Mit Ihrem jüngsten Titel »Hass – Von der Macht eines widerständigen Gefühls« intervenieren Sie in ein scheinbar gut bestelltes Feld politischer Emotionen. Begriffe wie »hatespeech« oder »Hasskriminalität« sind mittlerweile Teil gesellschaftlicher Debatten geworden und die politische Herausforderung des Hasses wurde beispielsweise in dem – auch von Ihnen zitierten – Plädoyer von Carolin Emcke benannt. Zugleich kritisieren Sie, die Art und Weise, wie hierzulange über Hass gesprochen wird und sprechen mit Bezug auf Emcke gar von einer Hufeisen-Theorie des Hasses. Was meinen Sie damit und was entgeht Ihrer Meinung nach der Debatte über Hass?
Der Debatte um Hass entgeht ein historischer, komplexer Blick auf hassende Menschen. Und vor allem einer auf die Herrschafts- und Eigentumsverhältnisse, in denen sich Definitionen, Zuschreibungen von Hass aber auch die Hassenden selbst bewegen. Und verändern. Die Hassenden können vielfältig, widersprüchlich und letztlich auch widerständig sein. Über den Hass von Rechts wurde in den vergangenen Jahren viel gesprochen und geschrieben, Alarmierendes, manchmal zurecht, manchmal völlig inflationär. Und mit einem eindeutigen Fokus: Menschen, die von Rassismus oder rechtem Terror betroffen sind, können und dürfen in diesem Falle nur Objekte, Zielscheiben des Hasses sein. Niemals Subjekte.
Zwar geht es beim rechten Hass dann zwar um einen politischen Hass, aber selten werden die sozioökonomischen Bedingungen, die die Rechte haben global erstarken lassen, unter die Lupe genommen. Rassismus, Faschismus und andere unterdrückerische Systeme existieren nur, so wirkt es oftmals, weil sich eine Gruppe von Menschen wie von Zauberhand dazu entschlossen hat, zu hassen. Der Hass ist in diesem Sinne als Beschreibung allgegenwärtig. Das Gefühl wird depolitisiert und stark moralisch aufgeladen. Und die, die sich auch mit Hass gegen die Gewalt eines ausbeuterischen, kolonialen, patriarchalen Systems wehren, dürfen in diesen Eindeutigkeiten dann erst gar nicht existieren.
Der Hass an sich, und gerade auch der widerständige Hass, ist so verpönt, dass er nicht mal einer eigenen Geschichte würdig zu sein scheint und keiner Gegenwart. Hass ist das kategorial Andere, mit dem die liberale Mehrheit der Gesellschaft nichts zu tun haben will. Die Publizistin Carolin Emcke schreibt in ihrem Essay Gegen den Hass: »Es ist aussichtslos, dem Rigorismus mit Rigorismus, den Fanatikern mit Fanatismus, den Hassenden mit Hass zu begegnen.« Das ist das Hufeisen des Hasses, der Hass der Unterdrücker*innen und Unterdrückten wird über einen Kamm geschert. Emcke ist der Überzeugung, dass der rechte Hass, also die »Demokratiefeindlichkeit«, sich nur mit »demokratischen, rechtsstaatlichen Mitteln bekämpfen« lassen.
Emcke setzt offenbar voraus, dass der rechte Hass und die Gewalt, auf die es nun demokratisch zu antworten gilt, offenbar immer in Opposition zum Rechtsstaat steht. Und wir daher den Rechtstaat umso vehementer verteidigen und auf seine Mittel vertrauen müssen. Dieses Argument verschleiert, dass der Hass etwa von Menschen, die von rechter, rassistischer Gewalt betroffen sind, auch eine Antwort auf die Willkür eben jener liberalen Demokratien sein kann. Oder auf die Ungerechtigkeiten, die im Namen des demokratischen Rechtsstaats geschehen. Die Angehörigen der Opfer von Hanau fordern bis heute Aufklärung und Konsequenzen. Wie auch die Familien der Opfer des NSU.
