Der vorliegende Beitrag befasst sich mit dem Phänomen der Deep Ecology (Tiefenökologie), einer Bewegung, die vom Norweger Arne Næss zu Beginn der 1970er geprägt wurde. Zunächst wird dessen Grundidee skizziert, um die wichtigsten Eckpunkte dieses Konzepts abzubilden. In einem weiteren Schritt wird die Adaption der Deep Ecology durch radikale, ökofaschistische Bewegungen in den USA, u.a. Earth First! und Earth Liberation Front, erläutert, die sich in den 1980er Jahren aus anarchistischen Umwelt- und militanten Tierschützern sowie aus anti-homosexuellen Strömungen konstituierten, deren Einfluss zum Teil bis heute in die rechts= extremistische Szene hineinreicht. Daran knüpft die Diskussion der Auswirkungen der Deep Ecology auf Deutschland und Europa in Form der Tiefenökologie an, die insbesondere im Zuge des Versuchs einer Krisenbewältigung durch die Natur infolge des Ausbruchs der Corona-Pandemie ihren Ursprung hatte und eine heterogene Spiritualität seiner Anhänger:innen aufweist, die häufig unter dem Topos Esoterik subsummiert wird. Es wird dabei deutlich werden, dass die Suche der Menschen nach Stabilität und Halt in unsicheren Zeiten mit Blick auf tiefenökologisch orientierte Bewegungen häufig ein Einfallstor für rechtsextremes Gedankengut und Verschwörungserzählungen darstellt.
Deep Ecology – Ursprung und Grundzüge der Tiefenökologie
Im Jahr 1972 gründete der norwegische Philosophie-Professor Arne Næss, der selbst ein großer Naturfreund war und sich persönlich für den Schutz der Berge einsetzte, die Deep Ecology Bewegung. Als Schlüsselmoment hierfür wird Næss „Anti-Expedition“ nach Nepal angeführt, in dessen Rahmen er mit zwei anderen Norwegern Sherpas vor Ort dabei unterstützte, den Berg Tseringma in Nepal vor ausuferndem Bergtourismus zu schützen. In diesem Zusammenhang soll Næss ein Erweckungserlebnis erfahren haben, dass ihn zur Entwicklung einer Umweltphilosophie namens Ecosophie veranlasste (Brennan 2013).
Das Konzept der Deep Ecology basiert auf den folgenden zwei Annahmen und den damit verbundenen Konsequenzen: zum einen müsse der Weg des menschenzentrierten Anthropozentrismus (anthropocentrism) zugunsten eines Ökozentrismus (ecocentrism) aufgegeben werden, da in letzterem jedes Leben unabhängig von seinem Wert und Nutzen gewertschätzt werde. Zum anderen seien die Menschen nur ein Teil der Natur und dieser deshalb weder überlegen noch `besonders´ gegenüber anderen Lebewesen zu betrachten. Infolgedessen müssten die Menschen die Erde in derselben Weise schützen, wie sie es auch mit Blick auf sich selbst und ihre Familie tun würden.
Als spiritueller Flügel der Umweltschutz- oder Ökologiebewegung verfolgt die Deep Ecology einen ganzheitlichen (holistischen) Ansatz, in dem „[d]ie Erde als Organismus mit einer natürlich gewachsenen Ordnung betrachtet [wird]. Der Mensch ist darin ein Lebewesen unter vielen. Ökonomische und gesellschaftliche Bedingungen werden ausgeblendet.“ (Bell 2023: 32).
Gemäß Næss gebe es zwei prinzipielle Zugänge zum Umweltschutz: die „Shallow Ecology Bewegung“, die sich gegen die Umweltverschmutzung auflehne und den Schutz der davon in Industrieländern betroffenen Menschen, bspw. durch Recyling oder innovative Energieeinsparmöglichkeiten, avisiere. Diese betrachtete er jedoch als kurzfristig, weil sie nicht die grundlegende Interaktion von Mensch und Natur fokussiere. Die „Long-range deep ecology Bewegung“ befasse sich hingegen mit menschengemachter Zerstörung der Natur, in dem sie auf ökologischer und kultureller Diversität basiere, um im Zuge einer langfristigen ökologischen Egalitätsbestrebung, das bewusst ohne Klassenzugehörigkeit funktioniere, gesellschaftliche und soziale Ursachen zu überwinden, die für die Umweltzerstörung und ökologischen Krisen verantwortlich seien (Næss 2018).
