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Nr. 2 / 2021
Wohnen
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"Die Thesis dieser Paradoxie führt zur Destruktion." Warum wir nicht mehr bei uns selbst wohnen können

Die Frage nach der Möglichkeit des Wohnens beantworten zu können, heißt für die Bedingungen moderner Subjektivität zweierlei: Es heißt zu verstehen, wie im politischen Liberalismus die Grenze von Öffentlichkeit und Privatheit gezogen wird und es heißt zu verstehen, wie die Grenze zwischen Eigentum und Eigentumslosigkeit verläuft. Beides hängt intern zusammen. Für die allgemeine Form politischen Regierens ist damit gesagt, dass der politische Liberalismus eine Trennung von Innerem und Äußerem vollzieht. (Di Cesare 2020) Mit der Sphäre des Inneren ist die Sphäre des Privaten, des Privativen und des Nichtregierbaren bezeichnet, während hingegen die Sphäre des Äußeren die des politischen Regierungshandelns darstellt. Beide Sphären sind voneinander abhängig, sie sind nicht voneinander zu trennen. Wenngleich es so erscheint, als ob die Sphäre des Privaten und des Unregierbaren unabhängig von der ihr entgegengesetzten, der politischen Regierungsform wäre. Die Unabhängigkeit des Unregierbaren ist damit ein Effekt der Abhängigkeit von der Freistellung seitens des politischen Regierungshandelns.

Politik als Entpolitisierung

Die Trennung von Innerem und Äußerem ist konstitutiv für die Form liberalen Regierens, sie bringt das liberale Regieren hervor. Zugleich aber heißt liberale Politik, sich die Trennung von Innerem und Äußeren immer wieder vorauszusetzen und damit als eine ihren Regierungshandeln vorgängige und gegebene zu betrachten. Die Trennung gibt es also auf zwei verschiedene Weisen. Zum einen gibt es die Trennung als eine, die es nur im Akt der politischen Setzung gibt. Die Weise ihrer Hervorbringung ist die Weise, wie es die Trennung gibt. Die Trennung ist hervorgebracht. Zum anderen gibt es die Trennung als eine, die sich immer schon nach der Setzung dieser Trennung versteht. Die Trennung ist vorausgesetzt. Beide Formen aber – die Konstitution und die Voraussetzung – werden in der politischen Form des Liberalismus so überblendet, dass die beiden verschiedenen Weisen der Konstitution und der Nichtkonstitution ununterscheidbar zusammenfallen. Genau darin besteht die Naturalisierung der Trennung. Die Trennung ist dann beides: sie ist nur im Vollzug dieser Trennung, der aber zugleich behauptet, es gebe etwas, das nicht im Vollzug dieser Trennung hervorgebracht wird. Der Vollzug der Trennung konstituiert sich durch die Behauptung eines Nichtvollziehbaren an der Trennung. Der Vollzug der Trennung ist der politische Akt, der sich selbst eine Sphäre des Nichtpolitischen oder Vorpolitischen voraussetzt. Darin aber bringt der politische Akt etwas hervor, was nicht die Struktur dieses politischen Aktes hat. Der politische Akt vergisst sich selbst in seiner konstitutiven Funktion. Er konstituiert etwas Nichtkonstituiertes, genau aber darin besteht die Leistung und der Effekt der Konstitution: Das politisch Konstituierte als etwas Vorpolitisches und damit Nichtkonstituiertes erscheinen zu lassen.

Durch diese doppelwendige Struktur – der von Hervorbringung der Trennung als politischer Vollzug und Voraussetzung der Trennung als nichtpolitischer oder vorpolitischer Nichtvollzug – konstituiert sich die Form liberaler Politik. Liberale Politik konstituiert sich durch die Trennung von innen und außen zugleich aber nimmt sie die Trennung von innen und außen als eine nichtpolitische oder vorpolitische Trennung an. Der Akt konstituiert sich durch etwas Nichtkonstituierbares am Akt. In dem Moment, in dem sich liberale Politik hervorbringt, nimmt sie sich zugleich zurück. Das ist die Weise, in der es liberale Politik gibt. Deshalb ist liberale Politik Dementierung von Politik als ihre Selbstbegrenzung. Liberale Politik gibt es nur in der Dementierung des Politischen der Konstitution einer Sphäre, die sie sich selbst voraussetzt und als gegeben annimmt. Liberale Politik ist Hervorbringung von Nichtpolitik.

"die Thesis dieser Paradoxie führt zur Destruktion"

In seinem bekannten Aphorismus über die Unmöglichkeit des Wohnens prägt Adorno eine Wendung, die dem zum Bonmot gewordenen Satz „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ vorausgeht. Die Wendung lautet „die Thesis dieser Paradoxie führt zur Destruktion“ – es muss also verstanden werden, wie Thesis als Setzung einerseits und die Antithesis als Entgegensetzung andererseits zu einer Paradoxie als Destruktion führen können. Beide – Thesis als Setzung und Antithesis als Entgegensetzung – führen nicht zur Synthesis, sondern zur Paradoxie, genauer: einer destruktiven Paradoxie. Adorno erläutert die Unmöglichkeit des Wohnens anhand der Unmöglichkeit, über Eigentum verfügen zu können. Die Verfügung über Eigentum ist nicht nur für Eigentumslose unmöglich geworden, sie ist auch für die Eigentümerinnen unmöglich geworden.