Während Sie in »Radikale Zärtlichkeit« mit dem Begriffs der toxischen Romantik die inhärenten Gewaltverhältnisse des dominanten cis-heteronormativen Verständnisses von Liebe aufgedeckt haben, scheint sich in Ihrer jüngsten Arbeit ein ganz analoges Moment zu finden. Dabei wird nicht ein positiv verklärtes Gefühl entzaubert, sondern der Hass – gewissermaßen das Schmuddelkind politischer Emotionen – aus seiner anrüchigen Ecke hervorgeholt. In beiden Fällen kritisieren Sie die Eindeutigkeit, mit der Gefühle gesellschaftlich bewertet werden. Woher rührt diese Tendenz?
Liberale Gesellschaften schmücken sich oftmals mit eindeutigen moralischen Kategorien, die nicht selten in binären Gegensätzen funktionieren: die Liebe ist das Gute, die Heilsbringerin, die Erlösung. Der Hass, als das Gegenteil, das Zerstörerische. Gefühle werden naturalisiert, das heißt, ihnen wird eine bestimmte Natur oder ein Wesen zugeschrieben, und dann entweder aufs Podest gestellt oder in die anrüchige Ecke verbannt. Die Liebe wie auch der Hass verlassen den Bereich des Öffentlichen, Politischen. Sie werden zu einer Privatangelegenheit, oder treten – im Falle des Hasses etwa – nur auf die mediale Bühne, wenn sie in ihren Extremformen Aufmerksamkeit und erregen und medial skandalisiert werden können.
Etwas, was Natur sein soll, ist unveränderbar. Diese Zuschreibung verschleiert, dass Emotionen gesellschaftlich, historisch hergestellt, geformt und definiert werden. Die bürgerliche, romantische, Hetero-Liebe zum Beispiel verschleiert die Abhängigkeits- und Gewaltverhältnisse, in denen Frauen und Queers bis heute unterdrückt, getadelt und ausgebeutet werden. Im Namen einer vermeintlich natürlichen weiblichen oder mütterlichen Liebe übernehmen Frauen bis heute den Großteil der unbezahlten, ungesehenen Carearbeit für Ehemänner, Eltern, Kinder oder Nachbar*innen. Sie machen die Reproduktionsarbeit, die ein patriarchaler Kapitalismus braucht, um etwa die Märkte mit arbeitsfähigen und arbeitswilligen Menschen zu versorgen.
Gefühle oder auch Geschlechterbilder dürfen in diesen Verhältnissen nicht mehrdeutig oder ambivalent sein, weil sie auch die Arbeiten, Tätigkeiten und Selbstverständnisse infrage stellen würden, die mit ihnen einhergehen und den Status Quo stabilisieren. Die Entpolitisierung von Gefühlen hat auch zufolge, dass Fühlen und Handeln voneinander abgekoppelt sind. Dabei interessiert mich eine ethische Perspektive auf Gefühle: Wie und warum hassen Menschen – individuell und kollektiv? Und wie handeln sie? Welche Gefühle mobilisieren zu gemeinsamen Taten? Ich will betonen, dass Menschen füreinander und für ihr Handeln – sei es aus Liebe oder Hass – verantwortlich sind. Wer sich von der Vorstellung einer Natur der Liebe oder des Hasses verabschiedet, wird im besten Falle handlungsfähig. Und der Hass der Unterdrückten auf die Verhältnisse zum Beispiel, der sich in kollektive politische Bewegungen transformieren könnte, könnte jenem Status Quo nun mal gefährlich werden. Auch deshalb soll es ihn nicht geben
Der zweite und weitem längste Teil Ihres Buches ist eine Sammlung von Fund- und Bruchstücken, Fragmenten und Miniaturen über den Hass. Was hat Sie zu dieser vielstimmigen Form gebracht? Muss eine Beschäftigung, die mit den Subjekten des Hasses ernst macht, möglicherweise die kontrollierende Form definierender Theorie und argumentativer Linearität brechen?