Wichtig ist auch die Erkenntnis, dass das Konzept der Deep Ecology vom jüdischen Philosophen Baruch Spinoza, der Gottes Präsenz in und durch die Natur beschrieb (de Jonge 2004), dem Menschenrechtsaktivisten Mahatma Gandhi und buddhistischen Lehren zur Wertschätzung allen Lebens und einer Balance der Dinge beeinflusst wurde. Zudem unterstützte Næss die Friedens- und Frauenbewegung (Brennan 2013).
Næss verfolgte darüber hinaus den Ansatz, dass die Deep Ecology Bewegung keiner strikten Doktrin folge, sondern mit dem Leben und den Lebensbedingungen seiner Anhänger:innen vereinbar sein sollte. Deshalb förderte sein Konzept der Deep Ecology ein plurales, multireligiös und gesellschaftlich diverses Miteinander, in dem Menschen unterschiedlicher Herkunft und kultureller sowie sozialer Prägung aufgrund des gemeinsamen Umweltschutzes zusammenfinden sollten (Drengson et al. 2011).
Im Jahr 1984 entwickelten Næss und der amerikanische Umweltphilosoph George Sessions, der ebenfalls ein Anhänger Spinozas war, die Idee der Deep Ecology in Form einer Plattform für Gleichgesinnte weiter. Die dabei begründeten acht Prinzipien wurden vom Soziologen Bill Devall und Sessions im Werk „Deep Ecology: Living As If Nature Mattered“ (Devall & Sessions 1984) zusammengefasst und berücksichtigen u.a. die Notwendigkeit einer humanistischen Weltsicht und die Wertschätzung jeglicher Diversität, Entwicklung einer neuen Achtsamkeit sich selbst und anderen gegenüber sowie die Erkenntnis einer langfristigen Senkung des Bevölkerungszuwachses zum Wohle des ökologischen Gleichgewichts (Ebenda). Diese wird von extremistischen Bewegungen in Form eines Rassismus betrieben, der Grenzen zwischen Gruppen unterschiedlicher Gruppen aufbaut und Migrations- sowie Geburtenbeschränkungen fordert, die weder Næss noch Sessions und Devall intendierten. Deep Ecology verfolgte als Philosophie hingegen das Ziel, die Grenzen zwischen sich selbst und anderen zugunsten eines größeren Selbst(-bewusstseins) zu überwinden.
Die Adaption der Tiefenökologie durch rechtsextremistische Bewegungen
Den Menschen als ein Teil der Natur zu betrachten, der sich dessen Gesetzen im Kreislauf des Lebens unterzuordnen habe, existiert als Vorstellung in zahlreichen ethischen Religionen und wird, wenngleich nicht explizit völkisch adressiert, auch in Naturschutzkontexten dergestalt verstanden. Das zuvor erwähnte Ganzheitlichkeitskonzept vom menschlichen Leben im Einklang mit der Natur wird im Zuge tiefenökologischer Bewegungen aufgegriffen. Hierdurch können extremistische Inhalte in diese Bewegung gelangen, deren Narrative in sozialdarwinistischer Manier bspw. das `Überleben der Stärksten´ postulierten und erkrankte oder ältere Menschen im Zuge ihrer Impfkritik nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie nicht als `gleichwertig schützenswert´ empfanden und für das `naturgegebene´ Gleichgewicht der Welt zu opfern bereit waren (Bell 2023: 32).