„Die Kunst bestünde darin, in Evidenz zu halten und auszudrücken, daß das Privateigentum einem nicht mehr gehört, in dem Sinn, daß die Fülle der Konsumgüter potentiell so groß geworden ist, daß kein Individuum mehr das Recht hat, an das Prinzip ihrer Beschränkung sich zu klammern; daß man aber dennoch Eigentum haben muß, wenn man nicht in jene Abhängigkeit und Not geraten will, die dem blinden Fortbestand des Besitzverhältnisses zugute kommt. Aber die Thesis dieser Paradoxie führt zur Destruktion, einer lieblosen Nichtachtung für die Dinge, die notwendig auch gegen die Menschen sich kehrt, und die Antithesis ist schon in dem Augenblick, in dem man sie ausspricht, eine Ideologie für die, welche mit schlechtem Gewissen das Ihre behalten wollen.“ (Adorno 1951, 58-59)

Die Thesis besteht darin, dass Individuum zu sein im Liberalismus heißt, nicht mehr das Recht zu haben, sich am Eigentum beschränken zu können, weil das Eigentum in der „Fülle der Konsumgüter“ expandiert ist. Es ist also gerade nicht zu wenig Eigentum, sondern zu viel Eigentum, dass die Logik der Verfügung über Eigentum unterläuft. Das Individuum ist nicht fähig, sich im Eigentum zu beschränken, weil es seinen Willen im Eigentum nicht zu formieren vermag. Zugleich aber, und das ist die Gegenthesis zur Thesis, bedarf es des Eigentums, um sich als Individuum reproduzieren zu können. Zwei Thesen, die sich widersprechen und doch zugleich wahr sind, münden in eine Paradoxie ein. Eine Paradoxie aber, die „zur Destruktion führt“. Nur im Eigentum kann sich das Individuum im Kapitalismus reproduzieren, zugleich aber ist es das Eigentum, das dem Individuum selbst unverfügbar wird. Wir können nur so Eigentum haben, das wir es nicht mehr haben können. Individuum zu sein heißt, Eigentum haben zu müssen, weil nur so sich das Individuum zu reproduzieren vermag. Zugleich aber ist das Individuum unfähig, über das Eigentum verfügen zu können. Mit der Formulierung der „lieblosen Nichtachtung für die Dinge“ ist die Unverfügbarkeit über die Dinge bezeichnet, die aber nicht auf die Dinge beschränkt bleibt, sondern auf die Form der Subjektivierung zurückwirkt und damit gegen das Subjekt sich wendet.

Die Wendung „die Thesis dieser Paradoxie“ meint also zweierlei. Sie meint zum einen, dass die Verfügung über Eigentum notwendig ist für das moderne Subjekt, um sich als Subjekt erhalten und reproduzieren zu können. Im selben Zug aber wird das Subjekt unfähig über Eigentum verfügen zu können, weil es Eigentum besitzt, dass es gar nicht zu besitzen vermag. Die Expansion der Fähigkeit des Subjektes über mehr Eigentum verfügen zu können, ist in dieser Analyse intern mit der Unfähigkeit des Subjektes über dieses Mehr an Eigentum verfügen zu können, verbunden. Die Thesis dieser Paradoxie führt deshalb zur Destruktion, weil „die Thesis dieser Paradoxie“ nicht allein bei dem logischen Paradox stehen bleibt, worin Paradoxie meint, dass Subjekt zu sein heißt, nicht über Eigentum verfügen zu können, zugleich aber doch Eigentum haben zu müssen, um Subjekt sein und sich als Subjekt reproduzieren zu können. Vielmehr besteht das Destruktivwerden der „Thesis dieser Paradoxie“ darin, dass die Destruktion als Indifferenz gegen Dinge „einer lieblosen Nichtachtung“ dazu führt, „notwendig“ gegen das Subjekt sich zu wenden. Das, was das Subjekt konstituiert und zu reproduzieren vermag, bürgerliches Eigentum, entsubjektiviert das Subjekt zugleich.

Thesis und Antithesis führen also nicht zu einer Synthesis, wie die Dialektik oft verstanden worden ist. Die Einheit von Thesis und Antithesis als Übergang von der Thesis zur Antithesis führen zur Destruktion und die Destruktion ist Effekt der Paradoxie. Damit ist ein wesentlicher methodischer Schritt bezeichnet: Thesis und Antithesis gehen nicht zur Synthesis über, werden nicht in ihr aufgehoben, vielmehr wird die „Thesis dieser Paradoxie“ der Destruktion zugeführt. Destruktiv ist die „Thesis dieser Paradoxie“ deshalb, weil es keinen Ausweg aus der Paradoxie gibt, die das Subjekt nicht betreffen würde. Das Subjekt als „beschädigtes“ Subjekt muss gestört und zerstört werden in der Weise, wie Thesis und Antithesis aufeinander bezogen sind. Die Paradoxie ist deshalb keine rein logische Paradoxie, die Paradoxie bezeichnet vielmehr die sozialontologische Grundverfassung moderner Subjektivität auf ihre logische Form gebracht. Die materiellen Bedingungen moderner Subjektivität sind einerseits – wie die Thesis besagt – „daß einem das Privateigentum nicht mehr gehört“ und andererseits „das[s] man aber dennoch Eigentum haben muss“ – wie die Antithesis besagt. Beide – Thesis, kein Eigentum haben zu können und Antithesis, Eigentum haben zu müssen – stehen in einem Verhältnis der Paradoxie.

„Aber die Thesis dieser Paradoxie führt zur Destruktion“, weil das Nichthabenkönnen und das Habenmüssen von Eigentum eine Paradoxie markieren, die zugleich die Reproduktion des modernen Subjektes möglich machen und unmöglich werden lassen. Das sind die materiellen Bedingungen der Unmöglichkeit des Wohnens für das Subjekt im Kapitalismus. Es gibt keine unschuldige oder unzerstörerische Weise des Subjektes, wohnen zu können.

