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Nr. 1 / 2019
Philosophie am Kröpcke

Zwischen Ruhe und Verzweiflung. Was bedeutet es, allein zu sein?

Philosophie – eine Wissenschaft im Elfenbeinturm? Weit gefehlt! Das Forschungsinstitut für Philosophie Hannover macht es sich zur Aufgabe, herauszufinden, was der Mann (und die Frau) von der Straße von den philosophischen Inhalten, die im Institut erforscht werden, hält und weiß. Pünktlich zu jeder Ausgabe des Journals führen wir dementsprechend eine streng wissenschaftlich kontrollierte Studie durch: Wir schreiten zum Kröpcke, der Agora Hannovers, mit einem Aufnahmegerät bewaffnet, und stellen allen Passanten, die uns über den Weg laufen, dieselbe Frage. Auf den Spuren des Sokrates, aber bar jeder Ironie.

Mitten im Getümmel der Fußgängerzone stellt die Frage nach dem Alleinsein eine echte Unterbrechung und Irritation dar. Was unterscheidet ein Miteinander von einem Nebeneinander-Her? Wie reagieren wir auf gesellschaftliche Vereinzelung? Und wann kippt das Alleinsein in die Einsamkeit? Auszüge der geführten Gespräche lesen Sie hier.[*]

 

 

Marie: Wie wir uns dann fühlen oder was für uns allein sein bedeutet?

Nadine: Ich schätze mal beides. Für mich wäre es Traurigkeit und Einsamkeit.

Leon: Allein sein ist etwas, wo man sich entspannen kann und seine Ruhe hat. Das kann auch …(Pause) … ganz gut sein, finde ich.

Nadine: Stimmt, man ist nicht immer traurig.

Marie: Ich würde Alleinsein wortwörtlich nehmen. Alleine ist: Ich allein. Ich bin alleine und kein anderer ist mit mir. Ich weiß noch nicht einmal, ob ich das traurig finden soll oder nicht, weil manchmal möchte man ja auch gerne alleine sein.

Leon: Ich brauche auch mal Zeit, um allein zu sein. Zeit, in der man Ruhe für sich hat und man Sachen machen kann, bei denen kein anderer dabei sein muss.

 

Chantal: Das bin ich voll selten (lacht). Ich bin mit meinem Mann schon zehn Jahre zusammen, deswegen.

weiter denken: Höre ich da vielleicht eine kleine Sehnsucht nach dem Auch-mal-allein-sein und Für-sich-sein?

Chantal: Nein, ich bin auch manchmal alleine. Wenn ich alleine bin oder eine Auszeit brauche, dann gehe ich shoppen, oder mache etwas Zuhause oder gehe alleine ins Kino. Wenn man allein ist, kann man sich Gedanken darüber machen, was man im Leben verbessern könnte, und man kann abschalten, die Ruhe genießen.

 

Till: (längere Pause) Boah, ist das toll… Ich liebe es. Also, was heißt es, allein zu sein? Ich denke, allein sein kann verschiedene Dinge bedeuten. Ich denke mal erstens, dass man sich von keinem anderen Menschen wirklich verstanden fühlt, und zweitens, dass kein anderer Mensch gerade um einen herum ist. Das sind die zwei grundlegendsten Sachen, die mir dazu einfallen.

weiter denken: Könnte etwas aus der Einsamkeit geschöpft werden?

Till: (zieht lange an seiner Zigarette und atmet langsam den Qualm aus) Da habt ihr jetzt genau den Richtigen gefragt. Ich könnte dazu jetzt einen Roman schreiben. Es kommt immer ganz darauf an, wer aus dieser Einsamkeit etwas schöpfen könnte. Vielleicht kann ein Mensch, der immer sehr viele Menschen um sich herum hat, aus der Einsamkeit Kraft schöpfen, weil ihm das wieder Ruhe und Ausgeglichenheit gibt. Aber vielleicht kann ein Mensch, der schon immer alleine ist, daraus nichts schöpfen, sondern verzweifelt eher umso mehr.

weiter denken: Gibt es wohl einen Unterschied zwischen allein sein und einsam sein?

Till: Gegenfrage: Was ist einfach und was ist leicht? Vielleicht kann man die beiden Unterscheidungen auf die beiden Prinzipien, die ich eben genannt habe, anwenden. Allein sein passt dazu, dass keine Menschen um einen herum sind, und einsam ist derjenige, der sich nicht richtig verstanden fühlt.