Der von Næss favorisierte Holismus kann im Zusammenspiel mit einer Sakralisierung der Natur zu einer untergeordneten Rolle des Menschen im `Großen Ganzen´ und zur Legitimation von sozialer Ungleichheit - als etwas, das durch die Natur `gerechtfertigt´ sei - führen. Diesen Ansatz adaptieren rechtsextremistische Tiefenökologiebewegungen, indem sie wie folgt argumentieren:
„Wenn der Mensch ein Teil der Natur ist, dann können gesellschaftliche Errungenschaften als nicht erstrebenswert und widernatürlich markiert werden, da sie gegen eine vermeintliche Ursprünglichkeit arbeiten, die es wiederherzustellen gelte. Homosexualität, Transgeschlechtlichkeit, Migration, Frauen ohne Kinderwunsch: alles gegen die Natur des Menschen, der seine Rolle nicht übertreiben solle, nicht den Schöpfer spielen solle.“ (Bell 2023: 32)
In der ‚Logik´ der Tiefenökologiebewegungen, die rassistisch motiviert handeln, wird deshalb Næss Forderung der sukzessiven Begrenzung und Eindämmung des Bevölkerungszuwachses (Olsen 1999) mit dem Verbot der Migration in den Norden verboten, da dieser „höheren ökologischen Stress“ bedeuten würde (Ebenda). Mitglieder spirituell bzw. esoterisch verbundener Tiefenökologieansätze streben nach einem emotionalen Einklang mit der Natur, um ökologische Krisensituationen auszuhalten und zu überwinden. Diese Bewältigungsstrategie lässt sie häufig gegenüber antisemitischen Inhalten und Verschwörungsnarrativen vulnerabel werden (Ebd.).
Im Folgenden werden ausgewählte extremistische Gruppen und Akteur:innen in den USA sowie in Deutschland portraitiert, die das Konzept der Tiefenökologie für die Verbreitung ihrer weltverschwörungstheoretischen Narrative und rechtsextremistischen Inhalte zweckentfremden. Im Zentrum dieser extremistischen Tiefenökologiebewegung stehen völkische Ideen einer `Blut-und-Boden-Mentalität´, die mit einer misanthropischen Weltsicht verquickt werden, in der nur die `Stärksten´ überleben (dürfen). In der Folge werden häufig in sich geschlossene Gruppen gebildet, die ihre Mitglieder nicht nur gedanklich, sondern auch räumlich von ‚Andersdenkenden‘ abschirmen, um in abgelegenen ländlichen Gegenden Parallelgesellschaften aufzubauen. Die Zielsetzungen und Organisationsformen demokratischer Gesellschaften werden von diesen Akteur:innen abgelehnt, laufen sie doch deren Ideologie diametral entgegen, die auf einer paternalistisch geprägten `Gesellschaftsordnung´ fußt, welche binären Geschlechtervorstellungen und Rollenbildern folgt. Davon abweichende geschlechtliche Orientierungen oder religiöse (`spirituelle´) Überzeugungen werden als `Gefahr´ für den Erhalt einer `natürlichen´ Ordnung betrachtet. Um den Fortbestand einer als `überlegen´ betrachteten Gruppe (`Rasse´) zu gewährleisten, ordnen sich ihre Mitglieder zumeist autoritären Herrschaftsstrukturen unter. Die eigene Individualität, die insbesondere bei Anhänger:innen spiritueller Gruppen im Feld tiefenökologischer Bewegungen im Zentrum ihres Handelns steht, wird hierdurch sukzessive vom kollektiven Streben der Gemeinschaft nach Unabhängigkeit und `Überlegenheit` gegenüber `Unwissenden´ und Außenstehenden vereinnahmt.
`Habitat loss´- Alt-right ecology orientierte Gruppen und Akteur:innen in den USA[1]
In den 1980er Jahren bildeten sich zwei bedeutsame ökofaschistische Bewegungen unter dem Dach der Deep Ecology Bewegung: Earth First! und die Earth Liberation Front. Earth First! stellte eine radikale, dezentralisiert organisierte Widerstandsbewegung dar, die im Jahr 1979 entstand. Ihrer Ansicht nach waren die bisherigen Umweltschutzaktivitäten nicht effektiv genug, so dass sie zum Schutz von Naturschutzgebieten bspw. Aktionen des zivilen Ungehorsams, u.a. Straßenblockaden und die Besetzung von Abholzungsgebieten zum Schutz alter Wälder implementierte, die man in Deutschland zum Beispiel mit Blick auf den Hambacher Forst im Jahr 2018 adaptiert sehen konnte. Neben diesen friedlichen Protestaktionen setzte Earth First! ebenfalls aggressivere Taktiken ein, z. B. Sabotageakte wie das Aufspießen von Bäumen, um deren Abholzung zu verhindern. Earth First! wurde in den späten 1980er Jahren wegen rassistischer und sexistischer Positionen gegen Einwanderung und für HIV kritisiert, da das Virus im Sinne einer Dezimierung der Bevölkerungsdichte von Teilen der Gruppe begrüßt worden sein sollte. Diese extremen Positionierungen einiger ihrer Mitglieder führte zu einer Spaltung der Gruppe (Morris et al. 1993). Der selbsternannte „Redneck for Wilderness“ Dave Foreman verließ die Gruppe, weil diese seiner Ansicht nach nicht mehr genug für den Umweltschutz auf den Weg brachte. Foreman ist heute Sprecher der Gruppe Apply the Brakes. Sein Werk Man Swarm erschien im Jahr 2011 und wurde von Anti-Immigrationsgruppen adaptiert (Taylor 2019: 279).