Die Formel „die Thesis dieser Paradoxie führt zur Destruktion“ meint eine gedoppelte Destruktion. Sie ist die Destruktion, die aus „einer lieblosen Nichtachtung der Dinge“ zugleich „notwendig auch gegen die Menschen sich kehrt“ – die Indifferenz gegen das Eigentum führt zu einer Destruktion nicht nur des Eigentums, sondern auch zu einer Destruktion des Subjektes, so die dialektische Gegenwendung. Im Indifferentwerden gegen die Dinge wird das Subjekt sich selbst gegenüber indifferent. Die moderne rechtliche und ökonomische Figur des Eigentums führt also nicht nur dazu, dass einige nicht über Eigentum verfügen und andere über Eigentum verfügen, sondern sie führt zu einer Paradoxie in der Figur des Eigentums selbst. Eigentum zu haben heißt, nicht über das Eigentum verfügen zu können, in der Verfügung über das Eigentum wird das Eigentum unverfügbar, gerade weil „die Fülle der Konsumgüter potentiell so groß geworden ist, das kein Individuum mehr das Recht hat, an das Prinzip ihrer Beschränkung sich zu klammern“ – das Individuum kann sich nicht mehr am und durch das Eigentum beschränken, weil das Eigentum in der „Fülle der Konsumgüter“ entgrenzt wurden ist. Die Entgrenzung des Eigentums führt dazu, dass beide sowohl Objektseite als auch Subjektseite füreinander unverfügbar werden. Genau das Füreinander-unverfügbar-werden aber ist die Weise, in der das moderne Rechtssubjekt über das Eigentum zu verfügen vermag – darin besteht die Paradoxie, die zur Destruktion führen muss. Es ist also eine bestimmte, falsche Form der totalisierenden Verfügung über Eigentum, die dazu führt, dass sowohl das Eigentum als auch die Eigentümer es nicht vermögen, über Eigentum verfügen zu können. Darin liegt das Moment der Destruktion von Eigentum und Eigentümerinnen.

"Die Person geht im Eigentum unter"

Auch Herbert Marcuse hatte bereits 1941 in seinem Buch „Vernunft und Revolution“ auf diese innere Dialektik im modernen Eigentum hingewiesen: „Die Person geht in ihrem Eigentum unter und ist nur aufgrund ihres Eigentums eine Person. Infolgedessen bezeichnet Hegel alles Personenrecht als Eigentumsrecht.“ (Marcuse 2020, 175) Marcuse beschreibt hier eine grundlegende Spannung in der modernen Form des Eigentums und der Subjektivierung. Person zu sein ist an die Figur des Eigentums gebunden, zugleich aber unterminiert die Figur des Eigentums das Personsein. Die Person ist „nur aufgrund ihres Eigentums eine Person“, aber zugleich tendiert die Person dazu, im Eigentum unterzugehen. Das, was der Person ihr Personsein ermöglicht – die moderne Form der Rechtsperson – entpersonalisiert die Person zugleich. Eigentum ist also eine unüberwindbare Spannung von einer widerstrebigen Gegenbewegung. Eigentum ermöglicht der Person ihr Personsein und Eigentum lässt die Person im Eigentum untergehen. Personalisierung durch das Eigentum und Entpersonalisierung durch das Eigentum sind zwei Gegenbewegungen, in denen sich das kapitalistisch formierte Subjekt zugleich zu subjektivieren vermag und entsubjektiviert wird.

In neueren Eigentumstheorien von Axel Honneth und Eva von Redecker wird genau diese Spannung in der Figur des Eigentums einer politischen Deutung unterzogen. Die politische Deutung der Eigentumsfigur besagt, dass individuelles Eigentum zur Formierung und Bestimmung des eigenen privaten Willens notwendig ist, weil nur so das Subjekt fähig wird, im Politischen von seiner sozialen Freiheit Gebrauch zu machen. Der sozialen Teilnahme am Politischen geht demnach eine vorsoziale oder asoziale Nichtteilnahme an der Politik voraus, die mit der Figur des Privateigentums gleichermaßen ermöglichend und beschränkend ist. Das, was das Subjekt fähig machen soll, an sozialer Teilnahme der Politik sich mit anderen bestimmen zu können, macht es unfähig, sich in Form sozialer Teilnahme der Politik als kollektiven Willen zu formieren.

„Wie ein Schutzwall legen sich diese Rechte um das einzelne Subjekt, um ihm einen nach außen hin abgesicherten Freiraum zu schaffen, den es für die ungestörte Befragung und Überprüfung seiner Lebensziele nutzen kann. Die politischen Rechte aber scheinen dieselben Rechtssubjekte aus der damit eingehegten Privatsphäre wieder herausholen zu wollen, indem sie ihnen eine Reihe von legalen Möglichkeiten an die Hand geben, sich aktiv an der demokratischen Willensbildung zu beteiligen und dadurch zugleich auf die politische Gesetzgebung Einfluß zu nehmen; und je engagierter sich die Individuen an einer solchen gemeinsamen Praxis beteiligen, desto stärker machen sie von einer Freiheit Gebrauch, die in ihrer konstitutiven Angewiesenheit auf andere Subjekte mit derjenigen des privaten Rückzuges nichts mehr gemeinsam hat.“ (Honneth 2013, 145)

Was Honneth mit der grundlegenden „Spannung zwischen privater und kollektiver Autonomie, die das liberaldemokratische Rechtssystem auszeichnet“ (Honneth 2013, 144) bezeichnet, besteht genau darin, dass privates Eigentum das moderne Subjekt fähig machen soll, am Politischen teilzunehmen, in der Befähigung zur politischen Teilnahme aber zugleich ein privatistisches und entpolitisierendes Moment verborgen liegt, dass genau diese Fähigkeit zum Politischen in eine Unfähigkeit zur Politik und damit zur Entpolitisierung übersetzt.

