Bild der Startseite
Nr. 2 / 2023
Ein schwarzweiß Foto. Zwei zerknüllte Papierstückchen, eines davon gräulich, das andere weiß
pro&contra

Können wir mit der Natur Kompromisse schließen?

 

Angesichts der gegenwärtigen ökologischen Verwerfungen – der zunehmenden Dürren, Überschwemmungen, dem Abtauen der Permafrostböden und Abschmelzen der Polarkappen, dem massiven Waldsterben – scheint die Forderung, endlich einen Kompromiss mit der Natur zu schließen, zunächst folgerichtig. Die Forderung führt allerdings insofern in die Irre, als „wir“ bereits immer in einem Kompromiss mit der Natur leben, menschliche Naturverhältnisse stets Kompromissverhältnisse sind. Was seit einigen Jahrzehnten deutlich wird, ist daher nicht, dass ein Kompromiss fehlt, sondern dass der bisherige Kompromiss der Menschheit mit der Natur nicht trägt. Und das in mindestens zwei Hinsichten: Erstens folgen alle bisherigen Kompromisse der klassischen Vorstellung, dass es sich um einen Vergleich zwischen zwei getrennten Konfliktparteien handelt. Das Phantasma einer klaren Trennung zwischen Natur und Mensch wird durch diese Vorstellung zugleich gefestigt und als solche verdeckt. Zweitens erscheint in einer solch klassischen Vorstellung von Kompromiss ‚Natur‘ als einheitliche Akteurin. Natur ist allerdings nicht nur unweigerlich mit „uns“ verwoben; sie ist je lokal und historisch verschieden auf Menschheit und Kultur bezogen. In diesen Gefügen ist sie, als Geflecht von Beziehungen, in je spezifischer Weise eigensinnig und übersteigt in dieser Eigensinnigkeit menschliches Interesse wie menschliche Vorstellungskraft.

In einem wie auch immer gearteten neuen Kompromiss mit der Natur müsste diese paradoxe Situation von Verwobenheit mit und zugleich Eigensinnigkeit der Natur Anerkennung erfahren. Gegen die schlechten Kompromisse der menschlichen Hybris, die sich in technokratischen und solutionistischen Zugängen zu ökologischen Krisen Bahn brechen, wären bessere Kompromisse zu setzen, die in Rechnung stellen, dass das Anthropozän – das Zeitalter, in dem der menschliche Einfluss sich in den Erdschichten sedimentiert, das heißt geologisch nachweisbar wird – nicht bedeutet, dass der Mensch die Kontrolle über die Natur gewonnen hätte und sie nun eigenmächtig steuern könnte. Neue Kompromisse müssen vielmehr von der Einsicht ausgehen, dass die Natur uns kompromittiert, dass nämlich das Anthropozän jenes Erdzeitalter ist, in dem der Mensch vorgeführt wird, indem seine verkürzte, ja dumme Vorstellung von einer Natur auffliegt, die allein „für ihn“ zur Verfügung stehe – für einen Kompromiss, den immer er allein sich ausdenkt. Ein besserer Kompromiss – der notwendige Kompromiss unserer Zeit – liegt darin, diese Kompromittierung anzuerkennen und damit zu beginnen, Politiken voranzutreiben, die die Natur nicht als Vertragspartnerin auffassen und so die liberale Vorstellung souveräner Akteurschaft wiederholen, sondern die sich ernsthaft auf die Andersartigkeit, Unverfügbarkeit und Nicht-Regierbarkeit von Natur in ihrer Verwobenheit mit Kultur („uns“) einlassen. Das sind Politiken, die Privilegien nicht durch immer neue „Innovationen“ absichern, sondern diese in Frage stellen, weil sie sich angesichts des Versprechens eines besseren (Über)Lebens wirklich kompromissbereit zeigen: d.h. bereit, etwas Eigenes aufzugeben, um sich und andere zu erhalten. //kh&jh

 

Autorin

Dr. Katharina Hoppe ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie, im Arbeitsbereich Soziale Ungleichheit der Goethe-Universität Frankfurt. 2020 wurde sie dort mit einer Arbeit über die Epistemologie, Ethik und Politik im Werk Donna Haraways promoviert, die 2021 bei Campus erschien. Sie war Gastwissenschaftlerin am Forschungskolleg „Zukünfte der Nachhaltigkeit" an der Universität Hamburg, im Department for Feminist Studies der University of California in Santa Cruz und am Seminar für Soziologie der Universität Basel.