Die Earth Liberation Front (ELF) gründete sich im Jahr 1977 in Anlehnung an andere extremistische Organisationen aus dem Bereich des radikalen Tierschutzes wie die Animal Liberation Front (ALF). Beide schlossen sich im Jahr 1988 zusammen. Ihr Aufbau war ebenfalls dezentral organisiert und sie vollzogen Sabotageakte und Brandstiftung, um ihre umweltschutzbezogenen Ziele, zu denen auch die Prinzipien der Tiefenökologie gehörten, umzusetzen, die sie als ‚Monkeywrenching´ bezeichneten (Leader & Probst 2010). Darunter wurden Brandstiftung, das Aufspießen von Bäumen, um sie für die Holzverarbeitung unbrauchbar werden zu lassen, sowie andere Arten von Sachbeschädigung an Baumaschinen verstanden . Sowohl die ELF als auch die ALF begingen seit dem Jahr 1996 mehr als 600 kriminelle Akte, die mehr als 43 Millionen US-Dollar verursachten (Jarboe 2002).
Neben den ursprünglich anarchistisch und feministisch ausgerichteten Deep Ecology Bewegungen entwickelten sich zunehmend rassistische und antisemitische Deep Ecology Bewegungen in den USA. Rechtsextremistische Webseiten wie whitebiocentrism.com oder amerika.org verweben die Philosophie der Tiefenökologie mit der Überlegenheit der `weißen Rasse´, indem sie den `Gebietsverlust´ („habitat loss“) dieser Population durch Migrant:innen als Versuch eines `weißen Genozids´ deklarieren, bei dem indigene Bevölkerungsgruppen als ‚invasive Spezies´ quasi die `weiße Rasse´ ersetzen sollte (Taylor 2019: 279; vgl. Minkowitz 2017). Dabei ist allen zuvor benannten milianten Deep Ecology Gruppen eine starke misanthropische Komponente inhärent. Während Næss zur Rettung der Erde eine langsame Verringerung des Bevölkerungswachstums anregte, greifen die ökofaschistischen Bewegungen diesen Gedanken auf und transformieren ihn u.a. in einen Kampf gegenüber Migrant:innen in westlichen Staaten, an deren Ende die `weiße Rasse´ ihre selbsternannten Gegner:innen besiegen würde (vgl. Linkola 2006: 130)
(Rechts-)extremistische Tiefenökologiebewegungen in Deutschland [2]
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts formten sich bereits Bewegungen, die „zurück zur Natur“ aufriefen und in dessen Folge Stadtrand- und Landsiedlungen unterschiedlichster Gruppen erfolgten (Bell 2023: 32). Die gemeinsamen Interessen dieser Bewegungen waren ein natürlicher Landbau, eine naturbewusste Lebensweise und Ernährung sowie ein(e) damit korrespondierende(r) Tierschutz, Naturheilkunde und Freikörperkult (Ebenda). Begleitet wurde diese Lebensart von einer Impfkritik, die aus unterschiedlichen Gründen als `widernatürlich´ betrachtet wurde. So kritisierte Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, die von der biologisch-dynamischen Landwirtschaft adaptiert wird, Impfungen als etwas, dass gegen die „individuelle Entwicklung des Kindes [durch bestimme Erkrankungen]“ gerichtet sei und folglich dessen Spiritualität zerstöre (Ebd.: 33).