In ihren Überlegungen zur modernen Form des Eigentums, die Eva von Redecker mit dem Begriff der „Sachherrschaft“ einer Kritik unterzieht, wird die Figur des Eigentums an den Begriff der Verfügbarkeit gekoppelt. Eigentum zu haben heißt, über Eigentum verfügen zu können. Zugleich aber gibt es im Eigentum etwas, über das sich nicht verfügen lässt, ja mehr noch: im Eigentum gibt es etwas, das sich der Verfügung entzieht, es bleibt durch die Prozesse der kapitalistischen Verfügbarmachung unverfügbar. Prozesse der Verfügbarmachung können dieses Unverfügbare am Eigentum nur um den Preis der Destruktion des Eigentums in die Ordnung der Verfügung überführen. Deshalb heißt über Eigentum verfügen zu können immer, einen Exzess zu vollziehen. Der Exzess besteht darin, dass die Sachherrschaft über Eigentum sich in der Zerstörung des Eigentums zu konstituieren vermag.

„Die Verheißung des modernen Eigentums schafft eine heikle Souveränität. Will sie sich ihrer selbst vergewissern, kann sie das nur im Exzess: Einmal in Frage gestellt, kann sie sich nur beweisen, wenn sie die Willkürfreiheit voll ausschöpft. So weiß der Sachherrscher erst, dass ihm etwas wirklich gehört, wenn es tot ist.“ (von Redecker 2020, 32)

Der Gedanke, dass die totalisierende Verfügung über Eigentum zur Destruktion von Eigentum führen muss, wird von Eva von Redecker mit zwei eindrücklichen Gewaltszenen vor Augen geführt. In beiden Gewaltszenen geht es um Pferde: in der einen Szene wird ein Pferd zu tote geritten, in der anderen Szene wird ein Pferd zu tote geschlagen. Beide Szenen bringen die Grundform der patriarchalen Sachherrschaft zum Ausdruck. Die Gewalt, die der modernen Form der Sachherrschaft eingeschrieben ist, wird von Eva von Redecker mit dem Begriff der „uneingeschränkten Verfügung“ bezeichnet.

„Das besondere Merkmal modernen Eigentums ist das neue Verhältnis zum vereinnahmten Objekt in Form uneingeschränkter Verfügung. Modernes Eigentum berechtigt den Besitzer nicht nur zu Kontrolle und Gebrauch, sondern auch zu Missbrauch und Zerstörung desselben.“ (von Redecker 2020, 22)

Mit dem Begriff der „uneingeschränkten Verfügung“ ist gesagt, dass die totalisierende Verfügung über Eigentum zur Zerstörung von Eigentum führt. Zerstörung ist nicht nur eine bestimmte Weise des Gebrauches von Eigentum. Gebrauch gibt es nur als Zerstörung des Eigentums im Exzess. Wenn Eigentum mit souveräner Verfügung über Eigentum einhergeht, dann besteht Eigentum in Sachherrschaft über Eigentum. Sachherrschaft über Eigentum hat die Tendenz zur Totalisierung als souveräne Verfügbarmachung. In der Tendenz zur souveränen Totalisierung wird das Unverfügbare des Eigentums in die Verfügbarkeit überführt, aber so, dass darin das Eigentum selbst zerstört wird. Souveräne Verfügbarmachung als Totalisierung führt zur Destruktion des Eigentums. Die Destruktion des Eigentums ist aber nur der erste Schritt, er führt im zweiten Schritt zur Destruktion des souverän verfügenden Subjektes. Darin kehrt sich die Sachherrschaft gegen das Subjekt der Sachherrschaft. Subjekt der Sachherrschaft heißt dabei beides: Ausübung von Herrschaft über Sachen und die Weise, in der sich die Sachherrschaft gegen die Sachherrscher[1] wendet. In dieser Beschreibung ist Destruktion in der souveränen Verfügbarmachung eingeschrieben.

Eva von Redeckers Gedanke lässt sich auf zweierlei Weise verstehen. Zum einen kann er besagen, dass Zerstörung ein bestimmter Gebrauch des Eigentums ist. Eigentum wäre in dieser Lesart etwas, das sich auf kreative und konstruktive Weise gebrauchen lässt. Eigentum kreativ und konstruktiv zu gebrauchen hieße, im und durch das Eigentum die eigene Subjektivität ethisch zu erkunden, um neue, interessante Gebrauchsweisen zu erproben, mit denen wir unsere subjektive Freiheit im Privaten positiv zu bestimmen vermögen. Der Exzess der Zerstörung des Eigentums wäre nur ein Extrempol, den es zu vermeiden und zu überwinden gilt, um einen anverwandelnden Gebrauch von Eigentum zu ermöglichen, in dem Subjektivität sich formieren kann. Zum anderen kann er besagen, dass Zerstörung dem Eigentum im Kapitalismus sozialontologisch eingeschrieben ist. Eigentum wäre in dieser Lesart etwas, das sich nicht auf kreative und konstruktive Weise gebrauchen lässt. Das liegt in der Form dessen begründet, was Eigentum als Sachherrschaft ist. In dieser sozialontologischen Lesart gehört das Destruktive zur Grundform des modernen kapitalistischen Eigentums. Der Exzess der Zerstörung des Eigentums wäre der alleinige Modus, in der es allein Eigentum im Kapitalismus geben kann. Die erste Lesart besagt, wir können prinzipiell Eigentum auf eine Weise gebrauchen, die nicht zur Destruktion von Dingen und Menschen werden muss. Die zweite Lesart besagt, wir können Eigentum nur im Modus seiner exzessiven Zerstörung gebrauchen, weil der kapitalistischen Form des Eigentums die Zerstörung von Dingen und Menschen eingeschrieben ist. In der letzten Lesart ist Eigentum nur im Exzess als Destruktion da. Die Zerstörung ist die Weise, wie es Eigentum gibt. Es gibt keine nichtzerstörerische Weise, Eigentum zu gebrauchen.