 

Willi: 'ne ganze Menge… und zwar hat man zum Beispiel niemanden zum Streiten. Mit vier Wänden kann man sich nicht unterhalten, da kann man nur vor sich hin dösen und das ist nicht gut, für keinen… Das ist zwar Ansichtssache, aber ich sehe das so. Das erste ist, dass man sich nicht mehr streiten kann, nicht mehr ein freundliches Wort hört oder was auch immer. Für manche Menschen ist es dann wirklich grau. Wenn diese Leute dann jemanden besuchen, dann wollen sie alles auf einmal erzählen… alles… das ganze Leben! Das ist (Pause)… das ist unmöglich. Aber die Gesellschaft ist heute so. Ich kann mir vorstellen, dass die Leute heutzutage sagen „Ich bin allein, das ist mein Leben und ich beschäftige mich mit mir. Treibe etwas mehr Sport und was auch immer.“ Es gibt solche Leute, doch was soll ich sagen? Wenn man abends zuhause ist oder morgens aufwacht und keiner ist da, das ist schon… etwas härter.

 

Künstler: Ja, kommt drauf an. Allein zu sein kann man auch genießen. Allein sein heißt nicht einsam sein. Allein sein heißt, dass man bei sich selber ist. Allgemein muss man sich dann nicht mit anderen und deren Problemen beschäftigen und man findet zu sich selbst. Ich war schon oft alleine und bin auch sehr gern alleine.

 

 

Oguz: Allein sein… Guck mal, das ist schrecklich. Bei den Jüngeren macht das ja nichts, dann geht man Party machen. Wenn man über die Grenze mit dem Alter geht, ich sage jetzt mal so über vierzig, dann ist es kein Leben, wenn man allein ist.

weiter denken: Das heißt, für jüngere Leute ist allein sein kein Problem?
Oguz: Ne, das ist, denke ich mal, kein Problem: Party hier, Party da. Aber wenn man ein gewisses Alter erreicht hat, dann muss man sich von diesem Leben verabschieden. Das ist meine Meinung. Für viele Leute ist es vielleicht etwas anderes, die finden das gut, mit fünfzig nochmal von der einen Disco in die andere zu ziehen.

Arsim: Allein sein ist wie in einer anderen Welt sein. Wir kommen aus Kosovo, dort habe ich eine 80-köpfige Familie. Dort haben alle zusammen gelebt… und heute leben wir auch, nur nicht mehr zusammen. Alleine sein ist das schlimmste, was es gibt. Hier in Deutschland leben viele Leute mit Hund, Katze und Schlange. Das ist doch keine Zukunft für Deutschland! Deutschland geht zugrunde, weil alle alleine sind. Jeder ist an seinem Telefon… Was ist das? iPhone ist ungesund! Alle sind drin, alle spielen für sich mit ihren Handys. Das ist unnormal, aber das ist nur meine Meinung.

weiter denken: Also ist man nur in Kontakt mit anderen Menschen nicht allein?

Arsim: Familie ist die Hauptsache. Ich bin jetzt siebzig Jahre alt… alleine wäre ich verreckt! Man braucht Kontakt mit der Familie, das ist eine Harmonie.

 

 

Christa: Allein sein ist manchmal ganz schön. Solange es nicht belastend ist, ist es einfach nur positiv.

Heinrich: Gelegentlich, ja. Kommt auf die Umstände an. Wenn ich in der Wüste alleine rumhänge, ist das okay. Wenn ich verlassen bin... (Pause) Ja, allein sein ist nicht verlassen sein. Was sagt ein Freund von mir? „Allein aber nicht einsam.“ Also heißt allein sein nicht einsam sein.

Christa: Belastend könnte es werden, wenn man noch älter ist als wir.

 

Andrea: Einmal sich an einem Ort befinden, wo keine anderen Menschen sind, und des weiteren gibt es noch den Gemütszustand. Allein sein könnte man auf der Bühne bei einem Festival, obwohl da 10000 andere Leute sind. Einsam kann man sich auch fühlen, wenn man mit seinem Ehepartner zusammen ist. Das kann man immer fühlen. Das ist unabhängig vom Beziehungsstatus.

 



[*]Alle Namen sind frei erfunden.

Die Gespräche führten Fiona Baumgarten und Ana Honnacker.