Eine ähnliche Inkarnationslogik hinsichtlich der Notwendigkeit des Impfschutzes verfolgen völkisch bis spirituell und sozialistisch orientierte Gruppen in den Reihen der gegenwärtigen deutschen Tiefenökologiebewegung. Sie sind bspw. bei Mitgliedern der Querdenker:innen und revitalisierten Lebensreform Bewegungen zu finden (Speit 2021).
Steiner konzipierte die Anthroposophie in Anlehnung an Jelena Petrovna Blavatskayas Theosophie, deren Evolutionslehre von unterschiedlichen „Wurzelrassen“ ausgeht, wobei die `weiße Rasse´ in Europa als die am höchsten weiterentwickelte, `arische´ Gruppe betrachtet wird (Pöhlmann 2021; vgl. Kupka 2010).
Gegenwärtige rechtsextremistische Gruppen verknüpfen den ‚Heimatschutz‘ mit dem Topos des Umweltschutzes, der u.a. die Protektion der Artenvielfalt beinhaltet, und schließlich zur „Reinheit des Volkes und der Natur“ als ‚natürliche Folgeaufgabe´ überzuleiten versucht (Freiheit & Heitmeyer 2019: 5). Ein Beispiel für diese Strategie kann der folgenden Aussage der rechtsradikalen Partei „Der III. Weg“ entnommen werden.
„Heimatverbundene Politik ist seit jeher auch Umweltpolitik. Ohne eine umweltfreundliche Politik ist jedes Volk in seiner Substanz gefährdet. Dem Naturschutz müssen daher wirtschaftliche Interessen untergeordnet werden. Hemmungsloses Wirtschaftswachstum, radikale Landschaftsveränderungen, gigantische Industrieprojekte, Industrialisierung der Landwirtschaft, Verstädterung ganzer Regionen sowie die Vernichtung gewachsener Stadtstrukturen werden durch die volksfeindlichen Parteien, Verbände und Interessengruppen vorangetrieben. Die einseitige Ausrichtung an materiellen Werten führt zwangsläufig zur Vernichtung aller traditionellen Bindungen und Kulturen. Der Mensch wird von seiner Umwelt entfremdet und entwurzelt, und verliert folglich seine Identität.“ (Der III. Weg: 2016)
Diese Identitätspolitik erfolgt im Sinne einer ‚Blut-und-Boden´-Ideologie im Sinne des nationalsozialistischen Reichsbauernführers Walther Darré durch rechtskonservative und -extremistische Akteur:innen, deren Argumentationsstruktur in Deutschland bis in die Zeit der Romantik zurückreicht (Freiheit & Heitmeyer 2019: 5).
Weitere rechtsextremistische und verschwörungstheoretische Gruppen, die sich unter dem Dach Tiefenökologie Bewegung versammeln, sind die sogenannten Siedler:innen, die im Zuge völkischer Landnahme und einem völkischen Siedlungsbau Enklaven rassistisch geprägter Intoleranz aufbauen, fernab jeglicher staatlicher Überprüfbarkeit. Sie werden von der rechtsextremistischen Partei NPD unterstützt und bilden nationalistische Gemeinschaften, die auf familiären und wirtschaftlichen Strukturen basieren (Röpke 2020: 4). Die gezielt gesuchte Distanz zur städtischen Umgebung, die aufgrund ihrer kulturellen, religiösen und gesellschaftlichen Vielfalt von diesen Globalisierungsgegner:innen auf dem Land gesucht wird, führt dazu, dass sie nahezu unbemerkt mittlerweile in gering besiedelten Gebieten ohne Meinungsvielfalt, ihre völkischen und rassistischen Erziehungsdesiderate bis in dritte Generation hinein weitergeben konnten (Schmidt 2014: 4-5). Im Zuge der Corona-Pandemie erfolgte zudem eine Mobilmachung rechter Gruppen und Akteur:innen gegen Corona-Schutzmaßnahmen über eine Vereinnahmung politischer ‚Gegner:innen´ durch gemeinsame ökologische Zielsetzungen (Frei & Nachtwey 2021).