Eva von Redeckers Beschreibungen des Eigentums in der Form von Sachherrschaft legen eine stärkere, sozialontologische Deutung nahe, sie besagt, dass solange Eigentum an die klassenförmige Ausbeutung, die rassifizierte Unterdrückung und die patriarchale Herrschaft gebunden ist, es nie einen nicht destruktiven Gebrauch von Eigentum geben kann. Eigentum ist nur im Modus seiner Destruktion da. Es gibt Eigentum nur, indem es sich selbst als Eigentum und die Eigentümer in der Verfügung über ihr Eigentum zerstört. Eigentum ist also in seiner heutigen Form sozialontologisch beides: es ist Selbstzerstörung von Dingen in der „lieblosen Nichtachtung für die Dinge“, zugleich aber führt es zur Destruktion der Sachherrscher selbst.

Mit der Doppelbewegung von Zerstörung ist gesagt, das souveräne Eigentümerinnen nicht nur ihr Eigentum zerstören, sondern indem sie ihr Eigentum zerstören, sich ihr souveräner Verfügungsdrang im Modus des Eigentums gegen ihre eigene souveräne Subjektivität wendet. Wenn Adorno schreibt, dass die „lieblose […] Nichtachtung für die Dinge […] notwendig auch gegen die Menschen sich kehrt“, dann wird die Destruktion gedoppelt und intensiviert. Zerstörung des Eigentums und Zerstörung von Subjektivität fallen dann in eins. Die Zerstörung von Subjektivität ist die Kehrseite der Zerstörung von dinglichem Eigentum, über das ein souveränes Subjekt zu verfügen vermag. Adorno meint genau diese doppelwendige Destruktionsbewegung der Zerstörung von Objekten, die sich gegen die Subjekte kehrt. Deshalb lässt sich kein kreativer Gebrauch vom Eigentum in seiner bürgerlichen Form machen, der nur in der Extremform, der pervertierten Übersteigerung, in die Destruktion von Dingen und souveränen verfügenden Subjekten führt. Vielmehr ist die Perversion im Exzess die Form, in der es modernes Eigentum als Sachherrschaft gibt. Es ist der Form des modernen Eigentums eingeschrieben, dass sie zur Zerstörung von Dingen und souveränen Verfügungsinstanzen führen muss. Das gehört zur Sozialontologie dessen, was es heißt, über Eigentum zu verfügen.

Für die Form des Wohnens ist damit gesagt, dass wir nicht mehr bei uns selbst wohnen können, weil die Verfügung über das Eigentum durch eine grundlegende Spannung im Eigentum gekennzeichnet ist. Daraus lässt sich aber nicht die Konsequenz ziehen, dass die Unverfügbarkeit in den Dingen, die sich in der destruktiven Form erst gegen die Dinge und dann auch gegen die Menschen wendet, vollkommen abgeschafft werden sollte, vielmehr ginge es darum, die Unverfügbarkeit über das Eigentum und der Eigentümerinnen sich selbst gegenüber anders zu vollziehen. Ein anderer Vollzug des Unverfügbaren, der nicht rein destruktiv wäre, bestünde darin, die totalisierende Verfügung über das Eigentum in der Form des privaten Eigentums so zu verstehen, dass sie notwendigerweise gegen die Subjektivität sich kehren muss. Ein totalisierender Gebrauch von Eigentum geht deshalb immer auch mit einer Destruktion des Subjektes zusammen. Das ist zunächst erst einmal eine epistemische Einsicht in die Struktur von Destruktion, die über die Verdinglichung von Verfügung und Verfügbarkeit verläuft. Deshalb muss der totalisierende und souveräne Gebrauch von Eigentum von innen heraus auf eine andere Praxisform bezogen werden können. Eine Praxisform, die beides leisten können müsste: Formen des kollektiven Gebrauches zu eröffnen und die Affirmation von Unverfügbarkeit als Effekt der Verfügung verstehen und vollziehen zu können. Erst damit würde ein anverwandelter und transformativer Umgang mit dem Eigentum möglich, in dem sich so etwas wie Wohnbarkeit und Lebbarkeit ereignen könnte. Nicht die bloße „Fülle der Konsumgüter“ wäre es dann, die zur Unverfügbarkeit über Dinge und der Destruktion gegen Menschen führen würde, sondern der kreative Umgang mit Dingen und Menschen, der erst das Unverfügbare an den Dingen und den Menschen zu bejahen fähig werden könnte, würde die bürgerliche Eigentumsform von innen her auf Formen des kollektiven Gebrauches einerseits und der Affirmation von Unverfügbarkeit andererseits hin aufsprengen.