Der Hass ist für mich als Emotion nah am Trauma. Es ist das Wesen des Traumas, dass lineare Erzählungen brüchig werden, dass sich Identitäten und Wahrnehmungen fragmentieren. Es ist der Zustand der ständigen Wiederholung, in dem sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichsam vermengen und aufheben. Ich schreibe mich in dem zweiten Kapitel durch das Trauma und durch die Wiederholung hindurch – und letztlich aus ihr heraus. Das spiegelt sich in der Form des Textes. In dem Buch prallen aber auch zwei literarische Traditionen aufeinander, die auf zwei verschiedenen politischen Strömungen bauen, die mich beide gleichermaßen prägen: Der Marxismus einerseits, dem es um eine Analyse der Totalität von Gesellschaften geht. Und auf der anderen Seite linke, queerfeministische Theorie, die die einzelnen Bestandteile dieser Totalität – Geschichte, Selbstverständnisse, Normen, Identitäten – als vielschichtige, fluide, dynamische Beziehungsgebilde versteht und keine absolute Wahrheit beansprucht. Beide Zugänge haben sich jeweils in zwei Kapiteln des Buches niedergeschlagen.
Sie sprechen an verschiedenen Stellen von einem strategischen Hass, der gewissermaßen ein Wir hinter den Barrikaden stiftet, das nicht nur die Sprache der Bestrafung spricht. Was bedarf es Ihrer Einschätzung nach, damit sich Hass zu einer »schöpferischen Kraft« wandeln kann und sich nicht in einem Vernichtungswunsch erschöpft? Gibt es gelingende Fälle des Hasses?
Das ist je nach Kontext, je nach Zeit und Geografie unterschiedlich. Zunächst einmal ist der strategische Hass eine Antwort auf liberale Theoretiker*innen, die hassende Menschen als monolithische, ohnmächtige Wesen begreifen. Menschen sind komplex, sie können hassen und ihren Hass zugleich reflektieren, sie können hassen und zugleich Zärtlichkeit verspüren. Sie können wissen, dass der Hass allein keine gerechtere Welt erschafft, aber sich zum Hass entscheiden, zur Rache, als Anklage an die Gleichgültigkeit, als ein Nein zur Gegenwart, das viele Jas mit sich bringen kann. Sie können den Hass säen wo nötig und ihn begraben wo nötig. Linke, feministische, antifaschistische, anti-koloniale Bewegungen tun das schon lange. Einige von ihnen bitte ich im zweiten Kapitel des Buchs auf die metaphorische Bühne: die chilenische Revolutionärin Luisa Toledo Sepúlveda zum Beispiel, die in einer Rede fast prophetisch den Hass beschwört.
Meine Reise führt mich am Ende zur Revolution von Rojava, zur autonomen Selbstverwaltung in Nordostsyrien. Dort haben sich vor zehn Jahren die Völker der Region unter einem Gesellschaftsvertrag zusammengeschlossen, gemeinsam den IS besiegt und arbeiten an einer radikaldemokratischen, ökologischen, feministischen Gesellschaft. Nicht ohne Rückschläge und Widersprüche, angesichts der ständigen Bedrohung durch den IS und die türkische Besatzungsarmee. Die Menschen dort gehen mit Gefühlen wie Hass und Rache, die in der kurdischen Befreiungsbewegung seit jeher zentral sind, strategisch um. Sie transformieren sie in unterschiedliche Politiken der Zärtlichkeit: von Versöhnungskommissionen bis hin zu vielfältigen Gerechtigkeitskomitees. Ohne zu vergessen, wem und was weiterhin der Hass gilt: der Besatzung, dem Patriarchat, dem Kolonialismus und der Zerstörung wie Ausbeutung ihrer Länder.
Die Fragen stellte Marvin Dreiwes