Darüber finden sich in diesem Spektrum spirituell-esoterisch geprägte Organisationen wie der Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff) e.V. oder die Artgemeinschaft Germanische Glaubensgemeinschaft (AGG) e.V., die die größte rechtsextreme weltanschaulich-religiöse Gemeinschaft in Deutschland darstellt und eine Scharnierfunktion innerhalb der extremen Rechten bekleidet (FARN 2022: 10). Das Symbol der AGG ist der Irminsul (Weltenbaum), das sowohl von neopaganen als auch völkischen Gruppen verwendet wird. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis darauf, dass Ökologiebewegungsinteressierte, die möglicherweise Bezüge zur neuheidnischen Spiritualität ohne rassistische Motivlagen aufweisen, die völkische Aneigung dieses Symbols zunächst nicht erkennen. Zudem werden auch viele neopagane, germanische Feste, bspw. die Sommersonnenwende, von der AGG zelebriert. Bis zum Jahr 2018 war Jürgen Rieger, ein NPD Mitglied, deren Vorsitzender (Röpke 2015).
Der im Jahr 1951 gegründete Bund der Gotterkenntnis (Ludendorff) e.V. fußt auf den esoterischen völkischen Ideologien der Ärztin Mathilde Ludendorff, die den Verein Deutschvolk mit ihrem Ehemann Erich Ludendorff, einem General des Ersten Weltkriegs im Jahr 1930 gründete. Sowohl in Bayern als auch in Mecklenburg-Vorpommern betätigt sich der Verein als Tagungsstätte und betreibt einen landwirtschaftlichen Betrieb, die ökologisch zertifizierte Solidarische Landwirtschaft Rostocker Land (Röpke 2015: 205).
Bei Bauernprotesten trat die revitalisierte Landvolkbewegung mit ihrer Pflug- und Schwert-Fahne neuerlich in Erscheinung (FARN 2022: 12). Sie stellte ursprünglich eine schleswig-holsteinische Bauernbewegung dar, die sich im Zuge der 1920er Jahre als Reaktion auf die Agrarkrise bildete und in jener Zeit Sprengstoffanschläge verübte (Ebenda). Die Landvolkbewegung gilt als antisemitische und -parlamentarische, völkisch-nationalistische Wegbereiterin der NSDAP.
Fazit
Wie die vorliegende Diskussion mit Blick auf die Deep Ecology und Tiefenökologiebewegungen in den USA und Deutschland gezeigt hat, erfolgt die Adaption dieser Philosophie durch extremistische Akteur:innen und Gruppen in drei Aspekten diametral entgegengesetzt zu ihren Gründungsvätern Næss, Devall und Sessions:
Erstens, verdeutlichen die Inhalte Næss Philosophie die lebens- und vielfaltbejahende Konzeption der Deep Ecology, die von extremistischen Gruppen und ihren Vertreter:innen in das genaue Gegenteil verkehrt wurde und zur Ausgrenzung Anderer und der eigenen Selbsterhöhung verwendet wird.
Zweitens stehen die vielfältigen ideologischen Wurzeln und interreligiösen Ideen der Deep Ecology im kompletten Gegensatz zum antifeministischen, anti-gender gerichteten, antisemitischen und rassistischen Weltbild gegenwärtiger ökofaschistischer Bewegungen und Akteur:innen, die sich auf die Tiefenökologie berufen.