Ein anderer Vollzug von Gebrauchsformen und Umgangsweisen mit Eigentum müsste also die Form des privaten, bürgerlichen Eigentums auf das öffnen können, was es bedingt und konstituiert, eine politische Praxis der Freistellung des Privaten von Formen des kollektiv demokratisch Ausgehandelten. Die Form von emanzipatorischer Politik muss deshalb in ihrem Grund genau die sozialontologische Form der Destruktion von bürgerlichem und individualisiertem Eigentum, das Grund und Quelle von politischer Teilnahme sein sollte, in Frage stellen. Emanzipatorische Praxis muss klar machen können, dass genau dasselbe, was zur Transzendierung des individuellen Eigentums führen sollte – ein vorpolitischer Raum der Nichtteilnahme – zur Stabilisierung und Reproduktion des individuellen Eigentums führt. Genau deshalb geht die Person unter im Eigentum. Das kann aber nicht dazu führen, den vorpolitischen Raum restlos in die Politik zu überführen oder aufgehen zu lassen, sondern diese Einsicht müsste dazu führen, den vorpolitischen Raum des Wohnens und Lebens selbst auf seine politischen Konstitutionsbedingungen hin zu befragen. Wenn es so ist, dass die Form des individuellen bürgerlichen Eigentums, dass Subjektivität ermöglicht, zugleich die Person im Eigentum untergehen lässt, wie Marcuse schreibt, oder die politische Subjektivierung nicht fähig ist, aus der reinen Privatautonomie heraus zu gelangen, wie Honneth etwas moderater schreibt, dann muss die Form der Politik selbst sich transformieren. In der Art, dass sie Formen des Eigentums zu erproben ermöglicht, in der sich die Teilnehmerinnen an dieser anderen politischen Praxis wechselseitig und kollektiv dazu befähigen, das Unverfügbare an den Dingen und den Subjekten auf ihre soziale Hervorgebrachtheit hin befragen zu können. Die Unverfügbarkeit ist nicht allein der ontologische Grund in den Dingen, sie ist vielmehr auch sozialontologisch hervorgebracht. (Rosa 2020, 44) Als hervorgebrachte Unverfügbarkeit in den Dingen ist sie Effekt unseres Umganges mit den Dingen. Wenn Adorno von der „lieblosen Nichtachtung für die Dinge“ (Adorno 1951, 58) schreibt, dann ist damit nicht eine ontologische Entzogenheit in den Dingen gemeint, vielmehr ist die Unverfügbarkeit sozialer Effekt einer Gebrauchsweise der Dinge, die darin besteht, sie zu besitzen, aber im Besitz nicht zu gebrauchen. Der Nichtgebrauch führt zur Destruktion der Dinge und wendet sich dann gegen die Menschen. Deshalb gilt es eine Form des Nichtgebrauchs zu vollziehen, die Destruktion einen anderen Sinn gibt.

Affirmation von Unverfügbarkeit als andere Form des Gebrauchs von Eigentum

Deshalb gilt es, die Möglichkeit des Wohnens heute als Wohnbarkeit oder Lebbarkeit nicht gegen die Destruktion, sondern mit der Destruktion zu denken, aber so, dass Destruktion hier anderes vollzogen wird. Die Thesis der Paradoxie, die zur Destruktion führt, lässt sich nicht einfach abschaffen, aber die Thesis – dass wir Eigentum haben müssen – der Paradoxie, die zur Destruktion führt, lässt sich anders vollziehen. Ein anderer Vollzug der Thesis der Paradoxie, die zur Destruktion führt, würde darin bestehen, das Unverfügbare an den Bedingungen des Wohnens auf die politische und soziale Konstitution hin befragen und damit politisieren zu können. Politisierung hieße dann aber nicht einfach das Vorpolitische in die Politik restlos zu integrieren, vielmehr hieße Politisierung die politischen Konstitutionsbedingungen des Entpolitisierten von der Seite der Politik her auf seine Hervorgebrachtheit hin befragen und die Differenz von Politik und Nichtpolitik unterlaufen zu können. (Adamczak 2017, 100) Für die Möglichkeit der Wohnbarkeit und der Lebbarkeit unter der Voraussetzung des bürgerlichen Eigentums heißt das, ein Modell zu entwickeln das beides vermögen können muss: Zum einen muss ein anderer Vollzug des Gebrauchs von Eigentum kollektiv praktiziert werden können und zum anderen muss dieser andere Vollzug sich gegen die bürgerliche Form des individuellen Eigentums zu richten vermögen. Der Begriff der Destruktion bekommt dann einen neuen Sinn. Destruktion heißt dann die Öffnung für die Kreation in neuen und anderen Formen des Gebrauches, in denen die vorgesehenen Gebrauchsweisen gleichsam zur Schau gestellt und ausgesetzt werden. In der Zur-Schau-Stellung und Aussetzung der bürgerlichen Formen des Gebrauchs kann aber die bürgerliche Form des individuellen Eigentums nicht kontinuiert werden. (Agamben 2005, 70-91) Die bürgerliche Form des individuellen Eigentums wird auf Formen des Eigentums hin geöffnet, die kollektiv vollzogen werden und die Dinge unbrauchbar zu machen vermag. Das Modell eines anderen Gebrauches als Unbrauchbarwerden des Eigentums lässt sich mit dem Begriff des Kaputten von Sohn-Rethel und dem Begriff der Zerstörung von Kracauer konzeptuell bestimmen.

In einen Feuilletonessay aus den 20er Jahren von Alfred Sohn-Rethel, der mit dem Titel „Das Ideal des Kaputten“ überschrieben ist, entwickelt Sohn-Rethel einen anderen Begriff der Destruktion als ihn Adorno in dem Aphorismus über die Unmöglichkeit des Wohnens nahelegt. Zerstören heißt hier, den automatischen Funktionszusammenhang der Maschine zu durchbrechen.

„Die Technik beginnt vielmehr eigentlich erst da, wo der Mensch sein Veto gegen den feindlichen und verschlossenen Automatismus der Maschinenwesen einlegt und selber in ihre Welt einspringt. Dabei erweist er sich allerdings dem Gesetze der Technik um Spannen überlegen. Denn er eignet sich die Führung der Maschinen nicht so sehr dadurch an, daß er ihre vorschriftsmäßige Handhabung erlernt, als indem er den eigenen Leib darin entdeckt. Zerstört er dazu zwar zunächst die maschinenfeindliche falsche Magie intakten maschinellen Funktionierens, so installiert er sich jedoch alsdann souverän in des entlarvten Ungeheuers einfältiger Seele und freut sich des wahrhaft einverleibten Besitzes zum unumschränkten Herrentum utopischer Daseins-Allmacht.“ (Sohn-Rethel 2018, 44-45)