Autor

Dr. Jonas Heller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Praktische Philosophie der Goethe-Universität Frankfurt. 2018 erhielt er den Werner Pünder-Preis für seine Dissertation „Mensch und Maßnahme. Zur Dialektik von Ausnahmezustand und Menschenrechten", die im selben Jahr bei Velbrück Wissenschaft erschienen ist. Er war Gastwissenschaftler an der Columbia University in New York und der University of Chicago.

 

Wie immer, wenn eine Frage einen schwer fassbaren Allgemeinbegriff enthält, muss auch hier die Antwort lauten: „Kommt drauf an.“

Sind mit „der Natur“ einzelne Tiere, Pflanzen oder auch Arten gemeint und schreibt man diesen so wie sich selbst einen Eigenwert zu, können wir nicht nur, sondern sollten sogar Kompromisse mit ihnen schließen. Wir sind erdgeschichtlich betrachtet „Spätankömmlinge“ auf diesem Planeten, der über Millionen von Jahren Heimat von anderen gewesen ist. Da sollte es sich für die Spezies, die als einzige zu Moralität und objektiver Erkenntnis befähigt ist, von selbst verstehen, die Lebensräume und  Ressourcen des gemeinsamen Zuhauses gerecht zu teilen. Kompromisse mit der Natur sind in diesem Sinne also unsere moralische Pflicht.

Nun ist leicht zu erkennen, dass dieses moralische Verhältnis zur Natur nicht wechselseitig ist und auch nicht sein kann. Nicht nur dürfen wir von den anderen Spezies nicht erwarten, dass sie sich uns gegenüber freiwillig zurücknehmen. Es wäre erst recht naiv, eine solche Rücksichtnahme von den Gesamtsystemen der Natur oder gar der Biosphäre des Planeten einzufordern. Diese Entitäten funktionieren wie sie nun einmal funktionieren. Mit den ökologischen und geophysikalischen Gesetzmäßigkeiten der Gesamtsysteme lassen sich keine Kompromisse aushandeln.

Wenn dies eigentlich allseits einleuchten dürfte, warum steht dann die hier diskutierte Frage in Politik und Gesellschaft dennoch so oft im Raum? Einer der Hauptgründe dafür scheint mir das populäre „Drei-Säulen-Modell“ im gegenwärtigen Nachhaltigkeitsdiskurs zu sein. Nach dieser Interpretation von Nachhaltigkeit ruht diese auf den drei Säulen Ökonomie, Ökologie und Sozialem, wobei – und das ist der springende Punkt – allen drei Handlungsfeldern das gleiche Gewicht zukommt. Es gelte, so hört man oft, die Erfordernisse von Ökonomie, Ökologie und Sozialem in ein „ausgewogenes Verhältnis“ zu bringen. Der derzeitige Verkehrsminister Volker Wissing bringt diese Vorstellung zum Ausdruck, wenn er mahnt, man dürfe keinen „Klimaschutz gegen die Interessen der Gesellschaft“ betreiben. Vielmehr müssten die „Mobilitäts- und Produktionsinteressen mit dem Klimaschutz in Einklang“ gebracht werden.

Was der Minister bei diesem „Einklang“ offenbar übersieht, ist die Tatsache, dass die ökonomischen und sozialen Belange eines bestimmten Teils der Menschheit den Naturgesetzlichkeiten der Biosphäre nicht auf Augenhöhe gegenüberstehen. Systemtheoretisch betrachtet sind erstere in letztere eingebettet. Die Ökonomie ist ein Teilsystem des Sozialen und dieses wiederum ein Teilsystem der Ökosphäre. Ein Teilsystem kann nun aber dem Gesamtsystem nicht etwas „abhandeln“, ohne dass ihm das Gesamtsystem dafür irgendwann die Rechnung präsentiert. Spätestens hier wird deutlich, dass es bei den vermeintlichen Kompromissen mit der systemischen Natur in Wirklichkeit um Kompromisse zulasten späterer Generationen geht. Deren existenzielle Interessen werden aufs Spiel gesetzt, indem heutige Generationen sich mehrheitlich weigern, ihre Produktions-, Konsum- und Mobilitätsinteressen den ökologischen Rahmenbedingungen anzupassen. Viel zu selten wird diese Amoralität offen angesprochen. //mg 

                                                                                 

Autor

Martin Gorke hat in Biologie und Philosophie promoviert und ist gegenwärtig Professor für Umweltethik an der Universität Greifswald. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Begründungen des Artenschutzes, Zielkonflikte im Naturschutz und Wissenschaftstheorie der Ökologie. Wichtigste Veröffentlichung: „Eigenwert der Natur. Ethische Begründung und Konsequenzen", Hirzel Verlag, Stuttgart, 2. Aufl. 2018.