosophen Hans Blumenberg, sprechen mit Menschen, die ihn gekannt haben, diskutieren seine Gedanken. Eine Spurensuche nach jemandem, der Zeit seines Lebens nicht hatte sichtbar sein wollen, die letzten Lebensjahre die Höhle seines Arbeitszimmers nicht mehr verließ – wenngleich er mit seinen Phantasien gern bis in den Weltraum vorstieß.

Ausgangspunkt ist Blumenbergs Heimatstadt Lübeck, von hier folgen die Drei dem langen Weg seines Lebens und Denkens. Gelegentlich steigen Gäste in den Bus, die Blumenberg nicht persönlich kannten, aber seine Texte weiter-denken. Immer wieder hören wir Blumenberg vom Band, er fährt mit uns und wir er-fahren etwas. Der Weg führt von seiner Heimatstadt Lübeck über Münster, Heidelberg, Marbach, Stuttgart, München bis nach Zürich. Immer wenn wir an-halten, kommen Zeugen zu Wort, die den Philosophen Hans Blumenberg noch gekannt haben, die von seinem Charakter und seiner unglaublichen Präsenz berichten. Am meisten hat mich sein Satz beeindruckt, den ich unterwegs eingespielt habe:

„Und das bedeutet: als biologischer Vorgang ist die Evolution mit dem Menschen beendet, nicht weil er im alten Sinne, das habe ich gesagt, die Krone der Schöpfung ist, sondern weil er selbst eben in der Lage ist, den Evolutionsprozess abzuschalten. Fortsetzung der Evolution heißt Barbarei, und Barbarei heißt hier nichts anderes als der Gegenbegriff zu Kultur.“

Da hat die Menschheit einen Satz, der sie zum An- und Innehalten zwingen würde. Aber die Metapher der Fahrt ins Ungewisse wird wohl weiter die Maxime der Menschheit bleiben.

Als Student haben Sie Blumenberg – und die Anziehungskraft, die er auf seine Zuhörerschaft ausübte – selbst erlebt. Ist Ihnen etwas besonders in Erinnerung geblieben? Und welche Gründe gibt es, sich heute mit dem „Dichter-Philosoph“, wie Sie ihn nennen, zu beschäftigen?

Er ist deswegen so interessant, weil er zeigt, warum Denken menschheitsgeschichtlich konstitutiv wurde. Welche Ausdrucksformen, welche Atempausen es verschaffte, welche Existenzformen es prägte. Er zeigt, wie der Mensch im Denken mittelbar wird, wie er Umwege geht, Zeit gewinnt und sich Handlungsspielräume eröffnet.
Mit Blumenberg lernen wir den Sinn der durch Denken erschlossenen Enklaven kennen: die Vorteile von Distanz, Zögern, Umweg. Andererseits sieht er durchaus die Ambivalenz der mentalen Errungenschaft: Wir denken, weil wir dabei gestört werden, nicht zu denken.

 

 

 

 

 

 

Der Filmemacher Christoph Rüter studierte Theaterwissenschaft, Philosophie und Psychologie in München und Berlin. 1985–1989 war er Dramaturg an der Freien Volksbühne Berlin. Dort arbeitete er u.a. mit Hans Neuenfels, Robert Wilson und Heiner Müller zusammen. Er produzierte zahlreiche Filme, u.a. über Angela Winkler, Thomas Brasch, Klaus Michael Grüber, Heiner Müller etc. Zuletzt erschien „HANS BLUMENBERG – Der unsichtbare Philosoph“ (2018, 2020 DVD-Veröffentlichung).

Die Fragen stellte Ana Honnacker.