Mit der Figur des „Veto gegen den feindlichen und verschlossenen Automatismus der Maschinenwesen“ versucht Sohn-Rethel einen materialistischen Grundgedanken zu formulieren, der zugleich eine andere Praxis des Gebrauchs mit Dingen vorzeichnen soll. Indem der Mensch gegen die Maschine sein Veto einlegt, wird er fähig, Formen des Gebrauchs mit den technischen Dingen zu erproben, die nicht in der „vorschriftsmäßige[n] Handhabung“ aufgehen, ja sie sogar polemisch zu subvertieren versuchen. Gerade weil der Mensch erkennt, dass die Maschinen einen Leib haben – wie er selbst – und damit in Kontinuität zu seiner eigenen, leiblichen Materialität stehen. Die Zerstörung ist eine Operation der Etablierung einer Diskontinuität zwischen dem materiellen Leib der Maschine einerseits und der materiellen Leiblichkeit des Menschen andererseits. Wenn Sohn-Rethel aber schreibt, dass Zerstörung darin bestehe „souverän in des entlarvten Ungeheuers einfältiger Seele […] sich des wahrhaft einverleibten Besitzes zum unumschränkten Herrentum utopischer Daseins-Allmacht“ zu installieren, so wird damit ironisch eine Utopie der totalitären Verfügung über die Maschine beschrieben, die gerade mit dem Begriff des „Funktionieren des Kaputten“ (Sohn-Rethel 2018, 42) unterlaufen werden soll. Dabei werden Kaputtsein und Funktionalität so aufeinander bezogen, dass sie eine Einheit bilden, in der neue Gebrauchsweisen möglich werden, die sich gegen die „vorschriftsmäßige Handhabung“ wenden und die totalitäre Verfügung der Eigentümer im Modus des „einverleibten Besitzes“ ironisch zu unterlaufen vermögen. Der Gedanke der „uneingeschränkte[n] Verfügung“ (von Redecker 2020, 22) als Sachherrschaft bekommt damit in der Formulierung Sohn-Rethelsʼ von der „zum unumschränkten Herrentum utopischer Daseins-Allmacht“ geronnen Souveränität des Subjektes eine andere Pointe. Zum einen weist sie, wie auch Eva von Redecker, mit dem Begriff des „unumschränkten Herrentum[s]“ auf die patriarchale Form der Sachherrschaft in der Figur individuellen Eigentums hin. Zum anderen aber erinnert der Begriff „utopischer Daseins-Allmacht“ zugleich ironisch daran, dass totalisierende Verfügung über Dinge nicht nur mit einer Restitution der bürgerlichen Subjektivität einhergeht, sondern auch, dass es eine Form von Destruktion gibt, die sich für kreative Umgestaltung und Neuformierung von Gebrauchsweisen und Subjektivierungsformen zu öffnen vermag: erstens der Weise wie das Subjekt die Objekte gebraucht, zweitens wie der Gebrauch von Objekten Subjektivität formiert und drittens wie die Relation zwischen beiden anderes vollzogen werden kann. Anderer Vollzug heißt dann ein Vollzug der sich nicht mehr erst gegen die Dinge und dann gegen den Menschen kehrt, vielmehr heißt anderer Vollzug ein Vollzug, der die Dinge so gebraucht, dass sie unbrauchbar werden, für die vorgesehenen Gebrauchskontexte. Mit diesem Unbrauchbarwerden aber, kehrt sich die Form des Gebrauchs von Eigentum gegen die bürgerliche Form des individuellen Eigentums und nicht mehr gegen die Menschen.

Auch Siegfried Kracauer bringt an einer zentralen Stelle seines Aufsatzes über „Die Photographie“ den Begriff der Zerstörung in Anschlag, um ein historisch konkretes und utopisches Modell des Wohnens zu skizzieren.

„Das um die Taille eng geschnürte Kleid ragt auf der Photographie in unsere Zeit hinein wie ein Herrschaftsgebäude aus früheren Tagen, das der Zerstörung preisgegeben wird, weil das Zentrum in einen anderen Stadtteil verlegt worden ist. In solchen Gebäuden nisten sich gewöhnlich Angehörige der unteren Klassen ein. Die Schönheit der Ruine erlangt erst die ganz alte Tracht, die jede Fühlung mit der Gegenwart verloren hat.“ (Kracauer 2014, 30)

So wie das aus der Mode gekommene Kleid, das auf der Photographie zu einem bedeutungslosen „abgeworfenen Rest“ (Kracauer 2014, 31) wird, ist auch die herrschaftliche Architektur in ihrer ruinösen Zerstörung zugleich der Ort für eine andere Form der Praxis. Die andere Form der Praxis ist eine der Aneignung und der Umeignung durch eine anverwandelnde und transformative Form des Umgangs mit den Dingen, die sich in dieser kreativen Aneignung nicht mehr auf die bürgerliche Form des individuellen Eigentums in der Doppelwendigkeit von Zerstörung der Dinge und Zerstörung der Menschen zurückführen lässt. Das Destruktive der bürgerlichen Form wird hier auf eine andere Form der Destruktion hin geöffnet. Einer Form der Destruktion, die es vermag durch die historische Zeitlichkeit hindurch eine Herrschaftspraxis in eine subversive Praxis umzuwenden. Wenn sich die „Angehörige[n] der unteren Klassen“ in die „Herrschaftsgebäude“ einzunisten vermögen, dann hat eine Revolution stattgefunden. Eine Revolution in der die „Herrschaftsgebäude“ ihren ursprünglichen Zweck verloren haben. Nicht aber, weil es einen gewaltsamen Umsturz gegeben hat, sondern vielmehr, weil die Funktion der Herrschaftsausübung in den Ruinen bedeutungslos geworden ist. Ebenso wie das aus der Mode gekommene Kleid nurmehr noch wie ein bedeutungsloses Ornament den Betrachterinnen fremd auf alten Photographien entgegentritt, das sich der Bedeutungszuschreibung entzieht. Genau aber in dem Moment der Zerstörung, die in einen anderen Gebrauch umzuschlagen vermag – in der Destruktion sich auf die Kreation hin öffnet – scheint utopisch eine andere soziale Ordnung vor. Was hier utopisch vorscheint, ist die Form einer Gesellschaft, in der wir kollektiv eine andere Form der Wohnbarkeit und der Lebbarkeit erproben könnten, die uns zugleich ermöglicht das, was an den Wohnorten bedeutungslos geworden ist, zu affirmieren. Damit ist der begriffliche Rahmen eines Modells von Wohnbarkeit und Lebbarkeit benannt, von dem her beide Elemente eines anderen Gebrauches von Eigentum möglich werden, in dem die Form des Destruktiven einen neuen Sinn gewinnt. Destruktion ist nun nicht mehr Effekt der „Thesis der Paradoxie“, das wir Eigentum haben müssen, aber kein Eigentum haben können, sondern vielmehr heißt Destruktion die Durchbrechung von technischen Funktionszusammenhängen, wie die Beschreibung von Sohn-Rethel erinnert, und der Auszug der Herrschaftspraktiken aus den „Herrschaftsgebäuden aus früheren Tagen“, wie die Beschreibung von Kracauer veranschaulicht. In beiden Beschreibungen hat Destruktion den Sinn der Erprobung eines Gebrauchs, der sich gegen die ursprünglichen Gebrauchskontexte wendet und darin eine andere Form des Gebrauchs zu erproben vermag. Eine andere Form des Gebrauchs, die sich zugleich gegen die individuelle Form des bürgerlichen Eigentums wendet, weil sie darin eine kollektive Form der Affirmation von Unverfügbarkeit an den Dingen eröffnet, von der her erst Wohnbarkeit und Lebbarkeit sich einstellen könnte.