Drittens basierte Næss Ansatz nicht darauf einer strikten Doktrin zu folgen, sondern sollte im Einklang mit dem Leben seiner multireligiösen und multikulturellen Anhänger:innen sein. Dies bedeutet, dass die extremistische Weltsicht der ökofaschistischen und verschwörungstheoretischen Deep Ecology Bewegungen entgegen der ursprünglichen Konzeption Næss handeln, indem sie eine Konzentration der Bewegung auf einzelne Gruppen sowie religiöse, geschlechtliche und gesellschaftliche Überzeugungen vollziehen. Hierdurch können sie eben gerade nicht die universellen umweltpolitischen Ziele erreichen, die Næss Philosophie inhärent war, der erkannte, dass ein Umdenken zum Wohle der Natur nur in kleinen, gemeinsamen Schritten unter Berücksichtigung der individuellen Lebenswirklichkeit und -situation seiner Anhänger:innen möglich sei. Der radikale Anspruch der totalen Weltabkehr der extremistischen Deep Ecology Bewegungen entspricht hingegen nur Partikularinteressen selbsternannter ‚Auserwählter‘, die millenaristisch geprägt und – im konkreten Gegensatz zu Næss ursprünglichem Anspruch – elitären und rassistischen Idealen verbunden sind. Hierdurch kann kein holistisches Umdenken und keine Verhaltensänderung erfolgen, weil die entsprechenden extremistischen Akteur:innen sich selbst erhöhen und nur ihre Sichtweise als das `Maß der Dinge´ anerkennen. Aus einem universellen Konzept der Deep Ecology wird dadurch ein rassistisch motiviertes System, dass auf Elitenbildung abzielt und - im Falle der Reichsbürger:innen und Querdenker:innen - utopische Zustände verfolgt.
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit basiert nicht auf einem individuellen Feindschaftsverhältnis, sondern ist vielmehr das Resultat verschiedener abwertender Einstellungen gegenüber Anderen aufgrund deren gewählter oder unterstellter Gruppenmitgliedschaft, unabhängig von deren individuellen Verhalten (Heitmeyer 2002). Rechtsextremismus, der in der vorliegenden Diskussion Eingang in die Tiefenökologie gefunden hat, indem er u.a. rassistische Zielsetzungen und die Abwertung Dritter als Folge einer imaginierten Naturgesetzgebung darzustellen versucht, existiert nicht ohne gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Gleichwohl existiert diese jedoch ohne den Rechtsextremismus (Freiheit & Heitmeyer 2019). Dieser gelangt nun in die Mitte demokratischer Gesellschaften, indem er gemeinsame Schnittmengen mit den Ökologiebewegungen aufzeigt und so Schritt für Schritt seine gesellschaftlichen Egalitätskonzepte und autoritären Dominanzansprüche auf das Bewusstsein derer Mitglieder einwirken lässt. In diesem Sinne kann man davon sprechen, dass die Strategie extremistischer Bewegungen, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu rechtsextremistischen, anti-gender, anti-feministischen oder radikal religiösen Gruppen, darin besteht, im Zuge einer kontinuierlichen Beeinflussung ihrer Zielgruppen durch Aneignung derer Themen ihre eigenen Interessen langfristig durchzusetzen. Hierfür gehen sie Bündnisse ein, die auf den ersten Blick konträr zu ihrer eigenen Ideologie stehen, jedoch im Zuge dieser ‚leisen Revolution‘ von innen heraus in unterschiedlichen Bevölkerungsschichten zu einer Akzeptanz extremistischer, rassistischer und menschenverachtender Inhalte führt, die dann plötzlich als ‚common sense‘ gelten und eine Form der ‚Gesellschaftsfähigkeit´ einnehmen, die sie nicht erreicht hätten, wenn sie nur in ‚ihren eigenen Reihen‘ (aktiv) geblieben wären.
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[1] Aufgrund des vorgegebenen Rahmens dieses Beitrags kann die Diskussion der Deep Ecology orientierten, extremistischen Bewegungen in den USA nur mit Hilfe exemplarisch ausgewählter Gruppen und Akteur:innen erfolgen.
[2] Aufgrund des vorgegebenen Rahmens dieses Beitrags können auch mit Blick auf Deutschland nur ausgewählte Beispiele extremistischer (Tiefen-)Ökologiebewegungen diskutiert werden. Das Feld dieser Bewegungen in Deutschland und Europa ist hingegen noch viel ausgeprägter und diverser motiviert. Zudem ist es wichtig zu verstehen, dass diese Abbildung lediglich als eine Momentaufnahme der skizzierten Bewegungen verstanden werden kann, weil sich ihre Mitglieder und deren Zielsetzung – auch in Anlehnung an gesellschaftliche Ereignisse und internationale Krisen – häufig Transformationsprozessen unterziehen (lassen). Nicht umsonst muss man im vorliegenden Fall von einem äußerst heterogenen Phänomenbereich sprechen, das ihre Eingrenzung bzw. Zugehörigkeit zu einem extremistischen Feld (zunehmend) erschwert.