An der „Praxis der Hausbesetzung“ entwickelt Daniel Loick ein politisches Kritikmodell, das es ermöglicht die Form des individuellen Privateigentums auszusetzten und zu unterlaufen. „Die Hausbesetzerin gebraucht Gebäude, ohne es jemals zu besitzen: Wohnen als ob nicht wohnen.“ (Loick 2016, 119). Mit dieser konfrontativen politischen Praxis wird die bürgerliche Praxis des Wohnens zugleich nachgeahmt und subvertiert. In der Hausbesetzung wird eine Praxis vollzogen, in der sich Gebrauch und Besetzung gleichermaßen überlagern und widersprechen. Die Hausbesetzerinnen erheben Anspruch auf einen Wohnraum, aber so, dass sie darin die Form des individuellen bürgerlichen Eigentums suspendieren. Daniel Loick deutet die „Praxis der Hausbesetzung“ dabei als einen politischen Vollzug, der im selben Zug konfrontativ und restaurativ ist. Konfrontativ ist diese Praxis deshalb, weil sie den exklusiven Gebrauch der Eigentümerinnen in Frage stellt. Restaurativ ist sie, weil sie keine „Aneignungsbeziehung“ (Loick 2016, 119) in den besetzten Häusern zu etablieren unternimmt und einen schonenden Umgang einzuüben versucht, der die Erprobung neuer, kreative Umgangsweisen verspricht.

Der Begriff der Destruktion bleibt dabei auf die Formen des missbräuchlichen Gebrauchs von Eigentum eingeschränkt, die es zu überwinden gilt. An den Beschreibungen von Sohn-Rethel und Kracauer aber wurde deutlich, dass Destruktion auch einen anderen, kreativen Gebrauch eröffnen kann. Destruktion heißt dann, andere Gebrauchsweisen zu erproben, die sich gegen die vorhergesehenen Gebrauchsformen polemisch auszurichten vermögen, aber zugleich auch eine neue Form von kollektivem Gebrauch vorscheinen lassen, der nicht mehr auf das Modell des Privateigentums verpflichtet wäre. Das „Funktionieren des Kaputten“ (Sohn-Rethel 2018, 42.) bei Sohn-Rethel und die „Schönheit der Ruine“ (Kracauer 2014, 30) bei Kracauer wären Namen für diese andere Form von Praxis, die auf eine Überwindung der bürgerlichen Eigentumsform abzielen. Eine solche andere Form von Praxis wäre durch zwei Momente gekennzeichnet, sie würde kollektiv die politischen Bedingungen des privaten Eigentums subvertieren und sie könnte die Form des Privateigentums aussetzen und praktisch transzendieren.

 

Literatur

Adorno, Theodor W.: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1951.

Adamczak, Bini: Beziehungsweise Revolution. 1917, 1968 und kommende. Berlin: Suhrkamp 2017.

Agamben, Giogrio: Lob der Profanierung. In: ders., Profanierungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005, S. 70-91.

Di Cesare, Donatella: Von der politischen Berufung der Philosophie. Berlin: Matthes und Seitz. 2020.

Honneth, Axel: Das Recht der Freiheit. Grundriß einer demokratischen Sittlichkeit. Berlin 2013.

Kracauer, Siegfried: Die Photographie. In: ders., Das Ornament der Masse. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2014, S. 21-39.

Loick, Daniel: Der Missbrauch des Eigentums. Berlin: August Verlag 2016.

Marcuse, Herbert: Vernunft und Revolution. Hegel und die Entstehung der Gesellschaftstheorie. übers. v. Alfred Schmidt. Berlin: Suhrkamp 2020.

von Redecker, Eva: Revolution für das Leben. Philosophie der neuen Protestformen. Frankfurt am Main: Fischer Verlag 2020.

Sohn-Rethel, Alfred: Das Ideal des Kaputten. In: ders., Das Ideal des Kaputten. Über neapolitanische Technik. hg. v. Carl Freytag. Freiburg und Wien: ca ira-Verlag 2018, S. 41-46.

Rosa, Hartmut: Unverfügbarkeit. Berlin: Suhrkamp 2020.


[1] Hier wird die männliche Form verwendet, um auf die interne Form aufmerksam zu machen, durch die sich die moderne Form der Sachherrschaft konstituiert, wie die Analyse von Eva von Redecker herausstellt.